Vorurteile, Bosheit und Neid
Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817), Lebzeitig bis 1803 Professor für ökonomische Wissenschaften sowie Lehrbeauftragter für operative Augenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Marburg/Lahn; davor bis 1787 Professor für angewandte Ökonomik – einschliesslich der Tiermedizin – an der Universität Heidelberg und vordem seit 1778 mit gleicher Bestellung an der Kameral Hohen Schule Kaiserslautern, ehedem Gründungsmitglied der Geschlossenen Lesegesellschaft zu Elberfeld, dortselbst seit 1772 auch Arzt für Allgemeinmedizin, Obstetrik, Ophthalmologie und ab 1775 staatlich bestellter Brunnenarzt sowie Dozent in Physiologie; der Kurpfälzischen Ökonomischen Gesellschaft in Heidelberg, der Königlichen Sozietät der Wissenschaften in Frankfurt/Oder, der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft in Mannheim, der Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste in Kassel, der Leipziger ökonomischen Sozietät sowie auch seit 1781 bis zum durch Erlass aus München vom 22. Juni 1784 verfügten Verbot der Nach dem Gespräch mit verhilflichem englischem Beistand ₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪ Markus-Gilde, Siegen Copyright 2012 by Markus-Gilde., Postfach 10 04 33, 57004 Siegen (Deutschland). – Die gewerbliche Verwertung des nachstehenden Textes gesamthaft oder Teile daraus bedarf der schriftlichen Einwilligung des Copyright-Inhabers. info@jung-stilling-gesellschaft.de |
Jung-Stilling und Engel Siona in Marburg
Durch Marburg1 schritt des Morgens ich,
Als kam von seitwärts zu auf mich
Ein grosser, vornehm-chicer Mann
Und lachte heiter, froh mich an.
Er reichte mir nun seine Hand:
“Willkommen aus dem Siegerland!2
Was tut denn, Glaubrecht, heute ihr
Bei meiner Freundin3 früh schon hier?”
Die Stimme keinen Zweifel liess,
Dass just ich auf Jung-Stilling4 stiess,
Der öfters noch durch Marburg schreitet5
Von Siona6 dann meist begleitet,
Den hinter Stilling ich jetzt sah:
Erwinkte kurz, doch trat nicht nah.
“Herr Hofrat7 Jung: ich kam nach hier,
Weil möchte anschauen ich mir
Ein altes Buch, sehr kostbar, rar,
Das bot mir an ein Antiquar.” —
Alter Druck ist leider schon verkauft
“Mein Stillings-Freund”8, sprach darauf er,
“Ich bitte euch: nehmt es nicht schwer!
Ihr könnt ersparen den Besuch:
Verkauft ist nämlich schon das Buch.
Es hat ein Angeber erworben.
Sein Vater unlängst ist verstorben;
Er hat nun Geld und kauft drauflos,
Beachtend stets den Marktwert bloss.
Den alten Druck, den wolltet ihr
Vielleicht erwerben heute hier,
Kann er nicht lesen; denn Latein
Als Schüler übte er nie ein.
Sehr schade ist, dass Bücher so
Gehortet werden irgendwo:
In einem Bankschliessfach versteckt
Als schieres Anlage-Objekt.
Doch sorgt ja auch der hohe Preis,
Dass dieses Buch nun solcherweis
Als Wertstück, Kleinod wird gehegt:
Als Kostbarkeit dann auch gepflegt.
Manch inhaltsschwere Manuskript
Ward sorglos in den Müll gekippt
Zu meiner Zeit; doch heut stoppt nun
Der hohe Preis ein solches Tun.
Einladung in ein vornehmes Café
Die Sorgfalt, Obacht für ein Ding
Schon eh an dessen Marktwert hing.
Doch, Glaubrecht, lassen wir das sein!
Ich lade euch zum Frühstück ein
In dieses noble Café hier
Und hoffe, dass dem zustimmt ihr.”
Ich folgte Stilling ins Café
Und sah, wie nun ging zum Buffet
Der Engel Siona darauf:
Er gab wohl die Bestellung auf.
Gleich brachte die Bedienung das,
Was ich an Backwerk je gern ass.
Der Engel wusste offenbar,
Was meine Lieblings-Torte war.
Auch Stilling tat sich nicht genieren:
Liess Reibekuchen sich servieren,
So wie bis heute er bekannt
Als Leckerei im Siegerland.
Knapp an des Tellers rechtem Rand
Sich dazu ein Klecks Sahne fand.
Ich sah nicht hin, damit nicht litt
Bei mir der Torten-Appetit.
Für mich ein Graus sind schon Gerüche,
Entströmend Siegerländer Küche.9
Belehrung über junge Bergleute wird erbeten
“Herr Hofrat Jung”, ich nun begann,
“Heut möchte ich sie sprechen an
Auf das, was in Neunkirchen10 da
Am Steimel11 ehedem geschah,
Als man in einem Hass-Vollzug
Den Schacht von Knappen dort zerschlug.
Bestimmt doch können sie mir sagen,
Was damals sich hat zugetragen?” —
“Sehr gern, Herr Glaubrecht, ich berichte
Euch diese leidige Geschichte.
Fünf junge Männer gründen eine Gewerkschaft des Bergbaus
Als Johann Moritz12 Graf noch war,
Kam dort zusammen eine Schar
Fünf frommer, braver junger Leute.
Dass Erz aus einem Gang man beute,
Die Fünfe kamen überein,
Zu wirken darob im Verein.
Gebet und auch Choralgesang
Beim Stundenhalter13 erst erklang,
Eh dass sie schworen Treue sich
Vorm Seelenpfleger14 brüderlich.
Die Bergbehörde15 stimmte zu;
Und bald erschall der Ruf “Glückzu!”
Am Steimel16 trieben rasch sie nun
Voran den Schacht, vereint im Tun.
Sie standen halb des Nachts schon auf;
Doch stellten sie sich erst zuhauf
Zum GOtteslob im Bethaus17 ein,
Eh dass sie, just bei Dämmerschein,
Sich machten auf zum Arbeitsgang,
Stets unter frommem Liedgesang.
Prospektierte Erzader wird nicht gefunden
Doch fehlte ihnen es an Glück:
Des Erzes zeigte sich kein Stück,
Wiewohl berechnet war schon lang,
Dass stiessen sie auf jenen Gang.
Nur Jost, der Jüngste, nun verzagte;
Der Vieren keiner jetzt schon klagte.
Nach einem weitren halben Jahr
Sie waren aller Mittel bar.
Die Eltern mussten helfen jetzt,
Dass Nahrung ihnen blieb zuletzt.
Der Bergvogt15 kann nun selbst herbei,
Sie tadelnd plumper Narretei.
Sie dürften schürfen noch nach Erz
Ab jetzt, dem Jänner, bis zum März.
Alsdann muss er zu ihrem Schutz
Sowie der ganzen Grafschaft Nutz
Entziehen ihnen die Lizenz;
Doch hoffe er auf frühren Ends
Der Graberei an Stellen taub,
Was sinnlos, weil Ressourcen-Raub.
Es war der Seelenpfleger bloss,
Der ihr Vertrauen grenzenlos
In GOttes Huld hat früh erkannt:
Drum hielt zu ihnen unverwandt.
Sie lagen täglich auf den Knien
Und baten GOtt, bestürmten ihn,
Dass er doch ihnen Hilfe schicke.
Sie rettend aus dem Missgeschicke.
Am zwölften Jänner ging der Theiss.
Zwei Tage später gleicherweis
In Frieden dann auch Jakob schied,
Der nun mit seinem Vater zieht
Zum Hellerberg18 des morgens mit.
Sie waren jetzt nur noch zu dritt.
Hilfe wird den jungen Bergleuten zuteil
Am fünften Feber mittags kam
Und seinen Weg zu ihnen nahm
Ein kleiner Mann mit rotem Haar,
Auch rot der Rock, der Hut sogar.19
Er grüsst sie, gütig blickend drein,
Und fragt, ob er kann nützlich sein?
‘Es uns an Barschaft bass gebricht.
Entgelten könnten wir drum nicht,
Wenn ihr hier eure Arbeit tät –
Noch gar mit eurem Berggerät.’
Erkannten sie doch aus der Nähe
Des Mannes kostbares Gezähe.20
Doch dieser winkt nur lächelnd ab:
‘Für eine stundlang Zeit ich hab
Zu helfen euch, ihr frommen Leute!
Ihr braucht mich nicht zu zahlen heute.’
Dem Schacht geht er behende zu,
Steigt ein, beginnt darauf im Nu
Zu hauen Brocken zentnerschwer.
Er schleudert diese so umher,
Als wären sie bloss Haufen Sand:
Er packt sie an mit barer Hand.
Den Dreien ist mit einmal klar:
Dies ist ein Berggeist offenbar!
Als just vorbei die Stunde ist,
Der Abraum wenigstens schon misst
Soviel, wie allesamt bisher
Gestein gehäufelt längs und quer
Rings um den Schacht durch all die Zeit
In achtzehn Monden Emsigkeit.
Berggeist belehrt über den Erzverlauf
Der rote Mann nach oben steigt,
Nach unten mit dem Finger zeigt.
‘Dort könnt ihr brechen ostfeldein
Zunächst einmal Spateisenstein.21
Ihr kommt drauf ostwärts auch heran
An Kupfer in verquerter Bahn.
Um dieses zu gewinnen leicht,
Sei euch zur Leihe dargereicht
Mein Schlägel und mein Eisen hier,
Die später dann ich hole mir.
Doch will ich, dass ihr alle schweigt
Und keinem mein Gezähe zeigt!
Erwähnt auch nicht, wenn ihr seid klug,
Dass ich euch das Gestein hier schlug.’
Doch Henrich, einer von den Drein,
Der fürchtet sehr die Höllenpein.
Drum an den Helfer richtet er
Sein Wort mit folgendem Begehr:
‘Wir wussten wohl sehr bald Bescheid,
Dass ihr ein Geisteswesen seid.
Seid bitte jetzt nicht bös auf mich,
Wenn frage euren Namen ich.
Seid ihr ein reformierter Christ?
In Calvins Geist? Doch nicht Papist?22
Den lieber bleiben wir hier arm,
As dass uns Dreien je umarm
Des Teufels Trug und Papstes List,
Mit denen nicht zu spassen ist.’
Berggeist Theodul mahnt zur Duldsamkeit
Der rote Mann legt seine Hand
Auf Henrichs Schulter konziliant.
‘Du tust wohl recht, wenn du mich fragst
Und ob des Seelenheiles zagst.
Nun: Theodul23 mein Name ist.
Ich diene dem HErrn JEsu CHrist.
Erlöst bin ich, so wie auch ihr,
Durch IHn, des Himmels schönste Zier,
Dem alle Geister ewig singen:
Froh Preis und Dank stets vor IHn bringen.
Davor als Berggeist war ich hier
Im Siegerländer Erzrevier.
Ich kenn zuinnerst das Gebirge
In Siegens südlichem Bezirke.
Doch lasst mich nehmen noch Bezug
Auf Papstes List und Satans Trug.
Vor Dünkel und vor Übermut
Seid stets als erstes auf der Hut!
Denn jede Selbstgerechtigkeit
Das Band der Liebe stracks entzweit,
Das alle Menschen einen soll:
Die Seele füllt sich so mit Groll.
Folgte ihr des frommen Calvins Lehr,
Doch machet denen keine Beschwer,
Die schwimmen in dem breiten Strom,
Der fliesst zu uns hierher von Rom.
Denn viel an Segen ward gesandt
Von Rom, vom Papst ins Siegerland!
Es werde euch die Toleranz
Zum Ziel des Lebens künftig ganz.
Misstrauet jedem, der da schimpft
Und euch mit Hass auf andre impft.
Selbst Seelenpfleger, Stundenhalter,
Auch Prädikanten24, Kirchverwalter,
Gebieterische Bibelchristen
Nebst Wohnungstür-Evangelisten,
Die über irgend andre hetzen,
Satt euch in JEsu zu ergötzen,
Verdienen nimmer, das zu sein,
Wofür ihr Tun erweckt den Schein.
Beherzigt das! Ich von euch scheid!
Glückauf!25 GOtt sei gebenedeit!
Fahrt fort im Guttun und Gebet,
Das Gnade auf die Welt erfleht.’
Die frommen Bergleute werden reich
Der rote Mann mit einem Mal
Entschwunden war gen Hellertal.26
Die Dreie sanken auf die Knie:
Für GOttes Hilfe dankten sie;
Umarmten sich, der Freude voll;
Ein Jauchzer Martin jetzt entquoll
Als mächtig er den Erzgang sah,
Der lag vor seinen Blicken da.
Bis Köln den Kärrnern schien es Werts,
Zu holen aus Neunkirchen Erz.
Auch Theiss und Jakob, nach dem Glück:
Sie kehrten zu den Drein zurück.
Sie fünftelten nun lobesam
Den Guldenberg, der auf sie kam.
Missgunst erwacht; Anzeigen werden erstattet
Der Wohlstand, kommend über Nacht,
Bei Neidern hat viel Grimm entfacht,
Man lud bald Jakob, Martin, Theiss,
Aurel und Jost27 auf das Geheiss
Des Konsistoriums28 nach Siegen,
Um Ausforschung dort zu obliegen.
Man las den Fünfen allerlei
An Klagen über Zauberei,
Die aus Neunkirchen Nachbarn lieb
Verfassten in so manchem Schrieb.
Sie mussten jetzt, obgleich nicht gern,
Erzählen diesen hohen Herrn,
Dass ihnen hilfreich jener Geist,
Der Zwerg dereinst, Theodul heisst.
Bann des Bergwerks wird angeordnet
Das Konsistorium nun trat
Beiseite, um zu pflegen Rat.
Die Fünfe rief man dann herein:
Man war gekommen überein,
Dass sie dem Satan sind erlegen
Und böses Beispiel auch erregen.
Ein Geist kann nie vom Himmel sein,
Der träte für die Duldung ein
Der gOttverhassten Päpstelei;
Die JEsu reines Wort entweih,
Sich mit dem Heidentum so mischt,
Dass alle Heilswahrheit erlischt,
Und Finsternis auf Erden liegt,
Die Calvins Lehre erst besiegt.
Des weiteren man noch befand,
Dass ihre Grube sei gebannt
Im Steimel zu Neunkirchen dort:
Man drum verwüste diesen Ort.
Bergwerk wird geplündert und zerstört
Das war nun eine helle Freude
Für Neider, Mob, selbst Nachbarsleute!!
Sie nahmen ihre Schlägel auf
Und trollten sich voll Grimm zuhauf
Zur Grube hin, die sie zerschlugen:
In Hass wie Wilde sich betrugen.
Sie stahlen, was zu plündern war:
Man raubte alles Inventar.
Des Berggeists herrliches Gezähe
Nies Krumm sich mitnahm als Trophäe.
Es brachte ihm doch gar kein Glück:
Der Schlägel brach sein Bein in Stück.
Entsetzen und Abscheu im Jenseits
Sankt Agatha29 hat laut geziehn
Im Himmel droben drum Calvin,30
Dass diese Meute unduldsam
So Rache an den Frommen nahm,
Zu denen an die Arbeitsstatt
Sie Theodul entsendet hat.
Der legt die Hände vors Gesicht,
Da er gewahrte das Gezücht
Dort zu Neunkirchen und zu Siegen,
In Stolz und Dünkel bass verstiegen,
Sich wähnend in der Wahrheit dreist,
Doch voller engem Rottengeist.
Erbitten wollte Calvin drum,
Dass alle blieben so reihum:
Auch alle, später erst geboren,
In Hofart sollten ewig schmoren.
Spuk am 5. Februar in Neunkirchen
Noch spricht man an der Heller26 heute
Von Fünfen, die des Teufels Beute,
Der half am Steimel einstmals ihnen,
Drum müssen ihm nun ewig dienen.
Am fünften Feber29 hört man dort
Des Nachts Geheul sich pflanzen fort
Fast durch das ganze Hellertal
Als jaule klagend ein Schakal.
‘Das sind die Fünf in Höllenpein’,
So sagt man dazu allgemein.
Doch, Glaubrecht, das ist ganz verkehrt!
Wer kreischt sind jene, die zerstört
Der frommen jungen Männer Schacht:
Zum Hades33 sind darob verbracht. —
Genau ihr, Glaubrecht, nunmehr wisst,
Was damals dort geschehen ist.
Doch sind ja Bosheit, Hass und Neid
Verbreitet leider GOttes weit;
Es wäre sicher ungerecht,
Zu sehen nur die Menschen schlecht,
Die leben in dem Siegerland,
Wo einstens meine Wiege stand.31 —
Wie ist es den Bergleuten später ergangen?
“Herr Hofrat”, frug nun Stilling ich,
“Es würde interessieren mich
Was aus den Fünfen später ward:
Blieb ihnen neues Leid erspart?” —
“Ein Fuhrmann nahm den Jakob mit
Nach Köln, woselbst er fasste Tritt
Als Kaufmann und als Stahlagent,
Der sämtliche Geschäfte kennt.
Auch Martin zog es an den Rhein:
Er trat dort in ein Kloster ein.
In diesem bald man ihn erkor
Als Leiter für das Bauressort.
Aurel ging gleich nach Hadamar,32
Wo er gefragter Hufschmied war.
Es nahm sich eine fromme Frau:
Sein Sohn, von kleinauf schon sehr schlau,
Studierte Rechtsgelehrsamkeit
Und war als Anwalt weit und breit
Gefragt ringsum bei den Klienten
Geschätzt selbst bei den Konkurrenten.
Berufen wurde er am End
Sogar als Kammer-Präsident.
Nach Frankfurt zog es Jost und Theiss
Und brachten weit es dort mit Fleiss.
Sie nahmen beide sich zur Frau
Die Tochter eines Meisters grau;
Erwarben so das Bürgerrecht:34
Nie ging es ihnen jemals schlecht.
Mit Sohn und Enkel reiste Theiss
Ins Hellertal nochmals als Greis.
Doch fühlte er sich dort arg fremd;
Die Leute schienen ihm verklemmt.
Das Grab der Eltern war nicht mehr;
Verwandte taten sich sehr schwer
Zu sprechen mit dem Oheim alt:
Noch war Geschehnes nicht verhallt. –
Ihr wisst nun, Glaubrecht, jeden Falles
Von diesen Vorkommnissen alles.
Ich bitte nochmals euch: seht ein,
Dass solches Tun war allgemein,
Wie ihr es nun von damals wisst:
Kein Merkmal von Neunkirchen ist.”
Jung-Stilling wird zu Operation gerufen
Längst hatte ich schon unterdessen
Mein Tortenstück ganz aufgegessen.
Auch Stillings Teller war nun leer:
Er ass beim Sprechen nebenher.
“Herr Glaubrecht”, sprach zu mir er nun,
“Ich habe gleich jetzt noch zu tun
Bei einer Operation:
Man wartet auf mich dort allschon.
Drum seid mir bitte jetzt nicht böse,
Wenn ich von diesem Ort mich löse.
Es steht euch aber hilfreich da
Nachher noch Engel Siona.” –
Wie kann Jung-Stilling heute noch ärztlich tätig sein?
“Herr Hofrat Jung, bloss eine Frage
An sie zu richten ich noch wage.
Nur allzu gerne wüsste ich,
Ob wirken sie gleich körperlich
Bei dieser Operation:
Sind da als Mensch sie, als Person?” —
“Die Antwort, Glaubrecht, will ich eben
Auf diese Frage rasch noch geben.
Ich wirke aus dem Hinterhalt:
Befinde mich in Geist-Gestalt.
Als Geist kann leicht erkennen ich,
Womit der Arzt beschäftigt sich:
Vermag zu leiten dann sein Denken
Und kann sein Handeln dadurch lenken.35
Vorausgesetzt bei alldem ist
Der Wille unsres HErren CHrist.
Ich handle nur auf SEin Geheiss:
Vermittle SEiner Gunst Erweis.
Für IHn ein Werkzeug bin ich dann:
Aus mir heraus ich gar nichts kann.
Ganz selten bloss sieht jemand mich
Im Leibe, dinghaft, körperlich.
So, wie ich einst zu Marburg war,
Nehmt ihr, Herr Glaubrecht, mich jetzt wahr.
Es braucht sehr viel Begnadigung,
Dass ich für euch bin Hofrat Jung.
Warum euch GOtt gibt dies Gesicht,
Bleibt dunkel mir: ich weiss es nicht!
Bewirkt ist dies von GOtt allein;
Der Grund ist nicht mein Tätigsein.”
Jung-Stilling entschwindet; Engel Siona übergibt Stick
Als Stilling diese Worte sprach,
Entschwand dem Blick er nach und nach.
Sein Körper hell beginnt zu flimmern,
Um dann allmählich zu verschimmern.
Der Stuhl, auf dem er sass bisher
Ist nunmehr unbesetzt und leer.
Zuvor fiel zuckend mehrmals ein
Auf seinen Platz noch heller Schein
Wie er sich zeigt, wenn voller Mond
Nachts über glattem Wasser thront;
Auch wie er silbrig reflektiert
Auf Wiesen, die der Schnee noch ziert.
Als ich den letzten Lichtstrahl sah,
Kam zu auf mich Geist Siona.
“Herr Andersieg”, sprach er zu mir,
“Zunächst, dass nicht besorgt seid ihr:
Es ist schon mit kurantem Geld36
Bereits die Rechnung glattgestellt.
Die Zahlung just durch mich geschah
Im Auftrag von Ohephiah.37
Sodann ist hier ein Stick, aus dem
Entnehmen möget ihr bequem
Was Hofrat Jung heut zu euch sagte,
Des weiteren, was ihr ihn fragte.
Auch findet ihr in vielen Noten
Erklärungen dazu geboten.
Ich bitte euch, stellt das komplett
In Bälde so ins Internet.
Lasst aber es euch nicht verdriessen,
Wenn welche euch mit Spott begiessen
Und schelten euch der Narretei:
Bei denen ist viel Neid dabei.
Seid jedermann stets hilfsbereit!
Gelobt sei GOtt in Ewigkeit!”
Siona entschwindet; Text wird ins Netz gestellt
Den Stick von Siona ich nahm,
Und ehe ich zum Danken kam
Verschwand der Engel nun vom Fleck;
Er war auf einmal, plötzlich weg.
Ich drehte jetzt noch gut zwei Stunden
Durch Marburgs Strassen meine Runden;
Drauf fuhr ich mit dem Zug dann heim.
Zuhaus schob ich den Stick gleich ein,
Auf dem all das gespeichert war,
Was hier als Text sich bietet da.
Das übliche Lästergespei wird erwartet
Ach GOtt! Wie ist die Welt verrückt!
Man sagt nicht Dank, ist nicht beglückt,
Dass Stillings Botschaft wird verbreitet:
Dem Guten so der Weg bereitet.
Oh nein! Sie schreien “Spiritismus,
Gespensterwahnsinn, Okkultismus,
Verdummung, Scharlatanerie,
Ergüsse siecher Phantasie;
Geflunker, Machwerk, Schwindel, Lug,
Gewäsch, Geplapper, Bluff und Trug,
Verruchte Wortverdreherei,
Dämonenhafte Zauberei;
Verworren-närrisches Gedudel,
Gebräu von höllischem Gesudel,
Abscheuliche Provokation,
Des Satans Manifestation!“
Ach Leute! Packt euch an die Nase:
Entledigt euch von Zorn-Gerase
Und denkt darüber tiefer nach,
Was Stilling hier in Marburg sprach.
Ihr mögt ja gern auf Glaubrecht fluchen,
Als Fälscher ihn zu lästern suchen:
Doch tretet mit dem Schmäh nicht nah
Jung-Stilling und Geist Siona.
Anmerkungen, Quellen und Literaturverweise
* Grafschaft Leisenburg = bei Jung-Stilling das ehemalige Fürstentum (bis 1652 Grafschaft) Nassau-Siegen (mit der Hauptstadt Siegen), seit 1512 dem vormaligen Oberrheinischen Reichskreis (mit dem Direktorium in Worms) zugeordnet; – durch Erbfolge ab 1743 Teil der Nassau-Oranischen Lande (mit Regierungssitz in Dillenburg, heute Stadt im Bundesland Hessen); – im Zuge der territorialen Neuordnung Deutschlands durch den Wiener Kongress ab 1815 Bezirk in der preussischen Provinz Westfalen (mit der Provinzhauptstadt Münster); – nach dem Zweiten Weltkrieg von 1946 an bis heute Bestandteil im Kreis Siegen-Wittgenstein des Regierungsbezirks Arnsberg im Bundesland Nordrhein-Westfalen in der Bundesrepublik Deutschland (mit der Landeshauptstadt Düsseldorf).
Siehe Karl Friedrich Schenck: Statistik des vormaligen Fürstenthums Siegen. Siegen (Vorländer) 1820, Reprint Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1981 sowie Theodor Kraus: Das Siegerland. Ein Industriegebiet im Rheinischen Schiefergebirge, 2. Aufl. Bad Godesberg (Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung) 1969 (Standardwerk mit vielen Karten, Übersichten und Rückblenden auf den Entwicklungsverlauf; leider auch in der Zweitauflage ohne Register.
Lichthausen = bei Jung-Stilling die ehemalige selbständige, durch den Bergbau geprägte Gemeinde Littfeld im vormaligen Fürstentum Nassau-Siegen; seit 1. Januar 1969 Teil der Stadt Kreuztal im Kreis Siegen-Wittgenstein. Durchflossen wird der Ort von der rund 13 Kilometer langen Littfe, einem wasserreichen Zufluss in den rund 24 Kilometer langen Ferndorfbach, der seinerseits ein rechten Nebenfluss der Sieg ist und im Zentrum von Siegen-Weidenau in die Sieg mündet. – Die Littfe ihrerseits wird im Ortsgebiet von Littfeld von Osten durch den Heimkäuser Bach (offizieller Name im Gewässerverzeichnis des Landes NRW: Die Heimkaus, 4,7 Kilometer lang) und von Westen durch den Limbach (2,1 Kilometer lang) gespeist.
Der Name Littfeld leitet sich ab aus dem keltischen Wort “Let” für “Lehm”. Die in vielen Gewässernamen der Gegend vorzufindende Endsilbe “-phe” ist die sprachlich abgeschliffene Form von “apha“ = der Bach.
Aus Littfeld kam die Mutter Johanna Dorothea Fischer (1717-1742) von Jung-Stilling; dort wirkte auch sein Patenonkel Johann Heinrich Jung. – Siehe zu dieser herausragenden Persönlichkeit Gerhard Merk: Oberbergmeister Johann Heinrich Jung (1711-1786). Ein Lebensbild. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1989.
Im wirtschaftsgeschichtlich in vieler Hinsicht bemerkenswerten Siegerland ist der hochintelligente und vielseitig begabte Jung-Stilling (siehe Anmerkung 4) geboren, herangewachsen und dort hat auch seine ersten beruflichen Erfahrungen als Köhlergehilfe, Schneider, Knopfmacher, Vermessungs-Assistent, Landarbeiter, Dorfschulmeister und Privatlehrer gesammelt.
1 Universitätsstadt an der Lahn im Bundesland Hessen der Bundesrepublik Deutschland. Mit etwa 19 000 Studierenden und 3 400 Beschäftigten ist die 1527 gegründete Philipps-Universität mit der grösste Arbeitgeber und wichtigster Wirtschaftsfaktor der knapp 79 000 Einwohner zählenden Stadt Marburg und der weiteren Region. Johann Heinrich Jung-Stilling wirkte als Professor für Ökonomik und Lehrbeauftragter für operative Augenheilkunde von 1787 bis 1803 an der dortigen Universität.
Siehe Erhart Dettmering: Kleine Marburger Stadtgeschichte Regensburg (Pustest) 2007 und die dort angegebene Literatur.
2 Unter “Siegerland” versteht man den – Altkreis Siegen des heutigen Kreises Siegen-Wittgenstein im Regierungsbezirk Arnsberg des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen sowie – den sich westlich anschliessenden so genannten “Oberkreis” des Land¬kreises Altenkirchen im ehemaligen Regierungsbezirk Koblenz des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. – “Oberkreis” bezieht sich auf den nördlichen Teil des Kreises Altenkirchen (der Norden wird geographisch gemeinhin mit “oben” gekennzeichnet); nach anderen leitet sich die Bezeichnung “Oberkreis” vom oberen Verlauf der Sieg her.
Dieser “Oberkreis” ist sowohl geographisch als auch wirtschaftlich dem Siegerland zuzuordnen, und als “heimliche Hauptstadt” des Oberkreises gilt Betzdorf (Sieg); siehe Thomas Bartolosch et al.: Glücklich im Centrum gelegen. Alsdorf, Betzdorf, Grünebach, Scheuerfeld und Wallmenroth: Aufstieg zum Mittelpunkt zwischen Siegerland und Westerwald. Siegen (Koch) 1986.
Geologisch gehört das Siegerland zum rechtsrheinischen Teil des Rheinischen Schiefergebirges, dessen wichtigstes Zentrum die Stadt Siegen ist. Sowohl Landschafts- als auch Stadtnamen gehen auf die Sieg zurück: ein 155 Kilometer langer, nicht schiffbarer rechter Nebenfluss des Rheins, der in einer Quellhöhe von 603 Meter im Rothaargebirge entspringt, bei Siegburg (in Menden, heute Teil der Stadt Sankt Augustin: einer Stadtgemeinde, die Rahmen der kommunalen Neugliederung 1969 entstand) in einer Mündungshöhe von 50 Meter sich in den Rhein ergiesst. – Die Sieg wird durch eine Reihe wasserreicher Zuläufe gespeist; vor allem Ferndorfbach, Wisser Bach, Bröl, Wahnbach, Agger (rechts der Sieg) und Weiss, Scheldebach, Heller (siehe Anmerkung 26), Elbbach, Nister, Etzbach, Eipbach, Hanfbach, Pleisbach (links des Flusses).
Der Flussname Sieg hat übrigens keinen Bezug zu “Sieg” im Sinne von “Triumph, Erfolg”, wie manchmal zu lesen ist. Vielmehr leitet sich “Sieg” ab von dem keltischen Wort SIKKERE, was soviel bedeutet wie “schneller Fluss“. Verwandt damit ist der Paris durchfliessende Fluss Seine: ebenfalls vom keltischen Wort SIKKERE abgeleitet.
“Ehemaliger Regierungsbezirk Koblenz” deshalb, weil in Rheinland-Pfalz mit der sog. “Umstrukturierung” der Landesverwaltung zum 1. Januar 2000 die Regierungsbezirke aufgelöst wurden. Die Bezirksregierungen überführte man in die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) beziehungsweise Struktur- und Genehmigungsdirektionen (SGD) Nord und Süd, die nunmehr für Aufgabenbereiche gesamthaft (also nicht mehr für Aufgaben innert eines bisherigen Bezirks) zuständig sind.
3 “Die ganze liebe trauliche Stadt Marburg ist meine Freundin, und ich bin ihr Freund, und in diesem Verhältniß bleiben wir gegeneinander bis zu unserer Verklärung, und weiter hin, so lang unser Bewußtseyn währet”, bekennt Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte. Vollständige Ausgabe, mit Anmerkungen hrsg. von Gustav Adolf Benrath, 3. Aufl. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1993, S. 597 f.
Die “Lebensgeschichte” erschien in vielen Ausgaben. Jedoch genügt nur die von Gustav Adolf Benrath besorgte Version den Anforderungen sowohl des Lesers (grosser Druck, erklärende Noten, Register) als auch des Wissenschaftlers (bereinigter Original-Text; wichtige Dokumente zur Lebensgeschichte).
4 Hofrat Professor Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817), der Weltweisheit (= Philosophie) und Arzneikunde (= Medizin) Doktor. Dieser wurde in letzte Zeit wiederholt auf Erden gesehen. Siehe die entsprechenden Erscheinungsberichte aufgezählt bei Gotthold Untermschloß: Vom Handeln im Diesseits und von Wesen im Jenseits. Johann Heinrich Jung-Stilling gibt Antwort. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1995, S. 97 f., als Download-File kostenlos unter der Adresse <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling> abrufbar.
In kürzerer Form orientiert über das Leben von Jung-Stilling auch Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1989. – Mehr die innere Entwicklung von Jung-Stilling schildert Otto W. Hahn: “Selig sind, die das Heimweh haben.” Johann Heinrich Jung-Stilling: Patriarch der Erweckung. Giessen, Basel (Brunnen) 1999 (Geistliche Klassiker, Bd. 4).
5 Über Sichtbarwerdungen von Jung-Stilling in Marburg siehe Grundsätzliches in den Berichten “Reiner Glaube” sowie “Seele und Zeit” bei dem URL <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling>
6 Begleitengel von Johann Heinrich Jung-Stilling. Der Engel zeigte sich Jung-Stilling zu dessen Lebzeiten, entrückte ihn ins Jenseits und diktierte ihm auch in die Feder. Siehe Heinrich Jung-Stilling: Szenen aus dem Geisterreich, 7. Aufl. Bietigheim (Karl Rohm Verlag) 1999, S. 220 ff. (S. 279: “Siona hatte mir Lavaters Verklärung in die Feder diktiert.”) sowie Johann Heinrich Jung-Stilling: Chrysäon oder das goldene Zeitalter in vier Gesängen. Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1818, Prolog (Siona begleitet Jung-Stilling in das Himmelreich) und passim.
Bei nachtodlichen Erscheinungen von Jung-Stilling während der letzen Zeit wurde Siona häufig in seiner Begleitung gesehen. Siehe beispielsweise – Treugott Stillingsfreund: Erscheinungen im Siegerland. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1987, S. 31, S. 35, S. 38, S. 57, S. 81, S. 87; – Gotthold Untermschloß: Begegnungen mit Johann Heinrich Jung-Stilling. Siegen (Kalliope Verlag) 1988, S. 13, S. 20, S. 28, S. 36, S. 74, S. 108, S. 115, S. 133; – Glaubrecht Andersieg: Allerhand vom Siegerland. Siegen (Höpner) 1989, S. 64, S.96, S. 167 oder – Freimund Biederwacker: Vom folgeschweren Auto-Wahn. Protokoll einer nachtodlichen Belehrung durch Johann Heinrich Jung-Stilling und vermittels zutätiger englischer Gunst wiedergegeben. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1996, S. 12 ff., als Download-File zum privaten Gebrauch unter der Adresse <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/merk> abrufbar, freilich ohne die der Druckausgabe beigegebenen Abbildungen.
Der Name Siona bedeutet letztlich “die Himmlische”; siehe die genauere, weitläufige Erklärung dieses Namens bei Philipp Paul Merz: ONOMASTICON BIBLICUM SEU INDEX AC DICTIONARIUM HISTORICO–ETYMOLOCIUM, Bd. 2. Augsburg (Veith) 1738, S. 1161 ff. sowie bei Petrus Ravanellus: BIBLIOTHECA SACRA SEU THESAURUS SCRIPTURAE CANONICAE AMPLISSIMUS, Bd. 2. Genf (Chouët) 1650, S. 627 (hier auch einige seltenere übertragene Bedeutungen wie etwa “ORNAMENTUM TRACTUS” oder “GAUDIUM TOTIUS TERRAE” und “LOCUS PERFECTISSIMAE PULCHRITUDINIS”). Beide bis heute kaum übertroffene Werke erfuhren viele Nachdrucke und Übersetzungen.
Er spricht Siona an als – “unaussprechlich erhabene Tochter der Ewigkeit” (Szenen aus dem Geisterreich, S. 219), – “göttliche Freundin” (ebenda, S. 223), dankt der – “erhabenen Dolmetscherin” (ebenda, S. 241), die ihm – als Engel – oft ungesehen – “immer liebvoll zur Seite ist” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Chrysäon oder das goldene Zeitalter in vier Gesängen. Nürnberg [Raw’sche Buchhandlung] 1818, 1. Gesang, Versabschnitt 3), – den Gedankengang leitet (Szenen aus dem Geisterreich, S. 282),
aber – auch vom Jenseits berichtet (Szenen aus dem Geisterreich, S. 308) und – Jung-Stilling (der im Chrysäon Selmar heisst) auf einer “Himmels-Leiter” zum Sehen führt (Chrysäon, Prolog, Versabschnitt 2; siehe auch Versabschnitt 8) sowie – zu seiner verstorbenen Tochter Elisabeth (Lisette, 1786–1802) und zu deren Mutter (Jung-Stillings zweiter Ehefrau Selma von St. George, 1760–1790) geleitet (Chrysäon, 4. Gesang, Versabschnitt 2 ff.), – ihn aber auch von himmlischen Höhen “in müdes Weltgewühle” zurückbringt (Chrysäon, 3. Gesang, Versabschnitt 87).
Siehe zum Verständnis der Engel im religiösen Denken von Jung-Stilling auch Jung-Stilling-Lexikon Religion. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1988, S. XX f., S. 30 ff. — Vgl. zum Grundsätzlichen aus neuerer theologischer Sicht Herbert Vorgrimler: Wiederkehr der Engel? Ein altes Thema neu durchdacht, 3. Aufl. Kevelaer (Butzon & Bercker) 1999 (Topos plus-Taschenbücher, № 301) mit ausführlichem Literaturverzeichnis (S. 113 ff.); Paola Giovetti: Engel, die unsichtbaren Helfer der Menschen, 8. Aufl. Kreuzlingen, München (Hugendubel) 2003, sowie im Internet die Adresse <http://www.himmelsboten.de>
7 Jung-Stilling erhielt als Professor für ökonomische Wissenschaften in kurpfälzischen Diensten durch Erlass seines Landesherrn, des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalzbayern (1724/1742-1799) vom 31. März 1785 die Ernennung zum “Kurpfälzischen Hofrat”.
Das mit dem Hofrats-Titel verbundene gesellschaftliche Ansehen war zu jener Zeit beträchtlich. Es gewährte dem Träger manche Bevorzugungen, so auch (was Jung-Stilling als reisenden Augenarzt besonders zum Vorteil gereichte) an Posten, Schlagbäumen, Schildwachen, Stadttoren, Übergängen, Brücken sowie an den seinerzeit auch innerlands zahlreichen Post-, Maut- und Grenzstationen.
Der Friedensvertrag von Campo Formio (7 km südwestlich von Udine in Venetien) vom 17. Oktober 1797 zwischen Napoléon und Kaiser Franz II., bestimmte in Artikel 20 den Rhein als die Staatsgrenze zwischen Frankreich und Deutschland. Dies wurde im Frieden von Lunéville (südöstlich von Nanzig [französisch: Nancy] gelegen; ehemalige Residenz der Herzöge von Lothringen) am 9. Februar 1801 bestätigt.
In Artikel 6 des Vertrags heisst es genauer: “S. M. l’Empereur et Roi, tant en Son nom qu’en celui de l’Empire Germanique, consent à ce que la République française possède désormais (= von nun an) en toute souveraineté et propriété, les pays et domaines situés à la rive gauche du Rhin, … le Thalweg (= die seinerzeitige Schiffahrts-Rinne) du Rhin soit désormais la limite entre la République française et l’Empire Germanique, savoir (= und zwar) depuis l’endroit (= von der Stelle an) où le Rhin quitte le territoire helvétique, jusqu’à celui où il entre dans le territoire batave.”
Eine ausserordentliche Reichsdeputation, eingesetzt am 7. November 1801, beriet daraufhin in Regensburg (seit 1663 der Tagungsort des Immerwährenden Reichstags) über die Entschädigung an deutsche Fürsten, die (links der neuen Staatsgrenze zu Frankreich gelegene) Gebiete an Frankreich abtreten mussten.
Durch besondere günstige Umstände (später traten auch noch verwandtschaftliche Beziehungen zu Frankreich hinzu: sein Enkel und Thronerbe Karl [1786/1811–1818] heiratete zu Paris am 7./8. April 1806 Stéphanie de Beauharnais [1789–1860], die Adoptivtochter von Napoléon Bonaparte) vergrösserte der Markgraf von Baden bei dieser Gelegenheit sein Gebiet um ein Mehrfaches. Die pfälzische Kurwürde (das Recht, den Kaiser mitzuwählen) ging auf ihn über. – Wenige Jahre später rückte er durch den Rheinbundvertrag vom 12. Juli 1806 nach Artikel 5 gar zum Grossherzog (Grand Duc) mit dem Titel “Königliche Hoheit” auf.
Mit dem dadurch veranlassten Übergang der rechtsrheinischen Gebiete der Kurpfalz (so auch der alten Residenz- und Universitätsstadt Heidelberg, der neuen [seit 1720] Residenzstadt Mannheim [mit dem grössten Barockschloss in Deutschland] und der Sommerresidenz Schwetzingen [mit dem kurfürstlichen Lustschloss samt 76 Hektar grossen Schlossgarten, Moschee, Badehaus und Theater]) an das Haus Baden durch den Regensburger Reichsdeputationsschluss vom 25. Februar 1803 wurde gemäss § 59, Abs. 1 (“Unabgekürzter lebenslänglicher Fortgenuss des bisherigen Rangs”) der “kurpfälzische Hofrat” DE JURE PUBLICO automatisch zum “badischen Hofrat.”
Zu Beginn des Jahres 1808 wird Jung-Stilling als Berater des Grossherzogs von Baden in Karlsruhe dann (“ohne mein Suchen und Wünschen”, wie er selbst hervorhebt) zum “Geheimen Hofrat in Geistlichen Sachen” ernannt; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe. Ausgewählt und hrsg. von Gerhard Schwinge. Giessen, Basel (Brunnen Verlag) 2002, S. 404 (Anm. 10).
Beim Eintritt von Jung-Stilling in den Himmel kommt ihm Karl Friedrich von Baden freudig entgegen und heisst ihn in der Seligkeit als Bruder herzlich willkommen. – Siehe hierzu und überhaupt zum Übergang von Jung-Stilling in das Jenseits des näheren (unbekannte Verfasserin): Sieg des Getreuen. Eine Blüthe hingeweht auf das ferne Grab meines unvergesslichen väterlichen Freundes Jung=Stilling. Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1820, S. 27.
Bis anhin ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt, wer diese Schrift verfasst hat. Im Vorwort heisst es: “Euch, ohne Ausnahme Allen, ihr geliebten, bekannten und unbekannten Stillingsfreunden, [so!] die ihr ja auch Christus=Freunde seyd! sind diese Blätter gewidmet. Ihr werdet es nicht lächerlich, nicht unschicklich finden, dass sie so spät erst nach dem Hinscheid [so!] des Unvergesslichen erscheinen, wenn ich euch zum Voraus sage: dass ich, als Weib vorerst Männer ausreden lassen – abwarten wollte mit weiblicher Bescheidenheit, was solche zum Denkmal des Allgeliebten aufstellen würden” (Orthographie wie im Original). — Vieles spricht dafür, dass Helene Schlatter-Bernet (1764-1832) Autorin dieser Schrift ist.
Jung-Stilling stand nach seinem frei gewählten Abschied von der Universität Marburg ab 1803 mit einem Ehrensold im Dienst des Hauses Baden. – Siehe hierzu Gerhard Schwinge: Jung-Stilling am Hofe Karl Friedrichs in Karlsruhe, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Bd. 135 (1987), S. 183 ff., Gerhard Schwinge: Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795-1816 und ihres Umfelds. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1994, S. 219 ff. (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 32) sowie zum Verhältnis zwischen beiden Persönlichkeiten auch Max Geiger: Aufklärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie. Zürich (EVZ-Verlag) 1963, S. 237 ff. (Basler Studien zur Historischen und Systematischen Theologie, Bd. 1).
8 Stillings-Freund meint – Gönner, Förderer, später – Verehrer und Anhänger (“Fan”: dieses heute gebräuchliche Wort vom lateinischen FANATICUS = begeistert, entzückt) oder auch – nur wohlwollender Leser der Schriften von Jung-Stilling. Der Ausdruck stammt von Jung-Stilling selbst. Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (Anm. 3), S. 213, S. 441, S. 513, S. 536, S. 566. – Auf der anderen Seite gibt es aber auch “Stillings-Feinde”, siehe ebendort, S. 316.
9 Das Siegerland gilt kulinarisch, auf alle Bereiche der Speisekultur bezogen, als nicht gerade die Spitze in Europa. Jeder, der um die Mittagszeit durch die Stadt Siegen oder die Dörfer des Siegerlandes schreitet, kann dies aus den vielen Küchen entquellenden Dünsten eindeutig bestätigt finden. – Studierende der Universität aus der engeren Umgebung lernen oft bekömmliche Gerichte erstmals im Leben an der dortigen Mensa kennen.
10 Neunkirchen liegt südlich der Stadt Siegen am Zusammenfluss des Wildenbaches und der Heller, die bei Betzdorf (Kreis Altenkirchen, Bundesland Rheinland-Pfalz) in die Sieg mündet; siehe Anmerkung 2. – Durch das Zweite Gesetz zur Neugliederung des Kreises Siegen wurden die bis anhin selbständigen Gemeinden Altenseelbach, Neunkirchen, Salchendorf, Struthütten, Wiederstein und Zeppenfeld am 01. Jänner 1969 zur Grossgemeinde Neunkirchen mit grob 14 000 Einwohnern zusammengeschlossen.
Man nennt das weitere Gebiet auch “Freier Grund”. Der Name bezieht sich auf die vormalige Befreiung von gewissen Abgaben ab die Grafen von Nassau; siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesnes, 2. Aufl. Dillenburg (Seel-Weidenbach) 1902, S. 221 ff., Theodor Kraus: Das Siegerland. Ein Industriegebiet im Rheinischen Schiefergebirge, 2. Aufl. Bad Godesberg (Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung) 1969, S. 126 ff. sowie rechtsgeschichtlich auch Georg W. F. Rintelen (Hrsg.): Das Particular-Recht des Fürstenthums Siegen und der Aemter Burbach und Neuenkirchen (des freien und des Hickengrundes). Im Auftrag des Königlichen Justiz-Ministeriums für die Gesetz-Revision bearbeitet. Zwei Theile. Paderborn (Crüwell) 1838.
Die Bewohner des Freien Grundes gelten bzw. galten als “harter Boden für den Samen des Evangeliums. Ohm Michel aus Weidenau äußerte einmal Missionsinspektor Albert Hoffmann gegenüber, er habe als lebenslustiger, junger Mann alle Schützenfeste im Siegerland besucht, nur nicht im Freien Grund; denn dort sei es immer zu Schlägereien gekommen, bei denen das Messer eine Rolle gespielt habe. Das Messer sei ihm aber zu kalt gewesen”, berichtet Jakob Schmitt: Die Gnade bricht durch. Aus der Geschichte der Erweckungsbewegung im Siegerland, in Wittgenstein und den angrenzenden Gebieten, 3. Aufl. Giessen (Brunnen Verlag) 1984, S. 312.
11 Das Wort “Steimel” wird auf “Steinhügel” zurückgeführt, also auf eine nicht bewaldete und auch kaum weidwirtschaftlich nutzbare, felsige Anhöhe.
Seit mindestens 100 Jahren sind auch die ehemaligen Steinhöhen des Siegerlandes allesamt mit Wäldern bedeckt. Dies wurde dank neuer Pflanzmethoden sowie der Züchtung entsprechender (Nadel)Baumarten möglich. Dazu richtete man Forstverwaltungen zum Betrieb und zur Beaufsichtigung der (auch nicht im Staatseigentum befindlichen) Waldungen ein. Johann Heinrich Jung-Stilling gab dieser Entwicklung wesentliche Impulse; siehe hierzu Roland Boiselle: Jung-Stillings Heischesätze zur Forstsicherung, die frühesten Anweisungen für die Forsteinrichtungen in den Wäldern der Pfalz, in: Allgemeine Forst- und Jagdzeitung, Bd. 129 (1958), S. 220 ff., Jörg Freudenstein: Johann Heinrich Jung-Stilling als Forstwissenschaftler, in: Land, Agrarwirtschaft und Gesellschaft, Bd. 11 (1994), S. 69 ff. sowie Reidmar Egidi: Jung-Stilling-Lexikon Forsten. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1997, insbes. S. 63 ff.
12 Johann Moritz von Nassau-Siegen (“der Brasilianer”), geboren am 17. Juni 1604 in Dillenburg. Nach Ausbildung in Siegen und auf der Ritterschule zu Kassel trat er 1621 in niederländische, ab dem Jahr 1647 in brandenburgische Dienste. Mit Hilfe schwedischer Soldaten nahm er im Jahr 1632 gewaltsam von Siegen Besitz und verdrängte dabei seinen Bruder Johann VIII (der Jüngere) von Nassau-Siegen. Er starb am 20. Dezember 1679 unvermählt und ohne Nachkommen in Kleve. Sein Leichnam ruht in der Grabkammer des von ihm erbauten Unteren Schlosses zu Siegen.
Siehe Ludwig Driesen: Leben des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen, General-Gouverneurs von Niederländisch-Brasilien, dann Kur-Brandenburgischen Statthalters von Cleve, Mark, Ravensberg und Minden, Meister des St. Johanniter-Ordens zu Sonnenburg und Feldmarschalls der Niederlande. Berlin (Deckersche Geheime Ober-Hofbuchdruckerei) 1849, Reprint Kleve (Fingerhut) 1979 sowie Holger Kürbis: Johann Moritz von Nassau-Siegen. Erfurt (Sutton) 2005 und die dort angegebene Literatur.
Johann Moritz wurde vom Kaiser in Wien mit Urkunde vom 25. November 1652 vom Grafenstand in den Fürstenstand erhoben. Die hier geschilderten Ereignisse liegen also in der Zeit vor 1652. Siehe zu einer Erscheinung des Fürsten nahe seinem Grab auch den URL <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stillingf>, dort die Datei “Fürst Johann Moritz”.
13 Seelenpfleger sind Laien, die innert der Gemeinschaftsbewegung (vor allem des Siegerlandes) “Bekehrte” und “Erweckte” besuchen, im Glauben befestigen und sie teilweise auch bei wichtigen bürgerlichen Entscheidungen beraten.
14 Stundenhalter (“redende Brüder”) sind Laien, die für “Erweckte” und “Bekehrte” (vor allem des Siegerlandes) Bibelstunden und Gebetsversammlungen veranstalten. Ihr Wirken wird kritisch gesehen, weil sie (mit biblischer Begründung!) Handlungsanweisungen einmal gegenüber “Geschwistern” (Angehörigen der “Versammlung”), zum andern aber gegenüber “Anderen” lehren. – Der Name “Stundenhalter” ist späteren Datums; das Amt als solches gab es schon zuvor und im Bergbau zumal; siehe Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 20, Sp. 529.
Siehe auch Jakob Schmitt: Die Gnade bricht durch. Aus der Geschichte der Erweckungsbewegung im Siegerland, in Wittgenstein und den angrenzenden Gebieten, 3. Aufl. Giessen (Brunnen Verlag) 1984, insbes. S. 139 ff. sowie Johannes Dohmann: Zeugendienst. Handreichung für Stundenhalter. Neumünster (Vereinsbuchhandlung Ihloff) 1930.
15 Zur Zeit der Regierung von Johann Moritz (1632–1679) war die Zentralbehörde in Siegen der Bergvogt, während vor Ort der Bergmeister als Ehrenbeamter eingesetzt war. – Über spätere Zuordnungen siehe Ellen Scheuner: Die Wirtschaftspolitik der Nassauer im Siegerland vom 16. bis 18. Jahrhundert. Münster (Westfälische Vereinsdruckerei), S. 63 und über frühere Instanzenzüge Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung (Anm. 10); S. 250 ff.
16 Anhöhe südlich von Neunkirchen, knapp 420 Meter hoch. Es befinden sich dort mehrere, ab dem Jahr 1962 stillgelegte Bergwerksanlagen, in denen manganhaltiger Spateisenstein und als Nebenmineral auch Kupferkies gewonnen wurde; zum Namen “Steimel” vgl. Anm. 11. – Siehe Jahrbuch des deutschen Bergbaus, Bd. 55 (1962), S. 372 (Stillegungs-Beschluss) sowie die älteren Jahrgänge dieses Handbuchs. – Vgl. auch Horst Günther Koch: Bevor die Lichter erloschen: der Kampf um das Erz. Von Bergleuten und Gruben, vom Glanz und Elend des Siegerländer Bergbaus, 5. Aufl. Siegen (Koch) 1987 zur Bergbautradition im Siegerland sowie Rudolf Elhardt: “Glückauf” und die Kultur des Siegerländer Bergmannes. Freudenberg (Becker) 2001 (Reihe “Geschichten zur Geschichte des Siegerlandes”).
17 In der Regel eine kleine Holzhütte in der Nähe des Schachtes, in denen sich die Bergleute vor dem Abstieg in das Bergwerk zum Bittgebet versammelten und ebenso nach geglückter Auffahrt wieder zum Dankgebet zusammenkamen. In dieser Hütte wurden im Regelfall auch die Gerätschaften verwahrt; siehe Anmerkung 20.
18 Der Hellerberg (367 Meter) liegt südlich von Neunkirchen. Auch er enthält eisenhaltige Gänge, die bis in das Jahr 1950 ausgebeutet wurden. Heute befindet sich auf der Spitze des Hellerbergs ein weithin sichtbarer, 50 Meter hoher Sendemast.
19 Den Zwergen (Wichte[l]n) wurden wegen ihrer Beschäftigung mit dem Feuer rotes Haar und roter Bart zugelegt. Sie trugen rote Röcke – als Bergbauzwerge auch rote Lederschürzen – sowie rote Hüte oder rote Zipfelmützen. In Frankreich heissen sie chaperon rouge (“Rotkäppchen”).
Siehe Annekatrin Puhle: Das Lexikon der Geister. München (Atmosphären) 2004, Claudia Hötzendorfer: Elfen, Nymphen, Trolle und Zwerge. Die geheimnisvolle Welt der Natur- und Elementargeister. München (Erd) 2003 und die dort (S. 224 ff.) angegebene Literatur sowie zur Realität von derartigen Geistgestalten Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde, in einer Natur= Vernunft= und Bibelmäsigen (so!) Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße (so, also mit Eszett). Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1808 (Reprint Leipzig [Zentralantiquariat der DDR] 1987, S. 184 ff.
20 Gezähe (vom althochdeutschen Wort GIZOUWI = Gerät) ist der umfassende Name für sämtliche beim Bergbau erforderlichen Werkzeuge.
Das Gezähe bestand in der Frühzeit noch aus spitzen Steinen, dann aus Hirschgeweihen; nach und nach entwickelte man Schlägel (ein Schlaghammer mit viereckigem Querschnitt und hölzernem Stiel) und (Berg)Eisen. Das Bergeisen ist ein keil- oder meisselartiges Werkzeug, welches mit einem Stiel gehalten wird. Der Schlägel dient dazu, die Schneide des Bergeisens in den Fels zu treiben und das Gestein loszutrennen.
Schlägel und Eisen – und damit sehr anstrengende, kräftezehrende Handarbeit – waren über Jahrhunderte die einzig dauerhafte Technik zum Vortrieb – von Stollen: waagerecht oder leicht ansteigend von der Tagesoberfläche aus in eine Bergflanke getriebene unterirdische Gänge, – von Strecken: waagerechter Grubenbau von regelmässigem Querschnitt; dieser wird von einem anderen Grubenbau aus durch Streckenvortrieb angelegt und dient dem Abbau (Abbaustrecke), der Förderung (Förderstrecke) oder Bewetterung (Wetterstrecke) und – Schächten: senkrechte Grubenbauten. – Erst im 17. Jahrhundert verdrängte das Schiessen mit Schwarzpulver nach und nach diese Handarbeit. Die Pneumatik (druckluftbetriebene Abbauwerkzeuge) setzen sich erst ab etwa 1870 im Bergbau durch.
21 Spateisenstein (Siderit [vom griechischen SIDEROS = Eisen], Rotspat, FeCO3) ist ein im südlichen Siegerland liegendes Mineral. Es findet sich als stockförmige bis linsenförmige Einlagerungen im Gestein.
Siehe Wilhelm Bosum: Geologisch-lagerstättenkundliche und geophysikalische Untersuchungen im Siegerländer-Wieder Spateisensteinbezirk. Hannover (Bundesforschungsanstalt für Bodenforschung) 1971 (Geologisches Jahrbuch, Beihefte, № 90) mit zahlreichen Graphiken und Beilagen sowie zur Entstehung der Erzgänge Heinrich Qurring: Das Gesetz des Einschiebens und der Vertaubung der Spateisenstein- und Eisenglanzgänge des Siegerlandes. Berlin (Preußische Geologische Landesanstalt) 1924 (Archiv für Lagerstättenforschung, Heft 33); auch hier erläuternde Skizzen und Textabbildungen. – “Vertaubung” nennt man im Bergbau das langsame Verarmen im Verlauf einer Erzlagerstätte.
22 Papist unfreundliche Bezeichnung für einen Katholiken. – In der damaligen Grafschaft Siegen wurde die lutherische Reformation um das Jahr 1530 eingeführt. Auf der Dillenburger Synode vom 8. bis 10. Juli 1578 beschloss man die Einführung des Calvinismus. Nach kurzer Zeit der katholischen Restauration zwischen 1626 und 1632 (siehe Anm. 12) obsiegte wieder der Calvinismus; dieser durchdrang Religion und Sitte des Siegerlandes nachhaltig.
Siehe hierzu (mit reichlichen Quellen- und Literatur-Verweisen, Abbildungen sowie Register) Gerhard Specht: Johann VIII. von Nassau-Siegen und die katholische Restauration in der Grafschaft Siegen. Paderborn (Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens) 1964 (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte, Bd. 4).
23 Theodul = Diener GOttes.
24 Prädikant (vom lateinischen PRAEDICARE = predigen): wenn nicht anders dargelegt, versteht man darunter den Geistlichen einer à la façon de Genève (also calvinistisch) reformierten Gemeinde.
25 Glückauf = alter bergmännischer Gruss; ursprünglich der Anwunsch nach gefahrloser Auffahrt aus dem Berg. Bis etwa 1965 in den deutschen Bergbauregionen eine verbreitete, auch allgemeine Begrüssungsform; seitdem erloschen. – Der Gruss gilt heute als absonderlich, schrullig, ja sogar den der heimischen Bergbautradition unkundigen Jüngeren als lächerlich.
26 Siehe Anmerkung 10. – Die Heller entquillt im Staatsforst Haiger (Bundesland Hessen) in etwa 490 Meter auf der Höhe Sinnerhöfchen und gibt ab dem Ort Wasserscheide (heute Teil der Gemeinde Burbach, Kreis Siegen-Wittgenstein) einem kurvenreichen Tal seinen Namen. Die 32,2 Kilometer lange Heller füllt sich durch mehrere wasserreiche Bäche (Siegenbach, Höhbörnchen, Bachseifen, Ginnerbach, Burbach, Buchheller, Gilsbach, Mischenbach, Wildebach, Seelbach, Dermbach, Sottersbach, Daade, Steinebach)
aus dem über dem Tal liegenden Höhen, ehe sie auf etwa 190 Meter Höhe in die Sieg bei Betzdorf mündet; siehe Anmerkung 2.
Durch das Tal führt eine Bahnlinie, die 42 Kilometer lange, nach 1980 auf eingleisigen Betrieb zurückgebaute Hellertalbahn. Diese wurde in den Jahren 1859 bis 1862 als Hauptbahn von Köln-Deutz nach Giessen in mehreren Abschnitten durch die Cöln-Mindener-Eisenbahngesellschaft errichtet. Sie war bis 1870 vollständig zweigleisig ausgebaut. – Die Strecke verläuft von Betzdorf (Sieg) über Herdorf, Neunkirchen (Siegerland), Burbach (Siegerland) und Haiger bis Dillenburg. Die Endstationen der Strecke liegen in Rheinland-Pfalz (Betzdorf) und Hessen (Dillenburg). Zwischen Struthütten und Niederdresselndorf verläuft die Strecke im Bundesland Nordrhein-Westfalen. – Siehe hierzu Gerhard Schäfer: Die Talbahn im Freien Grund. Die Geschichte der Freien Grunder Eisenbahn. Freiburg im Breisgau (EK-Verlag) 1998 mit zahlreichen graphischen Darstellungen (Reihe Regionale Verkehrsgeschichte, Bd. 24).
27 Sie zu den Taufnamen Lothar Irle: Die Vornamensgebung im Siegerland. Siegen (Vorländer) 1932.
28 Oberkonsistorium war zu jener Zeit die höchste geistliche Behörde für die Grafschaft Siegen; ihre Zuständigkeit erstreckte sich auch auf die Schulen.
29 Der Berggeist Theodul erschien den Bergleuten am 5. Februar, dem Tage der Heiligen Agatha (auch im neuen, seit dem Jahr 1969 in der Katholischen Kirche verbindlichen Heiligenkalender auf diesem Tag geblieben). Agatha (ungefähr 225–250) wurde als Martyrin in Catania (Insel Sizilien) im 4. Jahrhundert hingerichtet. – Siehe Friedrich Wilhelm Bautz: Agatha, Märtyrerin, Heilige, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1. Hamm (Bautz) 1990, Sp. 53 und die dort angegebene Literatur:
In katholischer Zeit genoss die Heilige Agatha auch im Siegerland und im angrenzenden Sauerland (als Patronin der Glockengiesser und Schutzheilige gegen Feuer) hohes Ansehen. Am Agathentag wurden in Häusern und Ställen Lichter angezündet (gegen Gefahren durch Feuer) und Kerzen geweiht. Erste Patronin der Bergleute freilich war immer die Heilige Barbara. – Siehe auch Lothar Irle: Heilige in Verehrung und Volkstum des Siegerlande. Siegen (Siegener Heimatverein) 1969 und die dort (S. 116 ff.) angegebene Literatur.
30 Calvin = der längstenzeits in Genf wirkende Reformator Johannes Calvin (1509–1564), dessen Lehrdoktrin das Siegerland 1578 infolge Konfessionswechsels des Landsfürsten annahm, siehe Anmerkung 22. – Obgleich von Geburt Franzose, fand in seinem Wirken zu Genf unmittelbar und mittelbar (oft in Gegenposition und im Widerstand zu örtlich vorgefundenen Denk- und Handlungsmuster) manches Eingang, was für das Genfer Bürgertum seinerzeit im Guten wie im Schlechten kennzeichnend war.
Siehe Alister E. McGrath: Johann Calvin. Eine Biographie. Zürich (Benziger) 1991 (mit Literaturverzeichnis S. 387 ff.), Franz Wilhelm Kampschulte: Johann Calvin. Seine Kirche und sein Staat in Genf. Genf (Slatkine Reprints) 1972 sowie Volker Reinhardt: Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf. München (Beck) 2009 und die dort (S. 264 ff.) angegebene Literatur.
31 Jung-Stilling ist in dem Dorf Grund im nördlichen Siegerland geboren; der Ort ist heute Teil der Stadt Hilchenbach im Kreis Siegen-Wittgenstein des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
32 Hadamar = Stadt mit (heute) knapp 13 000 Bewohnern zwischen Lahntal und Westerwald im Landkreis Limburg-Weilburg des Bundeslandes Hessen. – Hadamar war von 1303 bis 1394 die Residenz der Fürsten von Nassau-Hadamar und erhielt 1324 Stadtrechte.
Siehe Karl Joseph Stahl: Hadamar, Stadt und Schloß. Eine Heimatgeschichte anläßlich der 650-Jahrfeier der Stadtrechteverleihung an die Stadt Hadamar. Hadamar (Magistrat der Stadt) 1974 und die dort (S. 294 ff.) angegebene Quellenliteratur.
33 Hades = Reinigungsort, in dem auf Erden fehlbare Menschen für die ewige Seligkeit vorbereitet werden. – Siehe hierzu ausführlich Johann Heinrich Jung-Stilling: Geister, Gespenster und Hades. Wahre und falsche Ansichten, hrsg. und eingel. von Gerhard Merk. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1993, , insbes. S. 127 ff.
34 Durch Heirat in eine ortsansässige Familie konnte man in der Regel das Bürgerrecht einer (Stadt)Gemeinde erwerben; siehe hierzu am Naoko Morita: Wie wurde man Stadtbürger? Geschichte des Stadtbürgerrechts in Preußen im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main (Lang) 2008 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 1055).
Freilich verweigerte man Angehörigen mosaischen Bekenntnisses auch in Frankfurt lange Zeit das Bürgerrecht, wiewohl sie die wichtigsten Steuerzahler waren. In die Auseinandersetzung zu diesem Thema griffen namhafte Gelehrte der damaligen Zeit ein. – Siehe (Karl Schreiber): Ueber die Ansprüche der Judenschaft zu Frankfurt am Main, auf das volle Buergerrecht dieser Stadt. Frankfurt (Wenner) 1817 und dazu Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851): Beurtheilende Uebersicht der über die Ansprüche der Frankfurter Judenschaft auf das dortige Bürgerrecht kürzlich erschienenen Hauptschriften. Heidelberg (Mohr & Winter) 1817 sowie Johann Friedrich von Meyer (1772–1849): Abdruck der Gegen-Erklärung des Senats der freien Stadt Frankfurt am Main an die Hohe deutsche Bundes-Versammlung. Frankfurt a. M. (Wenner) 1817.
35 Siehe hierzu Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde (Anmerkung 19), S. 82 ff., S. 371.
36 Kurantes Geld = hier: gesetzliche Zahlungsmittel; kurant = gängig, üblich, rechtmässig in Umlauf gebracht. – Als Kurantmünzen bezeichnete man früher Edelmetallmünzen, bei denen der Marktwert des darin enthaltenen Edelmetalls (Gold, Silber) dem aufgeprägten Nennwert der Münze entsprach. Alle anderen Münzen waren (und sind noch heute) Scheidemünzen.
37 Ein jeder Christ, der in die Seligkeit eingeht, empfängt von GOtt einen neuen Namen, siehe Offenbarung 2, 17 sowie (Johann Heinrich Jung-Stilling:) Die Siegsgeschichte der christlichen Religion in einer gemeinnüzigen (so!) Erklärung der Offenbarung Johannis. Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1799, S. 89.
Der besondere Name, mit dem Jung-Stilling im Jenseits beschenkt wurde, ist Ohephiah (= der GOtt liebt). Siehe [Christian Gottlob Barth:] Stillings Siegesfeyer. Eine Scene aus der Geisterwelt. Seinen Freunden und Verehrern. Stuttgart (Steinkopf) 1817.
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