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Prof. Dr. Gerhard Merk, Dipl.rer.pol., Dipl.rer.oec.

Abhandlungen über Johann Heinrich Jung-Stilling

Nachtodliche Belehrungen zur Ökonomik

Nachtodliche Belehrungen zu Persönlichkeiten

Nachtodliche Belehrungen zur Philosophie

Nachtodliche Belehrungen zur Theologie

Nachtodliche Belehrungen zu verschiedenen Themen

 

Die Drangsal der Haubergs-Frau

Bericht über ein gespenstisches Zusammentreffen sowie über eine nachgehende nachtodliche Belehrung durch den hochgelehrten, lebenserfahrenen und bis anhin unvergessenen Herrn

Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817),

der Weltweisheit und Arzneikunde Doktor,

seit 1785 Kurpfälzischer, ab 1803 durch Rechtsübertragung Badischer Hofrat, durch Verleihung ab 1808 Grossherzoglich Badischer Geheimer Hofrat,

lebzeitig bis 1803 Professor für ökonomische Wissenschaften sowie Lehrbeauftragter für operative Augenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Marburg/Lahn; hiebevor bis 1787 Professor für angewandte Ökonomik –mit Einschluss der Tiermedizin – an der Universität Heidelberg und anvorderst seit 1778 in gleicher Bestellung an der Kameral Hohen Schule Kaiserslautern;

weiland Gründungsmitglied der Geschlossenen Lesegesellschaft zu Elberfeld; dortselbst seit 1772 praktischer Arzt, Geburtshelfer, Augenarzt und ab 1775 auch behördlich bestellter Brunnenarzt sowie Lehrender in Physiologie; der kurpfälzischen ökonomischen Gesellschaft in Heidelberg, der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim, der Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste in Kassel, der Leipziger ökonomischen Sozietät Mitglied sowie auch der erlauchten Loge “Karl August zu den drei flammenden Herzen” in Kaiserslautern Mitglied,

Nach erfolgter Unterweisung gleichbalden zu dienlicher Aufklärung niedergeschrieben und gemeinen Nutzens zu gut mit behendigster Geflissenheit ins Internet gestellt, dabei alle Leser gÖttlicher getreuer Obsorge und beständigen englischen Schutzes gleichermassen innigst empfehlend von

Glaubrecht Andersieg

zu Lichthausen, Grafschaft Leisenburg* ₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪

Markus-Gilde, Siegen 2009

Die gewerbliche Nutzung des Textes bedarf der schriftlichen Einwilligung der löblichen Markus-Gilde, Siegen (Deutschland).

info@jung-stilling-gesellschaft.de

Begegnung mit einem Gespenst bei Rudersdorf

Von Rudersdorf1 schlug ich allein
Den Wanderweg nach Osten ein.
Es war ein erster Frühlingstag;
Die Landschaft noch im Kahlen lag,
Da jählings schritt auf feuchter Au
Aus Richtung Wald her eine Frau.

Umhüllt war sie mit langer Schürze;
Sie ging am Stock, dass sie nicht stürze;
Ein Kopftuch trug sie auf dem Haupt;
Der Zähne schien sie ganz beraubt.
Der Körper war gebeugt und krumm,
Sie roch nach Moder um und um.

Mir schien es ohne Zweifel klar,
Dass diese Frau Gespenst nur war.
Und plötzlich fiel es mir auch ein:
Das kann die Haubergs-Frau2 nur sein!

“Ihr seid die Haubergs-Frau, nicht wahr”?
Sprach an ich sie, laut wahrnehmbar,
Als sie zwei Meter vor mir stand
Und starrte an mich unverwandt.
“Gelobt sie GOtt in Ewigkeit!
Doch was tut ihr in dieser Zeit,
Die längst nicht mehr die eure ist?
Warum blickt drein ihr denn so trist? —

 

Haubergs-Frau erzählt ihre persönlichen Umstände

“Herr Andersieg, hört euch das an,
Wie grausam ich geriet in Bann
Und GOtt an mir doch Unrecht tut,
Da einen Fluch er auf mich lud.

Mein Mann war Kleinschmied hier nicht weit;
Auch fuhr er Kohlen meilenweit3
Zu Hütten und zu Hammerwerken.
Er war bekannt bei den Gewerken,4
Weil einen Tag5 er auch besass
An einer Hütte, deren Mass
Zwei Reisen6 je im Jahr betrug:
Doch uns blieb dennoch nicht genug.

Mein Gatte hatte einen Vetter,
Der war zu Siegen Eisenplätter.7
Am Hammer8 hatte er das Sagen
Mit einer Zeit von dreissig Tagen.
Der nächste Plätter dort verfuhr
Noch nicht einmal zehn Tage nur.
Ihr könnt daraus ermessen leicht:
Der Vetter war ausnehmend reich.

Der Cousin war ein Junggeselle
Und stand schon an des Alters Schwelle.
Er kam zu uns in jedem Jahr,
Weil Pate zu dem Sohn er war.
Er frug dann und erforschte ihn,
Ob treu im Geiste von Calvin9
Sein Mündel wachse brav heran;
Auch gab ihm eine Münze dann.

 

Ermordung des reichen Vetters wird ausgeführt

Der Vetter wollte gar nicht sterben:
Vergebens harrte ich aufs Erben.
Er bot gesund und wohl sich dar,
Kam zu Besuch er jedes Jahr,
Derweil es uns ging ziemlich schlecht;
Herr Glaubrecht: das war ungerecht!!

Drum sann ich drauf, ihn zu entleiben,
Dass sein Besitz für uns mag bleiben.
Geschickt war alles auch vollbracht:
Es schöpfte niemand je Verdacht.

Ich nahm mein Handeln niemals schwer:
Der Vetter eh gestorben wär!
Auch sehe ich bis heut nicht ein,
Was dabei sollte schändlich sein?
Denn warum konnte er reich leben,
Derweil uns wenig bloss gegeben?

 

Die Erbschaft fällt anderen zu

Jedoch trug nunmehr ich den Lohn
Für meinen Einsatz nicht davon,
Weil uns der Nachlass fiel nicht zu!
Noch lag der Tote nicht zur Ruh,
Da trat ein andrer Vetter auf
Mit Akten, Urkunden zuhauf,
So dass der Hütten-Kommissär10
Willfahrte seinem Erbbegehr.

Das Bergverhör11 in Siegen wies
Den Einspruch ab, den gleich ich liess
Für Mann und Sohn dort bringen vor:
Ein jeder ganz sein Recht verlor.

Als Unrecht solches ich empfand;
Denn schliesslich war durch meine Hand
Das Erbe erst geworden frei,
Drum waren wir jetzt an der Reih!

 

Mann und Sohn verunglücken

Ein Monat später war es nur,
Da legten sie mir auf den Flur
Den Mann und Sohn als Tote hin:
Ein Meilerbruch12 schlug sie dahin.

Jetzt war, Herr Glaubrecht, ich in Wut
Auf GOtt, der solche Leiden tut.
Ich fluchte, lästerte und schalt
Auf GOttes Macht und Allgewalt.

Dann stürzte selben Abends ich
In Zorn, Wut und Verzweiflung mich
Hinaus hier in den Haubergswald
Und ward zu einer Spukgestalt.

Erwägt, Herr Glaubrecht, bitte ihr:
Geschah nicht grosses Unrecht mir?
Was habe ich getan denn schon,
Dass GOtt mich macht zur Unperson?
Weil ich es zu erreichen wusste,
Dass dieser Geizhals sterben musste,

Dass wir, um die es schlecht bestellt,
Erhalten endlich unser Geld,
Muss ich erdulden solches Leid?
Herr Glaubrecht: das geht doch zu weit
Und zeigt wohl überdeutlich an,
Dass GOtt ein grausamer Tyrann.”
Die Hand dabei zur Faust sie streckte
Und lästerlich zum Himmel reckte.

 

Haubergs-Frau entschwindet, ehe ich reden kann

Mir fiel spontan sehr vieles ein,
Was hier gesagt wohl sollte sein.
Doch eh ich konnt damit beginnen,
Sah ich die Haubergs-Frau entrinnen.
Sie eilte plötzlich weg von mir,
Als sei der Teufel hinter ihr:
Sie rannte, raste ohne Halt
Geradewegs zum Niederwald,
Wo im Gehölz sie rasch verschwand:
Dort Zuflucht, Unterschlupf wohl fand.

Die Luft war auch in kurzem frei
Von jenem Duft nach faulem Ei,
Der scharf die Haubergs-Frau begleitet
Und rundherum sich rasch verbreitet.

 

Stillschweigen meinerseits über das Erlebte

Ich hielt geheim, was ich gesehen:
Sie würden doch es nicht verstehen
Und hielten gar mich noch für toll:
Das kann leicht sein verhängnisvoll!

Wenn nämlich über Geist-Gesicht
Ein Arzt bei Fach-Kongressen spricht,
Dann ist er rührig darauf aus,
Zu holen aus dem Irrenhaus
Befunde, Fälle, “Kranken-Gut”,
Das dort man in die Zellen lud.13
Gemeinhin lacht man jeden aus,
Der redet solchen blöden Flaus.
Ja selbst des Nachbars kleine Dirn
Tippt hinter ihm sich an die Stirn.

 

Treffen mit Jung-Stilling in Siegen

Zu Siegen schritt darauf im Mai
Empor ich gen Sankt Nikolai.14
Da konnte ich auf einmal sehen
Gemütlich durch die Strasse gehen
Jung-Stilling15 und Geist Siona16
In Richtung Unterstadt allda.
Jung-Stilling lächelte mich an
Und winkte mich zu sich heran.

“Herr Glaubrecht: gönnt euch etwas Zeit
Und findet wieder euch bereit
Mit uns an eine Bank zu treten,
Damit zusammen wir bereden,
Was neulich auf dem Weg ihr saht,
Als euch ein Geist entgegentrat.

Wenn ich den Vorgang recht durchschau,
Kam nahe euch die Haubergs-Frau,
Die durch den Niederwald dort irrt
Und manchen Wanderer verwirrt.”

Ich folgte Stilling auf die Bank,
Abseits von Kraftfahrzeug-Gestank.
Auch Stillings Engel Siona
Nahm Platz auf dieser Bank allda.

 

Haubergs-Frau muss zunächst Reue empfinden

“Herr Hofrat17 Jung”, sprach ich ihn an,
“Wann löst sich endlich denn der Bann,
Der hart auf dieser Armen ruht
Und die drum gegen GOtt voll Wut?” —

“Mein Stillings-Freund,18 ihr seht wohl ein:
Entbindung wird erst möglich sein,
Wenn dieser Frau wird endlich klar,
Dass sie es ja gewesen war,
Die solche Drangsal zog auf sich,
Durch eine Mordtat freventlich:
Aus reiner Habgier, Neid und Geiz:
Durch einen Normbruch ihrerseits.

Solang sie sich als Opfer sieht
Und jeder Einkehr, Reue flieht,
Wird sie – wie bislang – weiterhin
Als Haubergs-Frau durch Fluren ziehn.

Verschüttet ist ganz ihr Gewissen.
Dies zeigt sich, dass sie starr-verbissen
Den Mord selbst heute noch verteidigt,
Dazu gar boshaft GOtt beleidigt.

Drum werden künftig auch Dämonen
In ihrem ganze Wesen wohnen.
Ich brachte dazu viel Befunde
In meinem Werk zur Geisterkunde.19
Doch biegt am Ende GOttes Gnade
Auch einst die Haubergs-Frau gerade.”

 

Ist dämonische Innewohnung denn nicht überholt?

“Herr Hofrat: oftmals sie betonen,
Dass Menschen können von Dämonen
Ergriffen sein; ein böser Geist,
Sei fest mit ihnen so verschweisst.20

Ich frage mich, ob das auch richtig?
Man weiss doch heut, dass unterschichtig
In jedem Menschen Kräfte sind,
Für die man früher war noch blind.
Zu nennen wäre Hysterie,21
Ein Anfall von Epilepsie22
Auch chronische Bewusstseins-Spaltung23
Sowie abnorme Nerven-Schaltung,
Sodass im Körper dann die Sinne
Leicht werden kranken Eindrucks inne.

Auch stellen ein sich Zwangsprozesse
Als Frucht der Alkohol-Exzesse,
Die leider ja verbreitet weit:
Heut mehr noch wie zu ihrer Zeit.24
Sie bechern masslos bei den Festen
In Hütten wie auch in Palästen
Und torkeln dann betrunken her,
Als ob ein Dämon tätig wär.
Bezechten eignet of ein Lallen,
Das mag wie Geisterstimmen hallen.

Vergessen seien nicht die Drogen,
Die Menschen haben so verbogen,
Dass sie dem Irrsinn nahe sind,
Und oft den Eindruck man gewinnt,
Als ob hier wirklich ein Dämon
Gekoppelt sei an die Person.
Auch Mondsucht25 sei noch hier genannt:
Zu ihrer Zeit ja schon bekannt.26

Zu guter Letzt: man hat erkannt:
Die Christenheit hat sich verrannt
Mit ihrem krausen Teufels-Glaube,
Der Menschen ihre Ruhe raube.
Man tat, was unsre Zeit gebietet:
Hat sich von ihm verabschiedet.”27

 

Zwischen Krankheit und Besessenheit gilt es zu trennen

“Herr Glaubrecht: es ist sonnenklar,
Dass Unsinn redet offenbar,
Wer wähnt, dass immer Schmerz und Leiden
Dämonen wären anzukreiden.

Nie habe solches ich gelehrt,
Hingegen immer klar erklärt,
Dass Medizin als Wissenschaft
Allein kommt zu hier Urteilskraft.
Behandlung drum muss sich vollziehn,
Wie dies empfiehlt die Medizin.

Dies alles schliesst jedoch nicht aus,
Dass auch ein Dämon rundheraus
Den Körper so belegen kann,
Dass eine Krankheit zeigt sich an.
Vorzeiten unsre Glaubens-Väter
Dies lehrten so auch vom Katheder.28

Doch war man schon zu meiner Zeit
Zu reden davon kaum bereit;
Und so ist es bis heut geblieben:
Das Thema alle von sich schieben.

 

Abschied vom Teufel

Lasst darauf kurz mich jetzt noch kommen,
Dass heut hat Abschied man genommen
Vom Teufel: will ihn nicht mehr haben,
Drum fröhlich hat ihn ja begraben.

Man kann dem Teufel durch Verschweigen
Nicht besser seine Gunst erzeigen!
In Höllen-Lust er feurig loht,
Wenn sagt man ihn auf Erden tot.

Ach lieber Glaubrecht: solcher Wahn
Dem heut die Masse zugetan,
Ist gleichso schlimm verrückt und toll,
Wie wenn, was scheint geheimnisvoll,
Als Wirken böser Geister man
Und Machwerk sieht der Hölle an.

Wie schwer fällt jeweils doch das Dritte:
Die einsichtsvolle, kluge Mitte,
Zu der im Erdenleben ich
Stetes hingezogen fühlte mich.”29

 

Jung-Stilling wird weggerufen; auch Siona entschwindet

Als Stilling dieses legte da,
Bog hin zu ihm sich Siona.
Er sprach ihm etwas leis ins Ohr
Und wies zum Obren Schloss30 empor,
Worauf sich Stilling von mir wandte
Und schleunigst nun bergaufwärts rannte.

“Verzeiht”, sprach Siona zu mir
“Dass Hofrat Jung ging weg von hier.
Als Arzt er jemand helfen muss,
Den plötzlich traf ein Herzverschluss.
Man hat im Himmel just befunden:
Ohephiah31 ihn soll gesunden!

Die Fragen, die noch bleiben offen –
Auf das dürft ihr gewisslich hoffen –
Klärt Hofrat Jung in nächster Zeit.
Gelobt sie GOtt in Ewigkeit!”

Mit einmal war der Platz jetzt leer,
Auf dem der Engel sass bisher.
Danach fiel mehrmals flackernd ein
An seinen Platz noch bunter Schein,
Als ob dem Himmel Farbe mild
In wunderbarem Glanz entquillt.

Ein Rudel junger Mädchen kam
Und Richtung auf die Sitzbank nahm.
Drum stand ich auf – es schlug vier Uhr –;
Nach Hause mit der Bahn ich fuhr.

Am Abend schrieb ich dann gleich auf
Der Rede Inhalt und Verlauf.
Was hier man liest, entspricht genau
Was Stilling mir zur Haubergs-Frau
Danach auch zu Dämonen sagte
Samt dem, was ich von ihm erfragte.

Es zeigt in Reim sich alles da:
Hier wirkte wieder Siona.
Ich danke dafür sehr dem Engel,
Doch zeihe mich man aller Mängel.

 

 

Anmerkungen, Quellen samt einige nützliche Literaturverweise

* Grafschaft Leisenburg = bei Jung-Stilling das ehemalige Fürstentum Nassau-Siegen (mit der Hauptstadt Siegen); –  von 1742 an durch Erbgang Teil der Nassau-Oranischen Lande (mit Regierungssitz in Dillenburg, heute Stadt im Bundesland Hessen); –  im Zuge der territorialen Neuordnung im Wiener Kongresses ab 1815 Bezirk in der preussischen Provinz Westfalen (mit der Provinzhauptstadt Münster); –  nach dem Zweiten Weltkrieg von 1946 an bis heute Gebietsteil des Kreises Siegen-Wittgenstein des Regierungsbezirks Arnsberg im Bundesland Nordrhein-Westfalen in der Bundesrepublik Deutschland.

Siehe Karl Friedrich Schenck: Statistik des vormaligen Fürstenthums Siegen. Siegen (Vorländer) 1820, Reprint Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1981 sowie Theodor Kraus: Das Siegerland. Ein Industriegebiet im Rheinischen Schiefergebirge, 2. Aufl. Bad Godesberg (Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung) 1969 (Standardwerk mit vielen Karten, Übersichten und Rückblenden auf den Entwicklungsverlauf; leider auch in der Zweitauflage ohne alphabetisches Stichwortverzeichnis).

Lichthausen = bei Jung-Stilling die ehemalige selbständige, durch den Bergbau geprägte Gemeinde Littfeld im vormaligen Fürstentum Nassau-Siegen; seit 1. Januar 1969 Teil der Stadt Kreuztal im Kreis Siegen-Wittgenstein. Durchflossen wird der Ort von der rund 13 Kilometer langen Littfe, einem wasserreichen Zufluss in den rund 24 Kilometer langen Ferndorfbach, der seinerseits ein rechten Nebenfluss der Sieg ist und im Zentrum von Siegen-Weidenau in die Sieg mündet. – Die Littfe ihrerseits wird im Ortsgebiet von Littfeld von Osten durch den Heimkäuser Bach (offizieller Name im Gewässerverzeichnis des Landes NRW: Die Heimkaus, 4,7 Kilometer lang) und von Westen durch den Limbach (2,1 Kilometer lang) gespeist.

Der Name Littfeld leitet sich ab aus dem keltischen Wort “Let” für “Lehm”. Die in vielen Gewässernamen der Gegend vorzufindende Endsilbe “-phe” ist die sprachlich abgeschliffene Form von “apha“ = der Bach.

Im wirtschaftsgeschichtlich bemerkenswerten Siegerland ist der hochintelligente und vielseitig begabte Jung-Stilling (siehe Anmerkung 15) geboren, herangewachsen und dort hat auch seine ersten beruflichen Erfahrungen als Köhlergehilfe, Schneider, Knopfmacher, Vermessungs-Assistent, Landarbeiter, Dorschulmeister und Privatlehrer gesammelt.

1 Rudersdorf = Ortschaft im ehemaligen Fürstentum Nassau-Siegen am 6 Kilometer langen Bichelbach, einem Zufluss in die Weiss, die ihrerseits in der Unterstadt von Siegen in die Sieg mündet. Seit Jahresbeginn 1969 ist Rudersdorf Teil der Grossgemeinde Wilnsdorf, Kreis Siegen-Wittgenstein. – Siehe aus der Vergangenheit des Ortes Gerhard Gremler: Unser Rudersdorf. Begebenheiten aus dem Dorfleben; herausgegeben anläßlich des 100jährigen Bestehens des MGV “Einigkeit” Rudersdorf 1884. Rudersdorf (MVG Einigkeit) 1984.

Die in der Dorfmitte stehende und 1910 geweihte katholische Kirche in Rudersdorf hat den Heiligen Laurentius (hingerichtet 258 in Rom; Fest 10. August) zum Patron. In den Altar sind Reliquien der Märtyrer Basilius (hingerichtet zu Nikomedia; Fest 29. April) und Mansueta (Fest 10. Februar) eingelassen. – Siehe Lothar Irle: Heilige in Verehrung und Volkstum des Siegerlandes. Siegen (Siegerländer Heimatverein) 1969, S. 31, S. 43 (Siegerländer Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Heft 19).

2 Haubergs-Frau = eine in dieser Gegend häufig und von vielen gesehene Spuk-Gestalt; siehe hierzu Karl Löber: Ausgewählte Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Dill-Sieg-Gebiets. Marburg (Hessische Vereinigung für Volkskunde) 1971, S. 47.

Vgl. zu Spuk-Geistern allgemein Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde, in einer Natur= Vernunft= und Bibelmäsigen (so) Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße (so, also mit Eszett). Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1808 (Reprint Leipzig [Zentralantiquariat der DDR] 1987), S. 345, S. 373, Johann Heinrich Jung-Stilling: Geister, Gespenster und Hades. Wahre und falsche Ansichten, hrsg. von Gerhard Merk. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1993, insbes. S. 153 f. sowie Martin Landmann: Ahnungen, Visionen und Geistererscheinungen nach Jung-Stilling. Eine ausdeutende Untersuchung. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1995, auch bei <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling> als Online-Ressource abrufbar.

Hauberg ist ein genossenschaftlich gepflegter und bearbeiteter Niederwald, früher in erster Linie betrieben zwecks Gewinnung von Holzkohle zur Erzverhüttung. – Siehe Hugo Wingen: Energie aus dem Hauberg. Siegen (Höpner) 1982 (mit vielen Abbildungen), Alfred Becker: Der Siegerländer Hauberg. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Waldwirtschaftsform. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1991 (mit Literatur-Verzeichnis, S. 105 ff.) sowie mehr rechtgeschichtlich auch Josef Lorsbach: Hauberge und Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes. Karlsruhe (Müller) 1956 (Quellen und Studien des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster, Bd. 10) mit mehreren Falttafeln.

Ältere Literatur auch bei Hermann Bellebaum: Hauberge und Haubergs-Genossenschaften des Siegerlandes. Siegen (Schneider) 1899 und bei Walter Delius: Hauberge und Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes. Eine rechtsgeschichtliche und dogmatische Untersuchung. Breslau (Marcus) 1910, Neudruck Aalen (Scientia-Verlag) 1973 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechts-Geschichte, Bd. 101) mit Literatur-Verzeichnis S. 122 ff.

3 Der (Holz)Kohlenverbrauch im Siegerland war sehr hoch. Er wird für das Jahr 1787 mit rund zwölftausend Wagen, für das Jahr 1563 mit etwa siebentausend Wagen angegeben; siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens, 2. Aufl. Dillenburg (Seel-Weidenbach) 1902, S. 308 (für das Jahr 1787) und S. 273 (für das Jahr 1563), S. 264 (Massordnung aus dem Jahr 1544). – Ein Wagen Holzkohle = 10 Zain = 2 Fuder = 200 Kubik-Werkfuss = 10 Bütten = 5,4 Kubik-Meter. – Siehe zu diesen alten Massen auch Tutzhart Irle: Werteinheiten der älteren Wirtschaft des Siegerlandes. Siegen (Heimatverein) 1970, S. 7.

4 Gewerke = hier: Miteigentümer an einem Bergwerk, einem Hammer oder einer Hütte; siehe auch Anmerkung 8.

 

 

5 Tag = hier: Zeitmass als Recht des Gewerken, auf der Hütte Betriebszeit zu nutzen; gleichzeitig damit auch ein Anteilswert; siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens (Anmerkung 3), S. 299.

6 Reise = “die Zeit, welche den Hütten und Hämmern zu ihrem Betrieb zugestanden ist. Diese wird in Tage, die Tage aber in Stunden eingetheilt” erklärt Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens (Anmerkung 3), S. 302.

7 Plätter = hier: Glattschmied; ein Handwerker, der ebene Metallplatten herstellt (früher noch im Hammer-Verfahren, also nicht gewalzt).

8 Hammer = im Siegerland wassergetriebene Hammerwerke (auch Hammerhütten genannt), in denen Eisen oder Stahl verformt wurde; im Gegensatz zur Blashütte, wo man Eisen oder Stahl erschmolz; siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens (Anmerkung 3), S. 259 ff.

Das Hämmern beschreibt auch sehr anschaulich Johann Heinrich Jung-Stilling: Stahlhandel, Metallverarbeitung und Mechanisierung im Bergischen Land. Beobachtungen und Einschätzungen, hrsg. von Gerhard Merk. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1992, S. 62 ff. (Reihe Jung-Stilling-Schriften, Bd. 4).

9 Calvin = der längstenzeits in Genf wirkende Glaubensfeger Johannes Calvin (1509–1564). – In Nassau-Siegen wurde im Jahr 1533 die lutherische Reformation eingeführt. Durch Konfessionswechsel des regierenden Fürsten folgte 1578 der Calvinismus. Im Jahr 1726 leitete man die Rekatholisierung ein. Bereits sechs Jahre später musste diese – abermals wegen Konfessionswechsels des Regierenden – abgebrochen werden: Siegen wurde recalvinisiert.

Siehe Sebastian Schmidt: Glaube – Herrschaft – Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dilllenburg (1538–1683). Paderborn (Schöningh) 2005 (Reihe Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 50) mit reichlichen Literaturangaben, S. 483 ff.; Friedrich Weber: Lebensbedingungen, Brauchtum und konfessioneller Wandel in Siegen (1640–1815). St. Katharinen (Scripta-Mercaturae-Verlag) 1997 (Reihe Sachüberlieferung und Geschichte, Bd. 21) sowie im einzelnen zu dem fünfmaligen Konfessionswechsel Gerhard Specht: Johann VIII. von Nassau-Siegen und die katholische Restauration in der Grafschaft Siegen. Paderborn (Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens) 1964, S. 87 ff. (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte, Bd. 4).

Diese wiederholten Konfessionswechsel waren rechtlich erlaubt, weil nach dem Augsburger Religionsfrieden im Jahr 1555 und bestätigt durch den Westfälischen Frieden 1648 der Landesherrn die Konfession seiner Untertanen bestimmen konnte (Grundsatz: CUIUS REGIO, EIUS RELIGIO). – Siehe Johann Bader: CUIUS REGIO, EIUS RELIGIO. Wessen Land, dessen Religion, in: Neue juristische Wochenschrift, Bd. 54 (2004), S. 3092 und die dort angegebene Literatur.

10 Hütten-Kommissär = amtliche Aufsichtsperson über das Hütten- und Hammerwesen; siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens (Anmerkung 3), S. 251.

11 Bergverhör = aus zwei Bergmeistern (sachkundige Ehrenbeamte vor Ort) und dem Hütten-Kommissär bestehendes Amt bei Hofe zu Siegen. Siehe Johann Philipp Becher: Mineralogische Beschreibung der Oranien-Nassauischen Land nebst einer Geschichte des Siegenschen Hütten- und Hammerwesens (Anmerkung 3), S. 249 sowie Ellen Scheuner: Die Wirtschaftspolitik der Nassauer im Siegerland vom 16. bis 18. Jahrhundert. Münster (Westfälische Vereinesdruckerei) 1926, S. 62 ff. – (Ver)Hören = hier (in der juristischen Fachsprache): auf etwas Acht haben, etwas beaufsichtigen.

12 Meilerbruch = die (teilweise) sehr hoch aufgeschichteten Holzmeiler bargen die Gefahr des Verrutschens mit nachfolgendem Einsturz. – Siehe hierzu Johann Heinrich Jung-Stilling: Beschreibung der Nassau-Siegenschen Methode Kohlen zu brennen. Mit physikalischen Anmerkungen begleitet. Siegen (Siegerländer Heimatverein) 1958 (Siegerländer Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Heft 9).

13 Wie die Geschichte der Psychiatrie lehrt, ist mancher “interessante Fall” auf solche Weise in die Literatur gekommen. – Siehe zu diesem Themenkreis Thomas S. Szasz: Die Fabrikation des Wahnsinns. Gegen Macht und Allmacht der Psychiatrie. Olten (Walter) 1974, mit Literatur-Verzeichnis, S. 461 ff.; dieses Werk ist 1976 auch als Taschenbuchausgabe (Fischer-Taschenbücher № 6321) erschienen sowie Florian Langegger: Doktor, Tod und Teufel. Vom Wahnsinn in der Psychiatrie in einer vernünftigen Welt. Linz (Pro Mente) 2003, mit Literatur-Verzeichnis, S. 269 ff.

14 Im oberstädtischen Zentrum der Stadt Siegen stehende Kirche mit weithin sichtbarem Turm mit einer goldenen Krone auf der Spitze. Diese goldene Krone liess Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679) gelegentlich seiner Erhebung in den Fürstenstand im Jahr 1658 auf dem Turm anbringen. – Siehe Udo Mainzer: Die Nikolaikirche zu Siegen. Münster (Westfälischer Heimatbund) 1978 (Reihe Westfälische Kunststätten, Heft 3).

15 Hofrat Professor Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817), der Weltweisheit (= Philosophie) und Arzneikunde (= Medizin) Doktor. Dieser wurde in letzter Zeit wiederholt auf Erden gesehen. – Siehe die entsprechenden Erscheinungsberichte aufgezählt bei Bleibfest Stillingtreu: Wundersame Begegnung an der Sal. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 2000, S. 51 ff. sowie die Download-Files unter der Adresse <http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling>

Siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (Anmerkung 2); in kürzerer Form orientiert über das Leben von Jung-Stilling auch Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1989. Mehr die innere Entwicklung schildert Otto W. Hahn: “Selig sind, die das Heimweh haben”. Johann Heinrich Jung-Stilling: Patriarch der Erweckung. Giessen, Basel (Brunnen) 1999 (Geistliche Klassiker, Bd. 4).

Vgl. zum Wiedereintritt Verstorbener in diese Welt Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde, in einer Natur= Vernunft= und Bibelmäsigen (so) Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße (so, also mit Eszett). Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1808 (Reprint Leipzig [Zentralantiquariat der DDR] 1987), S. 220 ff.

Dieses Werk von Jung-Stilling wurde seit seinem Erstdruck in vielen Ausgaben veröffentlicht und auch ins Englische, Schwedische, Niederländische und (noch 1862) Französische übersetzt; siehe die Zusammenstellung bei Klaus Pfeifer: Jung-Stilling-Bibliographie Siegen (J. G. Herder-Bibliothek) 1993 (Schriften der J. G. Herder-Bibliothek Siegerland, Bd. 28).

16 Schutzengel von Johann Heinrich Jung-Stilling. Er zeigte sich diesem zu dessen irdischer Zeit, nahm ihn von dort ins Jenseits mit und schrieb auch für ihn. – Siehe Heinrich Jung-Stilling: Szenen aus dem Geisterreich, 8. Aufl. Bietigheim (Rohm) 1999, S. 220 ff. (S. 279: “Siona hat mir Lavaters Verklärung in die Feder diktiert”).

Der Name Siona bedeutet letztlich “die Himmlische”; siehe die genauere, weitläufige Erklärung dieses Namens bei Philipp Paul Merz: THESAURI BIBLICI PARS SECUNDA, NEMPE ONOMASTICON BIBLICUM SEU INDEX AC DICTIONARIUM HISTORICO-ETYMOLOGICUM. Augsburg (Veith) 1738, S. 1161 ff. (ein bis heute kaum übertroffenes Standardwerk, das viele Nachdrucke und Übersetzungen erfuhr) oder auch bei Petrus Ravanellus: BIBLIOTHECA SACRA, SEU THESAURUS SCRIPTURAE CANONICAE AMPLISSIMUS, Bd. 2. Genf (Chouët) 1650, S. 627 (ein gleichfalls bewährtes und häufig nachgedrucktes Werk).

Jung-Stilling spricht Siona an als –  “unaussprechlich erhabene Tochter der Ewigkeit” (Szenen aus dem Geisterreich, S. 219), –  “göttliche Freundin” (ebenda, S. 223), dankt der –  “erhabenen Dolmetscherin” (ebenda, S. 241), die ihm –  als Engel – oft ungesehen – “immer liebvoll zur Seite ist” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Chrysäon oder das goldene Zeitalter in vier Gesängen. Nürnberg [Raw’sche Buchhandlung] 1818, 1. Gesang, Versabschnitt 3), –  den Gedankengang leitet (Szenen aus dem Geisterreich, S. 282), aber –  auch vom Jenseits berichtet (Szenen aus dem Geisterreich, S. 308) und

 Jung-Stilling (der im Chrysäon Selmar heisst) auf einer “Himmels-Leiter” zum Sehen führt (Chrysäon, Prolog, Versabschnitt 2; siehe auch Versabschnitt 8) sowie –  zu seiner verstorbenen Tochter Elisabeth (Lisette, 1786–1802) und zu deren Mutter (Jung-Stillings zweiter Ehefrau Selma von St. George, 1760–1790) geleitet (Chrysäon, 4. Gesang, Versabschnitt 2 ff.), –  ihn aber auch von himmlischen Höhen “in müdes Weltgewühle” zurückbringt (Chrysäon, 3. Gesang, Versabschnitt 87).

Siehe zum Verständnis der Engel im religiösen Denken von Jung-Stilling auch Gerhard Merk (Hrsg.): Jung-Stilling-Lexikon Religion. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1988, S. XX f., S. 30 ff. sowie Gotthold Untermschloß: Vom Handeln im Diesseits und von Wesen im Jenseits. Johann Heinrich Jung-Stilling gibt Antwort. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1995, S. 16 ff.

17 Jung-Stilling erhielt als Professor für ökonomische Wissenschaften an der Universität Heidelberg durch Erlass des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalz-Bayern (1724/1742-1799) vom 31. März 1785 die Ernennung zum “Kurpfälzischen Hofrat”; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (Anmerkung 3), S. 427. – Jung-Stilling hatte dem Wittelsbacher Kurfürsten 1772 seine medizinische Doktorarbeit gewidmet und ihm die Dissertation im März 1772 auch persönlich bei Hofe zu Mannheim überreicht. Diese trägt die Aufschrift “SPECIMEN DE HISTORIA MARTIS NASSOVICO-SIEGENENSIS”; sie beschäftigt sich mit der Geschichte des Eisenerzeugung im Fürstentum Nassau-Siegen. – Mars = hier: FERRUM, QUIA ROMANIS OLIM FERREUS MARS FUIT; siehe zur älteren Metall-Lehre übersichtlich, in drei Thesen geordnet Anton Lütgens: METALLORUM NATURAM ET DIFFERENTIAS EXPLICANS DISSERTATIO PHYSICA. Kiel (Barthold Reuther) 1707.

Das mit dem Hofrats-Titel verbundene gesellschaftliche Ansehen war zu jener Zeit beträchtlich. Es gewährte dem Träger manche Bevorzugungen, so auch (was Jung-Stilling als reisenden Augenarzt ganz besonders zum Vorteil gereichte) an den damals noch allerwärts anzutreffenden Schlagbäumen, Wegschranken, Posten, Schildwachen, Stadttoren, Überfuhren, Fähren, Brücken sowie an den zu jener Zeit auch innerlands recht zahlreichen Maut- und Grenzstationen.

Der Friedensvertrag von Campo Formio (7 km südwestlich von Udine in Venetien) vom 17. Oktober 1797 zwischen Napoléon und Kaiser Franz II., bestimmte in Artikel 20 den Rhein als die Staatsgrenze zwischen Frankreich und Deutschland. Dies wurde im Frieden von Lunéville (südöstlich von Nanzig [französisch: Nancy] gelegen; ehemalige Residenz der Herzöge von Lothringen) am 9. Februar 1801 bestätigt

In Artikel 6 heisst es genauer: “S. M. l’Empereur et Roi, tant en Son nom qu’en celui de l’Empire Germanique, consent à ce que la République française possède désormais (= von nun an) en toute souveraineté et propriété, les pays et domaines situés à la rive gauche du Rhin, … le Thalweg (= Fahrt-Rinne für die Schiffahrt) du Rhin soit désormais la limite entre la République française et l’Empire Germanique, savoir (= und zwar) depuis l’endroit (= von der Stelle an) où le Rhin quitte le territoire helvétique, jusqu’à celui où il entre dans le territoire batave.”

Eine ausserordentliche Reichsdeputation, eingesetzt am 7. November 1801, beriet daraufhin zu Regensburg (seit 1663 der Tagungsort des Immerwährenden Reichstags) über die Entschädigung an deutsche Fürsten, die (links der neuen Staatsgrenze zu Frankreich gelegene) Gebiete an Frankreich abtreten mussten.

Durch besondere günstige Umstände (bald traten noch verwandtschaftliche Beziehungen zu Frankreich hinzu: sein Enkel und Thronfolger Karl [1786/1811–1818] heiratete zu Paris am 7./8. April 1806 Stéphanie de Beauharnais [1789–1860], die 17jährige Adoptivtochter von Napoléon Bonaparte) vergrösserte Karl Friedrich von Baden (1728/1746–1811) bei dieser Gelegenheit sein Gebiet um mehr das Vierfache; die Bevölkerung stieg von ungefähr 175 000 auf fast 1 Million Bewohner.

Die pfälzische Kurwürde ging auf ihn über; Karl Friedrich wurde damit 1803 vom Markgrafen zum Kurfürsten erhoben. – Wenig später rückte er durch den Rheinbundvertrag vom 12. Juli 1806 nach Artikel 5 gar zum Grossherzog mit dem Titel “Königliche Hoheit” auf.

Mit dem Übergang der rechtsrheinischen Gebiete der Kurpfalz (so auch der alten Residenz- und Universitätsstadt Heidelberg, der neuen [seit 1720] Residenzstadt Mannheim [mit dem grössten Barockschloss in Deutschland] und der Sommerresidenz Schwetzingen [mit dem kurfürstlichen Lustschloss samt 76 Hektar grossen Schlossgarten, Moschee, Badehaus und Theater]) an das Haus Baden durch den Regensburger Reichsdeputationsschluss vom 25. Februar 1803 wurde gemäss § 59, Abs. 1 (“Unabgekürzter lebenslänglicher Fortgenuss des bisherigen Rangs”) der “kurpfälzische” Hofrat DE JURE PUBLICO automatisch nunmehr zum “badischen” Hofrat.

Anfang April des Jahres 1808 wird Jung-Stilling als Berater des Grossherzogs von Baden (“ohne mein Suchen”, wie er selbst betont) zum “Geheimen Hofrat in Geistlichen Sachen” ernannt. – Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Gerhard Schwinge. Giessen, Basel (Brunnen Verlag) 2002, S. 404.

18 Stillings-Freund meint –  Gönner, Förderer, später –  Verehrer und Anhänger (“Fan”: dieses heute gebräuchliche Wort vom lateinischen FANATICUS = begeistert, entzückt) oder auch nur –  wohlwollender Leser der Schriften von Jung-Stilling. Der Ausdruck stammt von Jung-Stilling selbst; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (Anm. 2), S. 213, S. 441, S. 513, S. 536, S. 566. – Auf der anderen Seite gibt es aber auch  “Stillings-Feinde”, siehe ebendort, S. 316.

19 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde (Anmerkung 2), insbes. S. 345 ff.

20 Siehe hierzu auch die biblischen Berichte bei Matthäus 8, 28–34; Markus 5, 2–16, Lukas 8, 27–34; 9, 37–43.

21 Hysterie = Überspannte psychische Einstellungen, die auf psychotische – also zum Erscheinungsbild einer Psychose gehörende – Wurzeln zurückgeführt werden und oft auch mit physischen (wie Lähmung, Krampfanfall) sowie psychischen (wie Bewusstseintrügung, Schreikrämpfe) Merkmalen verbunden sind. Die Benennung “Hysterie” ist als Fachbegriff veraltet und wurde inzwischen durch die Bezeichnung Histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS) bzw. dissoziative Störung ersetzt.

Siehe aus der Fülle der Literatur Samy Teicher (Hrsg.): Hysterie. Wien (Picus-Verlag) 2003 und die dort angegebene Literatur (Schriftenreihe der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 2).

22 Epilepsie oder Fallsucht = Anfallskrankheit, die meist mit Bewusstseins-Störungen einhergeht und oft auch von aussergewöhnlichen Bewegungsabläufen begleitet ist. – Siehe mehr zu diesem Leiden Hermann Stefan, Günter Krämer: Epilepsien, 4. Aufl. Stuttgart (Thieme) 2009 und die dort (S. 305 ff.) angegebene Literatur sowie Jung-Stilling-Lexikon Medizin, hrsg. von Klaus Pfeifer. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1996, S. 63 f.

23 Bewusstseins-Spaltung = Schizophrenie: eine tiefgreifende psychiatrische Erkrankung, die bei den Betroffenen Veränderungen der Gedanken, der Wahrnehmung und des Verhaltens auslöst und dadurch starke Auswirkungen auf die eigene und zwischenmenschliche Lebensführung nach sich zieht. – Siehe mehr bei Ian Hacking: Multiple Persönlichkeit. Zur Geschichte der Seele in der Modern, München (Hanser) 1996 mit ausführlichem Literatur-Verzeichnis, S. 381 ff. Das Buch ist 2001 auch als Fischer-Taschenbuch erschienen.

24 Siehe zur Alkoholsucht Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaftliche Mißstände. Eine Blütenlese aus dem “Volkslehrer”, neu hrsg., eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gerhard Merk. Berlin (Duncker & Humblot) 1990, S. 40 ff.

Es wurde sogar vor dem Kirchgang schon Branntwein getrunken. “Sie gehen ins Kirchdorf und setzen sich dort zunächst einmal ins Wirtshaus. Hier trinken sie Branntwein, ein Glas nach dem anderen. Davon steigt ihnen dann der Rausch in den Kopf. Wenn es aufhört zu läuten, so gehen sie mit dem Rausch in die Kirche. Bald werden sie schläfrig, legen sich auf einen Arm hin und schlafen, daß sie schnarchen”, berichtet aus Erfahrung Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaftliche Mißstände, S. 117.

25 Mondsucht = Somnambulismus oder auch die Somnambulie ist ein Schlafwandeln oder Nachtwandeln. Ohne aufzuwachen, verlässt der Schlafende das Bett, geht umher und verrichtet teilweise sogar Tätigkeiten. – Siehe Isidor Sadger: Über Nachtwandeln und Mondsucht. Eine medizinisch-literarische Studie. Leipzig (Deuticke) 1914, Reprint Nendeln (Kraus Reprint) 1970 (Schriften zur angewandten Seelenkunde, Heft 16).

26 Aus der Fülle der zeitgenössischen Literatur sei beispielhaft genannt Andreas Unze: Der Beobachter des thierischen Magnetismus und des Somnambulismus. Strasbourg (Lorenz und Schuster) 1787. Auch Jung-Stilling befasste sich tiefer mit der Mondsucht; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde (Anmerkung 2), S. 56 und öfters.

27 Siehe hierzu das bekannte Werk des katholischen Theologieprofessors Herbert Haag: Abschied vom Teufel. Vom christlichen Umgang mit dem Bösen, 9. Aufl. Düsseldorf, Zürich (Benziger) 2000 und Herbert Haag (Hrsg.): Teufelsglaube, 2. Aufl. Tübingen (Katzmann) 1980 sowie auch Bernd J. Claret: Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den Teufel. Innsbruck (Tyrolia) 2000 (Innsbrucker theologische Studien, Bd. 49) mit ausführlichem Literatur-Verzeichnis.

Andererseits wird der “Abschieds-These” auch widersprochen; siehe aus der reichhaltigen Literatur Walter Kasper (Hrsg.): Teufel, Dämonen, Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen, 2. Aufl. Mainz (Grünewald) 1978 (Grünewald Reihe); Irmingard Hofgärtner: Teufel und Dämonen. Zugänge zu einer verdrängten Wirklichkeit, 2. Aufl. München (Pfeifer) 1985; Willem C. van Dam: Dämonen und Besessene. Die Dämonen in der Geschichte und Gegenwart und ihre Austreibung, 2. Aufl. Stein am Rhein (Christiana) 1975, Lisl Gutwenger (Hrsg.): “Treibt Dämonen aus!” (Matthäus-Evangelium 10,8) Von Blumhardt bis Rodewyk. Vom Wirken katholischer und evan¬gelischer Exorzisten. Stein am Rhein (Christiana) 1992 sowie Alfred Läpple: Engel & Teufel. Wiederkehr der Totgesagten. Eine Orientierung. Augsburg (Pattloch) 1993.

Tief geht diesem Fragenkreis auch nach Ute Leimgruber: Kein Abschied vom Teufel. Eine Untersuchung zur gegenwärtigen Rede vom Teufel im Volk Gottes. Münster (Lit) 2004 (Reihe Werkstatt Theologie, Bd. 2).

Nachdem man sich vom Teufel verabschiedet hat, wurde folgerichtig als nächstes auch GOtt entthront und abgesetzt: IHn gibt es jetzt nicht mehr. Siehe hierzu den Weltbestseller von Richard Dawkins: Der Gotteswahn, 10. Aufl. Berlin (Ullstein) 2007. Der englische Originaltitel lautet The God Delusion; ähnliche Titel von Dawkins hatten zuvor schon weltweit Millionen-Auflagen erreicht.

Siehe zur umfangreichen Literatur hierzu Alister McGrath, Joanna Collicutt: Der Atheismus-Wahn. Eine Antwort auf Richard Dawkins und den atheistischen Fundamentalismus, 2. Aufl. Asslar (Gerth-Medien) 2008, Renate Biller: Und Gott existiert doch! Warum Richard Dawkins nicht recht hat. Weltanschauliche Fragen und antworten. Frankfurt am Main (August-von-Goethe-Literaturverlag) 2009 sowie David Robertson: Briefe an Dawkins. Ein Pfarrer und Kolumnist antwortet auf die atheistische Großoffensive und Dawkin’s Bestseller “Der Gotteswahn”. Basel, Gießen (Brunnen) 2008.

28 Siehe die entsprechenden Texte (grösstenteils im Wortlaut) bei Heinrich Schmid. Die Dogmatik der evangelisch=lutherischen Kirche dargestellt und aus den Quellen belegt. Erlangen (Heyder) 1843, S. 147 ff., S. 166 f.

29 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften. Sechs Vorlesungen, neu hrsg. von Gerhard Merk. Berlin (Duncker & Humblot) 1988, S. 50, S. 61.

30 Weithin sichtbares Schloss auf dem flachen Gipfel des Siegbergs in Siegen, im Gegensatz zum Unteren Schloss am Fusse des Siegbergs, das Johann Moritz von Nassau-Siegen erbauen liess; vgl. Anmerkung 14. – Siehe Ursula Blanchebarbe (Hrsg): Kleine Geschichte des Oberen Schlosses in Siegen. Siegen (Stadt Siegen) 2006 mit Literatur-Verzeichnis (S. 65 ff.).

31 Ein jeder Christ, der in die Seligkeit eingeht, empfängt von GOtt einen neuen Namen, siehe Offenbarung 2, 17 sowie (Johann Heinrich Jung-Stilling:) Die Siegsgeschichte der christlichen Religion in einer gemeinnüzigen (so!) Erklärung der Offenbarung Johannis. Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1799, S. 89.

Der besondere Name, mit dem Jung-Stilling im Jenseits beschenkt wurde, ist Ohephiah (= der GOtt liebt). Siehe [Christian Gottlob Barth:] Stillings Siegesfeyer. Eine Scene aus der Geisterwelt. Seinen Freunden und Verehrern. Stuttgart (Steinkopf) 1817.

The Mohammedans have ninety-nine names for GOd,
but among them all they have not “our Father”.
The very word “GOd” suggests care, kindness, benevolence, goodness;
and the idea of GOd in his infinity, is endless care, endless kindness,
endless benevolence, endless goodness.

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