Vom Bildungsgehalt der Marktforschung
Im Druck erstmals erschienen in Heft 2/1965, Seite 59-62 der Zeitschrift “forschen planen entscheiden,
Zeitschrift für praktische Marktforschung”, B. Behr`s Verlag GmbH, Hamburg
In unserer modernen Wirtschaft werden Abertausende von Gütern bereitgestellt. Unter Umständen, die alle zu übersehen selbst Fachleuten bloßen Auges nicht (mehr) möglich ist, gelangen diese Güter an Empfänger in nah und fern. Für den Hersteller ist es aber mißlich, kennt er nicht möglichst genau den Gang seines Erzeugnisses bis hin zum Endabnehmer. Deshalb die Notwendigkeit einer Ordnungskraft, die all die vielen Einzelmärkte zu durchdringen vermag. Die Marktforschung ist diese Ordnungskraft. Ihre Nützlichkeit anzuerkennen, ist daher heutigentags auch jedermann ohne weiteres bereit.
Die Wenigsten jedoch werden der Marktforschung eine bildende Wirkung zugestehen wollen. Ja scheint es nicht krampfhaft, erzwungen und weit hergeholt, ausgerechnet vom Bildungsgehalt der Marktforschung zu sprechen? Die Marktforschung, die doch beileibe mit Bildung rein gar nichts zu tun hat? Oder geht es hier nach dem teils kläglichen, teils lächerlichen Muster ,,Goethe und…”, wo jedwelche Natur- und Gesellschaftserscheinung mit Goethe in Beziehung gebracht wird? Was hat also die Marktforschung mit Bildung, mit Schulmeisterei, gemein?
Solche und ähnliche Überlegungen mag die gestellte Überschrift hervorquellen lassen. Es erscheint aber nützlich und gut, diese spontanen Gedanken vorerst noch zurückzustauen. Denn zunächst soll der angesprochene Fragenkreis nüchtern geprüft, alsdann sachlich beurteilt werden. Diese Absicht erheischt die Klärung dreier Grundfragen: was ist Bildung, was ist Marktforschung und wo liegt näherhin der Bildungswert der Marktforschung.
Was ist Bildung? (A)
Der Ausdruck Bildung wird zur Kennzeichnung zweier verschiedener Sachverhalte benutzt. Durch logische Begriffsanalyse, weniger durch sprachgeschichtliche Überlegungen, seien die beiden Bedeutungen herausgeschält1.
Begriffsinhalt (I)
Prozeßbetrachtung (1.)
Bildung ist einmal ein Geschehen, eine Abspielung, ein Vorgang2. Wesentliches Merkmal dieses Prozesses ist das formende Einwirken auf die Person. Die prägende Kraft von Menschen und Sachen der Umwelt sowie überirdischer Gewalten führen eine Gestaltwerdung des Menschen herbei (FORMATIO ANIMI).
Sachen, Dinge der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt, wirken insoweit formend auf die Person ein, als diese in ihrem Wesen und Sinngehalt erkannt, umgriffen, erlebt und aufgenommen werden. Sie sind dann Bildungsgüter. Obzwar unbelebte Gegenstände (wie etwa ein Gedicht, ein Lehrsatz der Chemie oder ein Verfassungsartikel), werden die Bildungsgüter im Nacherleben mitteilsam und lebendig. Bei dem gestaltenden Wirken außermenschlicher, übernatürlicher Kräfte ist vor allem an die Gnade Gottes zu denken. Es ist dies allgemein eine Kundtuung Gottes, dem Menschen zugewandt. Diese Kundtuung kann verschiedene Erscheinungsformen und Inhalte annehmen3.
Bestandsbetrachtung (2.)
Bildung bezeichnet daneben ein Befinden, eine Beschaffenheit. Wesentliches Merkmal dieses Zustandes ist das Gewachsensein der Person. Der Mensch hat ein Maß an Einsicht in das Dasein und seine manchfaltigen Formen gewonnen (CULTURA ANIMI).
Es besteht zwischen den beiden Inhalten des Begriffes Bildung partiale Gleichheit. Genauer erweisen sich die zwei Begriffe als konjunkte. Denn Bildung als Zustand ist das Ergebnis des Bildungsprozesses. Durch fortwährendes Einwirken auf den Menschen im Bildungsgeschehen reift der gebildete Mensch heran.
Begriffsumfang (II)
Prozeßbetrachtung (1.)
Bildung wurde inhaltlich als das formende Einwirken auf die Person bestimmt. Der Umfang des Begriffes Bildung wäre so zu umgrenzen, daß zunächst dem Begriff Person eine extensive (= umfängliche) Deutlichkeit zuteil werde. Es gälte diesfalls einzelne Schichten oder Teile der Person zu unterscheiden. Zu prüfen bliebe dann der Einfluß der Bildungsgüter auf jede dieser Schichten. Ein solcher Weg ist aber nicht gangbar. Person ist, was ,”die Geistseele als Leben bewirkender und gestaltender Bauplan vermittels des Stoffes zustande bringt”4. Anschaulich führt diese Definition die Vielfalt der Vorstellungen vor Augen, die der Begriff Person faßt. Er ist logisch betrachtet ein Indefinibile (= ein nicht definierbarer Begriff), weil letztlich der alte Satz “PERSONA EST INEFFABILE” (= die Person ist unbegreifbar) gilt5. Deshalb scheint es auch nicht ratsam, auf den Begriff Person eine Unterscheidungslehre der Wirkweise von Bildungsgütern aufzubauen.
Die herkömmliche pädagogische Theorie hilft sich, indem sie der Person einen Verstand und ein Wertempfinden zuschreibt. Bildungsgüter wirken in bezug auf den Verstand formal bildend, hinsichtlich des Wertgefühls material bildend.
formales Bildungsgeschehen (a.)
Die Bildungsgüter sollen gemäß dem formalen Aspekt erreichen, daß der Verstand (das Denken) keimt, sich entfaltet, gedeiht sowie geübt und geschult wird. Am einzelnen Bildungsgut lernt der Verstand das Ordnungsgefüge, die Zusammensetzung, den Zusammenhang der Dinge erkennen und durchblicken.
Neuerdings wieder wird der einzelne Akt formaler Bildung (= Denkakt) in eine Reihe von Stufen zerlegt. Diese Aufgliederung erwies sich als notwendig, seitdem vor allem die moderne Informationstheorie den Denkvorgang untersucht hatte6. Gemeinhin neigt man nun zu einer dreistufigen Betrachtung des formalen Bildungsaktes. Auf einer syntaktischen Stufe vollzieht sich die Aufteilung, Verteilung, Zuordnung, Verbindung und Verknüpfung von Einzelelementen. Dieser Teil des Denkaktes ist durch Maschinen ersetzbar.
Eine zweite Stufe des Denkaktes wird die semantische genannt. Sie ist der Ergründung von Sinnzusammenhängen vorbehalten. Die Bedeutung, die sinngemäße Richtigkeit, die Beziehung auf übergeordnete Ganzheiten wird durch den Verstand erfaßt. Zumindest in gewissen Grenzen kann auch dieser Akt von informationsverarbeitenden Maschinen übernommen werden.
Eine dritte Stufe endlich gehört dem Erlebnisbereich des Verstandes an. Der Übergang vom Nichtverstehen zum Verstehen ist oftmals mit einem “fruchtbaren Moment”7 verbunden, der gleichsam als Krönung des Denkaktes dasteht.
materiales Bildungsgeschehen (b.)
Die Bildungsgüter sollen ferner bewirken, daß das Wertverständnis begründet wird und wächst. Das Wertfühlen, Wertnehmen oder Wertverstehen ist ein Geschehen eigener Art, das auf die Erfassung von Werten gerichtet ist. Wertempfinden ist eine unmittelbare, gefühlsmäßige, des Beweises weder fähige noch bedürftige Erkenntnis8.
Werte sind Wesenheiten, denen eine inhaltliche Bestimmtheit, ein Sosein und eine Washeit zukommen9. Allerdings können die Werte für sich allein nicht gegenständlich werden. Sie zeigen sich vielmehr nur an Trägern, mit denen sie verbunden sind. Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Farben. Auch diese können nur an Gegenständen wirklich (nämlich sichtbar) werden. Niemandem würde es aber einfallen, deshalb den Farben eine eigene Wesenheit abzusprechen. So ist es auch mit den Werten. Sie vermögen Wirklichkeit an jedem Ding zu gewinnen. Am werthaften Gegenstand sind sie durch den Akt der Wertnehmung erkennbar.
Bestandsbetrachtung (2.)
Es wurde bereits herausgestellt, daß Bildung auch ein Befinden, eine Beschaffenheit der Person bezeichnet. Ferner ist offenbar, daß der Zustand Bildung das Ergebnis des Prozesses Bildung ist. Deshalb dürfte auch hinsichtlich des Zustandes Bildung ein formaler und ein materialer Aspekt zu unterscheiden sein. Hinzu tritt noch ein sittlicher Aspekt, der sich aus dem materialen Bildungsziel ableiten läßt.
formaler Bildungsstand (a.)
Wer fähig und in der Lage ist, irgendwie geartete Ordnungszusammenhänge verstandesmäßig zu erfassen, gilt als formal gebildet. Es ist dabei nicht notwendig, daß eine Person “allgemeingebildet” ist, also jedwelche Grunderkenntnis des menschlichen Geistes nachvollzogen hat. Erst recht nicht ist damit ein Anhäufen von Wissen gemeint10. Vielmehr meint formale Bildung eine Fähigkeit, ein Vermögen des Verstandes11.
materialer Bildungsstand (b.)
Material gebildet ist, wer Werte zu erkennen vermag. Diese Wertsicht besteht näherhin in dem Vermögen, sich des Wertes von Dingen (= Wertträgern) bewußt zu werden. Gleichwie der formal gebildete Mensch die Farbe eines Gegenstandes erkennt, so empfindet der material gebildete Mensch den Wert eines Dinges. Der Stand materialer Bildung ist vom Befinden formaler Bildung unabhängig. Der “intelligente” Mensch kann bar jeden Werterlebnisses sein.
sittlicher Bildungsstand (c.)
Sittlich gebildet ist, wer sich zu werthaftem Handeln verpflichtet fühlt. Der sittliche Bildungsstand bezeichnet also das Maß an Verpflichtung, gemäß den erkannten Werten tätig zu werden. Diese Bindung des Menschen an die vorhandene Wertordnung ist nicht abhängig vom Stand seiner formalen und materialen Bildung. Es kann etwa der wertsichtige Mensch durchaus sein Tun und Lassen gegen die erkannte Wertordnung steuern.
Was ist Marktforschung? (B)
Auch der Begriff Marktforschung ist mehrdeutig. Inhaltlich lassen sich ihm drei voneinander abweichende, obgleich doch miteinander verwandte Gehalte zuordnen. Umfänglich ist der Begriff Marktforschung weit. Dies kommt in der Vielzahl von Wörtern zum Ausdruck, die mit dem Begriff Marktforschung (in der Regel auf dem Wege der Adjektivbildung) verbunden werden12.
Begriffsinhalt (I.)
Prozeßbetrachtung (1.)
Als Vorgang ist Marktforschung das systematische Untersuchen eines konkreten Bereichs von Angebot und (oder) Nachfrage. Wer die Verhältnisse von Angebot und Nachfrage (oder auch nur des Angebots bzw. lediglich der Nachfrage) auf einem Teilmarkt planmäßig untersucht, betreibt Marktforschung.
Bestandsbetrachtung (2.)
Marktforschung bezeichnet aber auch einen Bestand. In diesem Sinne spricht man von der Marktforschung als der Summe von Maßnahmen und Einrichtungen, die der Untersuchung von Teilmärkten dienen. Wenn etwa von der “Marktforschung in Italien” gesprochen wird, so ist kein Vorgang, sondern ein Bestand von Personen und Sachen gemeint.
Gegenstandsbetrachtung (3.)
Endlich meint man mit Marktforschung auch die Lehre, welche sich mit dem planmäßigen Marktuntersuchen befaßt. Etwa wird eine Vorlesung an einer Hochschule mit “Marktforschung für Anfänger” angekündigt. Zur besseren Kennzeichnung und Unterscheidung empfiehlt es sich, dann von “Marktforschungslehre” oder von ,,wissenschaftlicher Marktforschung” zu sprechen. Der Einwand, jede Marktforschung sei wissenschaftlich, beruht auf einer IGNORANTIA ELENCHI. Das Wort ,,wissenschaftlich” vor Marktforschung ist eigentlich Adverb in modaler Bedeutung, jedenfalls ist es so aufzufassen. Es bezeichnet den Umstand des Untersuchens von Angebot und Nachfrage auf die Frage “auf welche Weise?” näher. – Auch folgt nicht aus dem Begriff wissenschaftliche Marktforschung, es sei die Marktforschung als Vorgang (Prozeßbetrachtung) nun mit “praktischer Marktforschung” zu bezeichnen. An praktische Marktforschung denkt man beim Hören des Begriffes Marktforschung eher. Deswegen scheint es nützlich, zur Vermeidung von Mißverständnissen gleich von “wissenschaftlicher Marktforschung” zu reden, möchte man die Lehre ansprechen13.
Begriffsumfang (II.)
Prozeßbetrachtung (1.)
Als wichtigste Unterscheidung der Marktforschung als Geschehen sei einzig die in ökoskopische und demoskopische genannt14. Die ökoskopische (= sachbezogene) Marktforschung untersucht Sachgrößen und Sachbeziehungen (= Sachgegebenheiten) auf einem konkreten Teilmarkt. Die demoskopische (= subjektbezogene) Marktforschung richtet ihren Blick auf die Marktteilnehmer. Sie interessiert sich für die Merkmale und Merkmalsbeziehungen (= Subjektgegebenheiten) der Wirtschaftssubjekte.
Weitere Unterteilungen der Marktforschung sind aus einer Reihe von Einteilungsgründen ableitbar. Sie sind jedoch hier weniger von Wichtigkeit.
Bestandsbetrachtung, Gegenstandsbetrachtung (2.)
Auch mag auf die umfängliche Ausschöpfung der Begriffe Marktforschung unter den beiden anderen inhaltlichen Aspekten verzichtet werden. Es müßte dies einer besonderen Überlegung vorbehalten bleiben. Denn alltägliche Redewendungen wie “die Marktforschung der Firma X” oder “die Marktforschung soll sich zu dem lnvestitionsvorhaben einmal äußern” deuten auf Einschränkungen des Begriffes Marktforschung in der Bestandsbetrachtung hin, die nicht so ohne weiteres logisch in den Griff zu bekommen sind.
Worin liegt der Bildungsgehalt der Marktforschung? (C.)
Mit Marktforschung sei jetzt entweder die Prozeßbetrachtung oder die Gegenstandsbetrachtung gemeint. Gefragt wird also sowohl nach der bildenden Wirkung der praktischen Marktforschung als auch nach dem Bildungswert der wissenschaftlichen Marktforschung. Eine solche Gleichsetzung ist insofern berechtigt, als die Auswirkungen des beiden Begriffsvarianten gemeinsamen, wesentlichen Merkmals zur Debatte stehen. Dieses die zwei Begriffe verbindende Merkmal ist das systematische Untersuchen von Angebot und Nachfrage.
In formaler Sicht (I.)
Die Marktforschung wirkt in besonders vollkommener Weise formal bildend. Dies gilt zunächst für die erste, syntaktische Stufe des Denkprozesses. Es ist geradezu das Wesen einer jeden Marktforschungsaufgabe, aus einer Vielzahl kleiner und kleinster Anhaltspunkte nach und nach ein geordnetes Ganzes zu entwickeln. Dies gilt für alle in der Marktforschung angewandten Methoden, für die ökoskopischen so gut wie für de demoskopischen. Als Beispiel sei die Sammelmethode herausgegriffen, bei der durch systematische Sucharbeit Sachgrößen über einen Markt beschafft werden. Oftmals wird es hierbei nötig, Hunderte von einzelnen Nachrichten durchzusehen, um daraus brauchbare Informationen aufzuspüren. In gleicher Weise muß etwa bei der Vorbereitung einer Befragung das erfragte Ganze aufgeteilt und die einzelnen Fragen kunstgerecht zugeordnet werden.
Auch die zweite Denkstufe, die der Ergründung von Sinnzusammenhängen dient, wird in der Marktforschung vollauf beansprucht. Alle Teilaufgaben im Zuge der Lösung eines Marktforschungsproblems erheischen eine Beziehung auf übergeordnete Ganzheiten. Dies trifft in doppelter Hinsicht zu. Einmal müssen die unzähligen Einzelinformationen, die bei der Bearbeitung des Problems anfallen, immer in ihrem Bezug zur Lösung gedeutet und abgewogen werden. Zwar sollen die Einzelinformationen zur Lösung führen. Aber um deren Zweckrichtigkeit zu beurteilen, muß die Lösung zumindest als gedanklicher Entwurf vor Augen stehen und die Bedeutung einer Einzelinformation bemessen.
Beispielsweise wäre die Lösung einer Marktforschungsaufgabe, wieviel Schokolade die Firma X produziert. Bei der Durchsicht der letzten Jahrgänge der Hauszeitschrift15 muß nun auf alles geachtet werden, was mit der Lösung indirekt in Beziehung steht: Berichte über Rohstoffeinkäufe, Lagerkapazitäten, Neuinstallationen, Prokopf-Leistungszahlen der Belegschaft, Vergleiche aller Art, auch Angaben über Stromverbrauch, Wassergebühren und ähnliches. All diese Nachrichten zusammen müssen zwar zur Lösung führen. Jede einzelne Nachricht aber erhält ihre Bedeutung von der angestrebten Lösung her. – Diese gleichsam doppelte Verknüpfung aller Arbeitsgänge zu der Lösung hin und von der Lösung her ist nicht allen Wirtschaftswissenschaftlern geläufig und den Naturwissenschaftlern in der Regel fremd.
Aber noch ein zweiter Bezug zu übergeordneten Ganzheiten ist in der Marktforschung zu beachten: der zur ökonomischen Interdependenz. Einzelne Informationen, die im Verlauf der Bearbeitung einer Marktforschungsaufgabe anfallen, haben nicht selten außer dem beschriebenen Bezug zur Lösung auch einen solchen zum wirtschaftlichen Kreislauf. Es ist dies ganz sicher bei allen Marktgrößen der Fall. Hier liegt (im Gegensatz zu den kausalbestimmten Gegebenheiten der Natur) eine Ordnung mit eigener Gesetzmäßigkeit vor. Die Verbindung des im syntaktischen Denkakt Aufgenommenen kann deshalb nie nach dem Prinzip Ursache – Wirkung vonstatten gehen. Naturwissenschaftlern fällt es daher auch oftmals so schwer, gerade in der Marktforschung erfolgreich tätig zu werden.
Den fruchtbaren Moment, den axiologischen Akt des Denkens, bildet die Marktforschung nicht mehr aber keinesfalls auch weniger als andere Disziplinen aus. Insgesamt gesehen ist die Marktforschung ein (der Kriminalistik verwandtes) sehr gutes Mittel, den Verstand zu bilden. Sie prägt einige Eigenschaften des Verstandes besonders aus, so die Findigkeit und den Spürsinn.
In materialer Sicht (II.)
Sinn für die Bedeutung des Menschen (1.)
Ohne Zweifel ist es schwierig, aus der Betrachtung des modernen Wirtschaftsprozesses Persönlichkeitswerte abzulesen. Keineswegs deshalb, weil die Wirtschaft und die in ihren Dienst gestellte Technik “deshumanisiert” sind. Denen, die solches mehr oder minder verhehlt vortragen, mangelt es entweder an der genauen Kenntnis der Tatsachen oder aber an der Fähigkeit, die erkannte Realität vorurteilsfrei darzustellen. Eher bewirkt die typische Fragestellung und die Vorgehensweise der Wirtschaftswissenschaften, daß an den ausgesprochenen Persönlichkeitswerten vorbeigesehen wird.
Die Nationalökonomie fragt nach den Bedingungen einer optimalen Güterversorgung. Sie möchte die vielseitige, vielschichtige, vielfältige wirtschaftliche Wirklichkeit gedanklich analysieren und auf Elemente zurückführen. Kennt sie die einzelnen Wirtschaftselemente und ihre Verbindungsgesetze, so vermag sie in der gedanklichen Synthese ein Modell der tatsächlich bestehenden oder einer erstrebenswerten Wirtschaft zu entwerfen. Bei dieser (dem erkenntnistheoretischen Weg nach naturwissenschaftlichen) Vorgehensweise hat der Mensch und die auf ihn bezogene Wertordnung keinen Raum – und das ist zweckmäßig und richtig so. Denn nicht der Mensch, sondern güterwirtschaftliche Sachverhalte sind Erkenntnisgegenstand der Nationalökonomie.
Ähnliches gilt für die Betriebswirtschaftslehre, nur daß hier hauptsächlich die Gütererzeugung innerhalb der Grenzen einer Einzelwirtschaft zum Problem ansteht. Das Ergebnis dieser durchaus notwendigen Betrachtungsweise besteht darin, daß ausschließlich (in bezug auf die Betriebswirtschaftslehre muß man wohl sagen: fast ausschließlich) sachliche, unpersönliche Vorgänge und Zusammenhänge in den Lehrsystemen der Wirtschaftswissenschaften behandelt werden. Der Wirtschaftswissenschaftler nimmt somit in seinem Fachgebiete den Menschen und seine Werte in aller Regel kaum wahr.
Auch die bei Nichtfachleuten verbreitete Ansicht über die Wirtschaft ist am Ende der beschriebenen gleich. Diese sehen in “der Wirtschaft” eine geheimnisvolle, unheimliche Macht, die viele Züge des Dämonischen in sich trägt. Dieses Gefühl gegenüber der unverstandenen Wirtschaft ist verbreiteter, als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist.
Anders nun der Marktforscher. Schon durch die Regeln seiner Kunst wird er gezwungen, sich um den Menschen als CAUSA MOVENS, als handelndes Subjekt des Wirtschaftens zu kümmern. Der Marktforscher lernt die Wünsche, Meinungen, Einstellungen, Strebungen und Ansichten des Menschen kennen. Deshalb weiß er nicht bloß um die Zusammenhänge zwischen persönlichen und sachlichen Gegebenheiten in der Wirtschaft. Vielmehr kennt der Marktforscher darüber hinaus die Bedeutung des Menschen als Subjekt und Träger der Wirtschaft wie wohl kaum ein anderer Betrachter der Wirtschaft.
Seine Überlegungen laufen ja immer darauf hinaus, wie Abnehmer oder Zulieferer auf bestimmte Datenänderungen reagieren werden. Nicht etwa ein Absatzrückgang steht für ihn zum Problem an. Ihn interessieren die Abnehmer persönlich. Was bewegt diese Kunden, das Gut abzulehnen? Welchen menschlichen Wünschen, Vorstellungen, Gefühlen und anderen Subjektgegebenheiten kommt das Gut nicht entgegen? Diese und ähnliche, sich zwangsläufig ergebende Fragen des Marktforschers kennzeichnen dessen Anschauung von der Wirtschaft, die er in gewissem Maße mit den Werbefachleuten teilt. Werbefachleute und Marktforscher bringen deshalb auch die besten Voraussetzungen für einen echten Wirtschaftshumanismus mit. Häufiger als in anderen kaufmännischen Berufen sind sie auch davon geprägt.
Einsicht in den Sinn des Wirtschaftens (2.)
Weshalb wird überhaupt gewirtschaftet? Doch zur Bedarfsdeckung, wird man sogleich antworten. Aber ist denn diese Einsicht in ihrer ganzen Tragweite wirklich so selbstverständlich verbreitet? Wer begreift denn die Wirtschaft lebendig, leibhaftig als Summe aller Maßnahmen und Einrichtungen, die der menschlichen Bedürfnisbefriedigung dienen? Bestimmt die wenigsten all derer, die inmitten der Wirtschaft als Hersteller und Verbraucher, Arbeiter und Angestellte aller Grade und Stufen stehen. Die meisten formen sich ein Bild von der Wirtschaft, in dem persönliche Wünsche und Lebensansprüche, Berufs-, Standes- und Klasseninteressen, Machtstrebungen aller Art, abstrakte, jedoch verlebendigte Begriffe (wie Angebot, Nachfrage, Kapital, Multiplikator oder Akzelerator, die Technik und Maschinerie) oder was für andere Größen auch immer Beweger sind.
Der Marktforscher kennt demgegenüber aus seinem Umgang mit dem Letztverbraucher die körperliche und seelische Bedürftigkeit des Menschen. Deshalb wird er bei der Betrachtung der Wirtschaft immer wieder auf deren zweckhafte Angelegtheit erinnert. Das Wirtschaften bezieht sich auf den Menschen, und dieser muß daher auch Maß und Mitte des Wirtschaftsablaufs bleiben. – So sieht der Marktforscher den Bau der Wirtschaft vom Grundstein, dem Bedarfsträger Mensch her. Diese Sicht läßt ihn auch leichter als die meisten anderen die Wirtschaft als Gestaltungsmacht menschlichen Zusammenlebens begreifen. Der Marktforscher wird sich der vom Menschen ausgehenden und auf den Menschen abzielenden Wertordnung des Kulturbereichs Wirtschaft dauernd bewußt. Auch hier mündet die Beschäftigung mit der Marktforschung wieder in den Wirtschaftshumanismus ein.
Da jedwelches Bildungsbemühen in Freiheit (und erst recht jede funktionelle Bildung) ein gewisses Maß innerer Bereitschaft voraussetzen, ist der Hinweis auf die einseitigen, geistlosen, flachen, stumpfen und jeder Wertordnung baren Marktforscher, deren es (wie in jedem Berufsstand) leider auch welche gibt, kein Gegenbeweis des Gesagten. Denn als offenkundig kann gelten, daß die Marktforschung eher denn andere Disziplinen und Kunstlehren aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften geeignet ist, formal und material bildend zu wirken.
Anmerkungen
1 Die in unserer Zeit bevorzugte Pflege etymologischer (= sprachgeschichtlich wort-erklärender) Grübeleien hat ja manches für sich. Es liegt aber schon In der Bezeich-nung “Etymologie” ein etwas vermessener Anspruch (etymon = Wahres), der eher der logischen Methode gebührt.
2 Vergl. hierzu T. Ballauf: Die Grundstruktur der Bildung. Weinheim 1953 sowie A. Petzelt: Von der Frage. Eine Untersuchung zum Begriff der Bildung. Freiburg 19622 (Grundfragen der Pädagogik, Heft 7).
3 Näheres bei M. Schmaus: Katholische Dogmatik, Bd. 3, Teil 2: Die göttliche Gnade. München 19514, insbes. S. 5 ff. (Gnade außerhalb des christlichen Sprachgebrauchs), S.16 ff. (Einteilung) und S. 243 ff.
4 J. M. HolIenbach: Der Mensch als Entwurf. Seinsgemäße Erziehung in der techni-sierten Welt. Frankfurt am Main 19603, S. 265.
5 Wenig gewonnen ist, ersetzt man das Wort “Person” durch “Persönlichkeit” oder “Seele”. Die Fragestellung führt dann stracks in den Irrgarten der Schichtenlehren von Platon bis Rothacker oder in die gleichfalls unsichere Faktorenanalyse der Persönlichkeit hinein.
6 Vergl. zum folgenden H. Franck: Kybernetische Grundlagen der Pädagogik. Baden-Baden und Paris 1962 (Kybernetik und Information. hrsg. von L. Couffignal, Bd. 2), S. 37 ff. sowie F. v. Cube: Allgemeinbildung oder produktive Einseitigkeit? Stuttgart 1960 (Erziehungswissenschaftliche Bücherei, Reihe IV, Bd. 7), insbes. S. 27 ff.
7 Vergl. F. Copei: Der fruchtbare Moment im Bildungsprozeß. Heidelberg 19699 so-wie F. V. Cube (a.a.O., S. 31 f.), der von einem “axiologischen Akt” spricht.
8 Vergl. J. Hessen: Wertphilosophie. Paderborn, Wien, Zürich 1937, S. 107 f.
9 Vergl. M. Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethischen Personalismus. Bern 19542 (Gesammelte Werke, hrsg. von Maria Scheler, Bd. 2), S. 9 ff.
10 “Es gibt also keine Allgemeinbildung und mithin auch keine Schulen der Allge-meinbildung – wohl aber gab es und gibt es Anstalten des ‘Allgemeinen Wissens’. Mögen solche Anstalten vor 200 oder auch noch vor 100 Jahren ‘Narrenpossen’ ge-wesen sein, so waren sie doch wegen ihres verhältnismäßig geringen Wissensstoffes zumindest unschädlich. Heute … kann eine solche Anstalt mehr schaden als nützen”, folgert F. v. Cube, a.a.O., S. 11.
11 Näheres bei E. R. Hilgard: Theories of Learning. Appleton/New York 19562 (The Century Psychology Series, hrsg. von R. M. Elliot).
12 Vergl. zum folgenden G. Merk: Wissenschaftliche Marktforschung. Berlin 1962, insbes. S. 13 ff.
13 Natürlich wird der Ausdruck “Marktforschungslehre” vorzuziehen sein. Nur hat er keine Chance, sich durchzusetzen, weil alle mit “Lehre” verbundenen Begriffe, die eine Tätigkeit bezeichnen (man denke beispielsweise an Buchhaltung, Organisation oder Finanzierung), in der deutschen Sprache unbeliebt sind.
14 Vergl. K. Ch. Behrens: Demoskopische Marktforschung. Wiesbaden 1961 (Stu-dienreihe Betrieb und Markt, Bd. 1), S. 13 f.
15 Hauszeitschriften, geduldig durchforscht, sind in der Regel eine wahre Fundgrube ansonsten verheimlichter Geschehnisse in einem Unternehmen!
Love divine, all loves excelling,
Joy of heaven, to earth come down,
Fix in us thy humble dwelling,
All thy faithful mercies crown.
Charles Wesley, 1701-1788
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