Fortschritt durch Bildung

Markus Schmeck:

Ökonomischer Fortschritt durch bessere Bildung

Wirtschaftsberufliche Vorschläge bei
Johann Heinrich Jung-Stilling

Jung-Stilling-Gesellschaft Siegen 2003

Von Herrn Universitätsprofessor Dr. Gerhard Merk betreute Diplom-Arbeit
am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Siegen.

In Buchform im Verlag der Jung-Stilling-Gesellschaft 2003 als Band 8 der Reihe “Jung-Stilling-Schriften” erschienen.

ISBN 3-928984-24-1


1 Einleitung


Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) ist bis heute vor allem als Arzt, Ophthalmologe, Wirtschaftswissenschaftler, Literat, Kryptograph und Theologe im Gedächtnis der Nachwelt geblieben. Arbeiten von ihm und über ihn zu diesen Sachgebieten wurden bis in die jüngste Zeit immer wieder veröffentlicht.1 Indessen gibt es bisher keine einzige Veröffentlichung über die Bedeutung von Jung-Stilling als Pädagoge bzw. als Andragoge. Selbst der sehr sorgfältig und von namhaften Fachleuten erstellte Ausstellungskatalog zur 250-Jahr-Feier seines Geburtstags2 widmet dieser Seite des Wirkens von Jung-Stilling keine Beachtung. Dies scheint zunächst erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Jung-Stilling (von einer nur kurzen Unterbrechung in den Jahren von 1803 bis 1806 ausgenommen) ab seinem 14. Lebensjahr als Lehrer, Hauslehrer und Hochschullehrer tätig war.

Fragt man nach den Gründen, warum Jung-Stilling als Pädagoge so gut wie gar nicht gewürdigt wurde, so gelangt man bald zu einer einsichtigen Erklärung. Jung-Stilling hat zu fast allen der oben erwähnten Disziplinen Publikationen in Buchform veröffentlicht; allein zu den verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Fächern schrieb er elf Lehrbücher. Aber keine seiner Veröffentlichungen widmet sich alleine, ausschliesslich erziehungswissenschaftlichen Fragen. Wohl hat er manche Aussagen zur Bildung und Erziehung3 in seine Bücher und Aufsätze eingebracht. In fast allen Fällen handelt es sich dabei um Anregungen, Winke, Empfehlungen oder auch um Kritik an bestehenden Zuständen aller Art. Jung-Stilling bezieht sich indessen nie auf eine pädagogische Theorie, also auf ein in sich zusammenhängendes, schlüssiges System von Aussagen über die menschliche Bildung. Zeitgenössische Pädagogen wie Niemeyer4 oder Pestalozzi5 hat er wohl gekannt. Pestalozzi besuchte er bei einer Reise zu Augenkranken Ende September 1802 sogar und äussert sich in mehreren Sätzen vorsichtig-kritisch über ihn.6

Das wirft die Frage auf, warum Jung-Stilling sich nie auf ein pädagogisches System bezieht. Sicher gibt es hierzu wohl zwei plausible Antworten. Erstens war Jung-Stilling jederart Theorie gegenüber misstrauisch eingestellt. Er blieb in allen Wissenschaften, mit denen er sich beschäftigte, auf das Praktische, Anwendbare festgelegt. Der Satz: “Beispiele belehren am sichersten“ wird (so oder abgewandelt) von Jung-Stilling immer wieder eingeschärft.7 Wittmann übertreibt wohl nicht, wenn er Jung-Stilling ein gewisses Mass an Theoriefeindlichkeit zuschreibt.8 Warum Jung-Stilling gegen Lehrsysteme aller Art so grosse Vorbehalte hatte, geht vor allen aus seinen ökonomischen Schriften deutlich hervor. Er bringt hier immer wieder Beispiele von schlimmen Folgen eines Handelns nach theoretischen Grundsätzen. So hackte man beispielsweise – ohne Rücksicht auf die dadurch entstehenden beträchtlichen Einkommensverluste der Bauern und des Wohlstands ganzer Regionen – Obstbäume aus Gemarkungen nur deshalb heraus, weil landwirtschaftliche Handbücher dies lehrten.9 Jung-Stilling sieht also die Erfahrung immer auch als Probe auf die Richtigkeit, auf die Allgemeingültigkeit von Lehrsätzen an. Beispiele sollen bei ihm nicht nur eine Theorie erklären bzw. verdeutlichen.

Zweitens bezweifelt Jung-Stilling, ob es gerade bei der Erziehung überhaupt einer eigens durchdachten Methode und – darauf aufbauend dann – eines besonders ausgearbeiteten Systems bedürfe. Statt eines künstlich erdachten Weges zur Erziehung sollten die Eltern mit richtiger Kinderzucht beginnen. “Sorgt ihr nur dafür, daß ihr euch ehrlich ernährt; aber nicht mit Geizen, Scharren und Schrappen, sondern mit christlicher Sparsamkeit sowie unter beständigem Beten und Arbeiten. Diese Lebensart ist schon die halbe Kinderzucht. Denn da sehen es die Kinder und werden von Jugend an daran gewöhnt.”10 Ähnliche Äusserungen finden sich bei Jung-Stilling häufig wieder. Welchen Einfluss die Methode Pestalozzis auf “das praktische Leben der Zukunft haben wird, das muß man von der Zeit erwarten. Deswegen sollte man behutsam seyn, und erst einmal sehen, was aus den Knaben wird, die auf diese Art gebildet worden ist. – Es ist doch warlich! bedenklich, in Erziehungs-Sachen so schnell zuzufahren, ehe man des guten Erfolgs gewiß ist.“11

Obgleich man nun aus den aufgeführten Gründen bei Jung-Stilling keine systematische Theorie der Erziehung finden kann, so lohnt es sich doch, seine Vorschläge zur Berufsbildung näher zu betrachten. Diesem Anliegen ist die folgende Arbeit gewidmet.

Um die diesbezüglichen Aussagen von Jung-Stilling richtig verstehen und einordnen zu können, scheint es geboten, zunächst auf dessen Vorstellungen vom ökonomischen Fortschritt einzugehen, um dann zu zeigen, wie sehr nach seinem Verständnis Innovationen vom Bildungsstand abhängen. Sodann gilt es, auf seinen beruflichen Werdegang einzugehen. Denn nur wenn man die Stationen seines Lebenswegs in Bezug auf die eigene Bildung sowie seine Lehrtätigkeit genauer kennt, lassen sich auch seine Überlegungen zur Berufsbildung letztendlich verstehen. Dann sollen seine Vorschläge für die Bildung von Kaufleuten, Handwerkern, Bauern und Forstpersonal näher umrissen werden. Schliesslich soll der Kerngedanke aller bezüglichen Aussagen von Jung-Stilling verdeutlicht werden.

Ich möchte noch kurz erwähnen, dass ich als Siegerländer schon sehr früh mit der Persönlichkeit Jung-Stillings bekannt wurde. Näher vertraut mit der erstaunlichen Breite seines Denkens und Wirkens wurde ich dann bei den Versammlungen der Jung-Stilling-Gesellschaft, die Jung-Stilling-Forscher aus vielen Ländern jährlich in Siegen zusammenbringt. Einige der Herren standen mir auch mit mündlichen Auskünften bereitwillig zur Verfügung, wofür ich mich an dieser Stelle vielmals bedanken möchte. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Archivar der Jung-Stilling-Gesellschaft, Herrn Dr. phil. Erich Mertens in Lennestadt. Die hauptsächlich von ihm aufgebaute umfangreiche Datenbank zum Leben und Wirken von Jung-Stilling durfte ich nutzen, sie war mir in allem eine grosse Hilfe.

Bei Belegstellen habe ich stets die ursprüngliche Rechtschreibung übernommen. Auch die Bücher sind so zitiert, wie sie auf dem Titelblatt gedruckt sind, mag dies manchmal auch zunächst fehlerhaft erscheinen. Soweit Schriften von Jung-Stilling im Neudruck (und teilweise moderner Orthografie) vorliegen, habe ich diese herangezogen. Die in den Anmerkungen lediglich mit Kurztitel angeführten Werke sind mit den vollen bibliografischen Angaben in das Literaturverzeichnis aufgenommen.


2 Ökonomischer Fortschritt bei Jung-Stilling


“Es bleibt immer eine ausgemachte Sache: Geld bringt Ehre und Armut bringt Schmach.”12 Diese Einsicht konnte Jung-Stilling als Kind und Jugendlicher gewinnen, wie aus dem ersten Teil seiner Lebensgeschichte13 hervorgeht. Zwar gehörte das Siegerland – dank seiner Bodenschätze und der sich auf deren Gewinnung und Verarbeitung gründenden Gewerbe – zu Lebzeiten von Jung-Stilling nicht zu den Regionen, in denen Armut vorherrschte.14 Dabei nennt Jung-Stilling einen Menschen “arm”, der seine wesentlichen Bedürfnisse nicht völlig befriedigen kann.15 Wesentliche Bedürfnisse sind nach ihm “alle Bedürfnisse, ohne deren Befriedigung der Mensch seine Existenz nicht fortsetzen kann, oder deren Nichtbefriedigung sein Daseyn in Gefahr setzt.16 Indessen lernte Jung-Stilling auch im Siegerland Arme im definierten Sinne kennen, vor allem unter älteren Knechten und Mägden.17

Welches sind nun die Gründe der Armut, und wie kann man diese mindern? Diesem Fragenkreis widmet Jung-Stilling viele seiner Überlegungen. Sie münden alle in der Erkenntnis, dass die Nahrungsquelle verbessert werden müsse. Nahrungsquelle nennt Jung-Stilling “dasjenige Ding, welches die Befriedigungsmittel menschlicher Bedürfnisse ausliefert”,18 nämlich die Gewerbe. “Diese sind dreifach: die Landwirtschaft, nämlich die allgemeine, die Fabriken oder Handwerker und die Handlung”.19 Wenn Jung-Stilling die Landwirtschaft als die “allgemeine Nahrungsquelle” bezeichnet, dann meint er damit, dass letztlich alle Güter aus dem Boden kommen; die Landwirtschaft “ist also die eigentliche Quelle allen positiven Reichtums.”20 Dabei teilt Jung-Stilling die Landwirtschaft in vier Bereiche ein, nämlich (1) Forstwirtschaft, (2) Ackerbau und Viehzucht, (3) Veterinärmedizin (Vieharzneikunde) und (4) Bergbau.21 Der Begriff “Landwirtschaft” ist also bei ihm sehr weit zu fassen.

Minderung der Armut und Vermehrung des Reichtums ist nur möglich, wenn die Nahrungsquellen verbessert werden. “Eine Nahrungsquelle wird verbessert, wenn man ihre intensiven Kräfte immer mehr und mehr entwickelt, vervielfältigt und stärkt, so lang, bis sie den höchsten Ertrag liefert.”22 Ökonomischer Fortschritt heisst mit anderen Worten besserer Wirkungsgrad der Produktionsmittel. Aufgabe der Gewerbepolizei (in heutiger Sprache: der Wirtschaftspolitik) ist es daher, “die Erfindung sowohl der vielwirkenden Maschinen als auch der verschönernden und vervollkommnenden Maschinen zu befördern und die Erfinder zu belohnen.”23 Unter “vielwirkenden Maschinen” versteht Jung-Stilling arbeitssparenden technischen Fortschritt. Er verteidigt diesen nachdrücklich gegen den Vorwurf, Arbeitslosigkeit und Armut zu bewirken. Zurecht argumentiert er: “Wo die technischen Künste und Erfindungen blühen, da gedeihen auch Fabriken. Denn jene erleichtern die Mühe, verschönern die Fabrikate und machen alles wohlfeiler. Mithin wird der Absatz in Große befördert. Wo aber die Fabriken blühen, da fehlt es auch an Beschäftigung der Armen nicht.”24 Verschönernde und vervollkommnende Maschinen sind Maschinen, die zu einer besseren Produktqualität führen, die Faktorproportionen jedoch grundsätzlich nicht berühren.25 Jung-Stilling bringt für den technischen Fortschritt zu seinen Tagen eine Reihe von einsichtigen Beispielen aus seinem Erfahrungskreis, wie die Bandwebmaschine, die Flechtmaschine und den Strumpfstuhl.

 


3 Bessere Bildung als Voraussetzung des technischen Fortschritts


“Der Mensch hat keine Kunsttriebe, sondern er überlegt seine Handlungen um gewisse Zwecke dadurch zu erreichen; folglich muß er auch in seinem Gewerbe erst urtheilen und schließen, auf welche Weise ihm seine Nahrungsquelle am vollkommensten seine und der Seinigen Bedürfnisse befriedigen könne, um dann seine Wirkungen auf dieselbe darnach bestimmen zu können. Jenes Urtheilen und Schließen setzt aber setzt aber Vordersätze voraus, aus welchen vollständig erhellen muß, was die Nahrungsquelle im Ganzen und in allen ihren Theilen vermag; Da dieses nun nichts anders als ihre vollständige Känntniß ist, so ist erwiesen, daß jeder Erwerber seine Nahrungsquelle vollständig kennen müsse.”26 Denn da ja “jede Wirkung, die einen Zweck hat, nach Regeln geschehen muß, die ihr der Zweck vorschreibt, oder in ihm gegründet sind, so muß auch das Erwerben nach begründeten Heischesätzen geschehen, deren Erlernung also den Erwerber zur Erfüllung seiner Pflichten fähig macht.”27 Kürzer ausgedrückt: gewerbliche Tätigkeit allgemein und innovatives Handeln, das zum wirtschaftlichen Fortschritt führt, setzt genaue Berufskenntnisse voraus.

Da jedoch sieht Jung-Stilling für seine Zeit erhebliche Mängel. Den Bildungsstand auf allen Stufen der Gesellschaft schätzt er als zu gering ein, um als geeignete Basis wirtschaftlicher Verbesserungen zu genügen. Ja, er hält die Erwerber gar für eine “träge, dunkle, verworrene und arme Masse von Menschen. Es ist schwierig, Tätigkeit, Industrie und Licht in sie zu bringen. Der unerschrockenste Mann erschlafft bei dieser herkulischen Arbeit”,28 meint er gar. Auch in die Träger der Wirtschaftspolitik, in die Minister, Räte und Beamten, setzt er wenig Vertrauen, weil es diesen in der Regel an Erfahrung mangelt. Sie wissen zu wenig, was vor Ort geschieht und zu tun ist.29 Hier ist zu fragen, wie Jung-Stilling zu dieser Einschätzung kommt, und worauf sich seine diesbezüglichen Vorschläge zur Abhilfe gründen.


4 Grundlage der Bildungsempfehlungen von Jung-Stilling


Ohne Zweifel kann man in Jung-Stilling einen Gelehrten erkennen, der Aussagen zu praktischen (und danach auch zu grundlegenden) Fragen von Wirtschaft und Gesellschaft aufgrund unmittelbaren Eindrucks des jeweiligen Gegenstandes gewonnen hatte. Die zusammenfassende Schau seiner Wahrnehmungen, die reflektierte Erfahrung, heben die Ausführungen von Jung-Stilling von manchen zeitgenössischen Schriften ab, die lediglich Lehrsätze und Buchwissen verbreiten. Dass diese Einschätzung insbesonders in den Veröffentlichungen von Jung-Stilling berechtigt ist, läßt sich schon aus seinem Lebenslauf vermuten. Denn Jung-Stilling ist mit fast allem, worüber er schreibt, aus unmittelbarer Kenntnis sehr vertraut.


4.1 Geistige und berufliche Entwicklung von Jung-Stilling bis 1762


Johann Heinrich Jung-Stilling30 wächst in einer Grossfamilie des unteren Mittelstandes im Dorf Grund (heute Teil der Stadt Hilchenbach) auf. Der Vater übt den Beruf des Schneiders aus, der Grossvater betreibt eine Köhlerei. Jung-Stillings Mutter stirbt bereits 1742 im Alter von 24 Jahren. Die Familie Jung besitzt ein eigenes, auf die damaligen Verhältnisse bezogen hinlängliches Anwesen und eine teilselbstversorgende Landwirtschaft. Wie zu jener Zeit üblich, muss Jung-Stilling von kleinauf im Handwerk des Grossvaters und des Vaters mithelfen. Er wächst allmählich in das Arbeitsgebiet des Schneiders heran. Eine förmliche Lehre mit Gesellenprüfung war für Dorfhandwerker damals nicht erforderlich.

Von Kindheit auf wird Jung-Stilling also mit verschiedenen Zweigen der Produktion vertraut. Sein äussert wacher Geist lässt ihn früh erkennen, dass zur Bewältigung beruflicher Aufgaben neben Fleiss und zielgerichtetem Handeln vor allem auch gründliche Kenntnisse nötig sind.31 Es bedarf des Wissens, der Einsicht in die jeweiligen Gegebenheiten. Diese Erkenntnis zieht sich durch das Leben von Jung-Stilling hindurch. Ausnahmslos alle seine Publikationen wollen dem Leser Allgemeinbildung sowie Berufswissen andienen und ihn in Verbindung damit immer auch im christlichen Glauben bestärken. Seine zwischen 1781 und 1784 herausgegebene Monatsschrift “Der Volkslehrer“ und seine ab 1788 im “Hessen=Casselschen=Kalender“ veröffentlichten Beiträge (Jung-Stilling nennt sich hier “Bauernfreund“) haben in jedem einzelnen Beitrag diese Ziele. Man kann jenes Anliegen von Jung-Stilling mit dem Titel eines Auswahlbandes treffend ausdrücken: “Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften“.32

Im Herbst 1747 kommt Jung-Stilling in die Dorfschule zu Grund, im Herbst 1750 wechselt er für vier Jahre in die Lateinschule nach Hilchenbach über. Diese war eine vierklassige gemeindliche Ganztagsschule für begabte Kinder des Kirchspiels Hilchenbach (Jung-Stilling nennt diesen Ort in seiner Lebensgeschichte “Florenburg“). Neben der fliessenden Beherrschung der lateinischen Sprache lernte man in Hilchenbach auch Rechnen, Erdkunde, Geschichte und Singen. Religion war durchgehendes Lehrfach in sämtlichen Gebieten. Nach dem täglichen Besuch der Lateinschule muss Jung-Stilling zu Hause dem Vater beim Nähen und in der Knopfmacherei behilflich sein sowie bei Bedarf auch bei landwirtschaftlichen Arbeiten einspringen.

Zu Ende der Schulzeit verschafft der mit der Familie weitläufig verwandte Gemeindepfarrer Johannes Seelbach dem erst vierzehneinhalbjährigen Jung-Stilling eine Anstellung als Lehrer in Lützel, heute gleichfalls Ortsteil von Hilchenbach. Er tritt das Amt am 1. Mai 1755 an. Bis zum Jahr 1762 bleibt Jung-Stilling Lehrer an verschiedenen Orten im Siegerland und seines Umkreises.

Der Lehrer an einer Dorfschule stand zu jener Zeit in geringem Ansehen. Die Gemeinden des ehemaligen Fürstentums Nassau-Siegen und seit 1743 der Oranien-Nassauischen Lande (darin ging das Fürstentum durch Erbgang auf) waren verpflichtet, auf ihre Kosten einen Lehrer zu beschäftigen. Das Wahlrecht lag bei den Dorfbewohnern; die Schulaufsicht führte der zuständige Pfarrer. Das Jahresentgelt für den Lehrer beträgt um 1755 etwa 18 Reichstaler; die Kaufkraft eines Talers zu dieser Zeit kann man auf etwa 37 Euro schätzen. “Ein ganzjährig beschäftigter Handwerker kam um 1750 auf ein Einkommen von etwa 80 Taler im Jahr. … Alle Amtsträger – selbst der Bürgermeister und der Pfarrer – betrieben noch eine eigene, (teil)selbstversorgende Land-, Garten- und Viehwirtschaft. Pfarrer Seelbach bezog ein Zusatzeinkommen aus dem Miteigentum an einem Bergwerk. … Das Lehramt an der Dorfsschule ist somit eher eine Nebenbeschäftigung“.33 Die Gemeinde bietet zudem den Wandeltisch: der Lehrer wird nach einem Plan jeden Tag in einem anderen Haus verköstigt. Aber von dieser Vergütung kann ein Schulmeister (wie der Lehrer zu dieser Zeit auch genannt wird) kaum leben und erst recht keine Familie ernähren. So ist es üblich, dass am Ort ansässige Handwerker oder junge Burschen wie Jung-Stilling als Lehrer gewählt werden.

Jung-Stilling arbeitete zwischendurch immer wieder als Schneider teils bei seinem Vater, teils bei einem Meister in Hilchenbach. Von Neujahr bis Ostern 1762 wirkt er als Privatlehrer im Hause des Schöffen Friedrich Wirth und unterrichtet dessen Kinder in der lateinischen Sprache. Die Aussicht, Lehrer an der Lateinschule in Hilchenbach zu werden, zerschlägt sich. Jung-Stilling hat inzwischen eingesehen, dass er in seiner Heimat wohl kaum weiterkommen kann. So verlässt er am Ostermontag 1762 das Siegerland und macht sich auf die Wanderschaft ins Bergische Land.34


4.2 Bildungs- und Berufsweg bis 1772


Nachdem Jung-Stilling zunächst als Schneidergeselle in Solingen arbeitete, erhält er eine Stelle als Hauslehrer bei dem Fabrikanten Peter Hartcop in Hückeswagen. Mit sehr günstigem Anstellungsvertrag tritt Jung-Stilling danach im Juni 1763 eine Hauslehrerstelle bei dem vermögenden Fabrikanten, Handelsmann und Gutsbesitzer Peter Johannes Flender in Kräwinklerbrücke (heute Teil der Stadt Remscheid) an. Sieben Jahre lang wird er hier tätig bleiben. Flenders Vater ist Siegerländer; er selbst ist mit einer wohlhabenden Frau verheiratet; das Paar hat sieben Kinder. Sie sind bei Dienstantritt von Jung-Stilling zwischen zwei und vierzehn Jahren alt. Peter Johannes Flender hat eine sehr gute Allgemeinbildung und hervorragende Kenntnisse in Technik und Wirtschaft. Flender (Jung-Stilling nennt ihn in seiner Lebensgeschichte “Spanier“) schreibt auch Briefe in niederländisch und fügt in seine Korrespondenz lateinische Zitate ein. Das lässt den Schluss zu, dass er selbst wahrscheinlich durch einen Hauslehrer sorgfältig unterrichtet wurde.35

Im Hause Flender wächst Jung-Stilling nach und nach in die feine, kultivierte Lebensart des bergischen Grossbürgertums ein. Der Umgang zwischen dem Patron und dem dreizehn Jahre jüngeren Hauslehrer ist sehr vertraut, es ist keine einzige trübe Stunde dazwischen. “Sie waren recht vertraulich zusammen, redeten von Herzen von allerhand Sachen, besonders war Spanier ein ausbündig geschickter Landwirth und Kaufmann, so daß Stilling oftmahls zu sagen pflegt, Herrn Spaniers Haus war meine Academie, wo ich Oeconomie, Landwirthschaft und das Commerzienwesen aus dem Grund zu studiren Gelegenheit hatte.“36 Jung-Stilling wird von der Familie und dem Personal mit “Herr Informator“ angesprochen und rückt neben seiner Aufgabe als Hauslehrer nach und nach auch zur rechten Hand des Patrons im Geschäftlichen auf. Dennoch ist Jung-Stilling nur “Bedienter“ und der Familie standesmässig bei weitem nicht ebenbürtig.

Jung-Stilling kündigte nun in seinem 30. Lebensjahr bei Flender; er hatte inzwischen eine junge Frau in Ronsdorf (heute Teil der Stadt Wuppertal) kennengelernt, die er ein Jahr später auch heiratete. Mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters studierte Jung-Stilling in Strassburg Medizin. Aufgrund seiner Vorkenntnisse schloss er das Studium schon nach drei Semestern mit Lob ab. Seine in lateinischer Sprache verfasste Doktorarbeit behandelte ein Thema aus dem Gebiet der physikalischen Technologie, nämlich über das Eisengewerbe seiner Siegerländer Heimat; die theoretischen und angewandten Naturwissenschaften waren zu dieser Zeit auch in Strassburg noch in der medizinischen Fakultät beheimatet.


4.3 Arzt und Augenarzt in Elberfeld bis 1778


Von Mai 1772 bis Oktober 1778 wirkt Jung-Stilling als Arzt, Augenarzt Geburtshelfer und Brunnenarzt in Elberfeld, heute Zentrum der Stadt Wuppertal. Freilich bringt seine Praxis kaum das zum Leben für sich und seine Familie (in der Zeit werden zwei Kinder geboren) Nötige ein. Jung-Stilling gerät tief in Schulden, aus denen er erst 1804 durch die Schenkung einer grosszügigen Patientin in Winterthur befreit wird.

Die medizinische Grundversorgung lag um 1775 auch im Herzogtum Berg zum grossen Teil noch in der Hand von Wundärzten (Chirurgen) und Badern. Das medizinische Grundwissen beider Gruppen nichtstudierter Ärzte galt als vergleichsweise gering. Nach einer in der Regel vierjährigen Lehre wurden sie zum Beruf zugelassen. Eine Prüfung durch die Medizinalbehörden erfolgte selbst dann nicht, wenn ein Chirurg oder Bader unter der Bezeichnung “Feldscher“ Militärarzt wurde.

Da es im Bergischen keine Weiterbildungsstätten für niedrige Ärzte gab, hielt Jung-Stilling ab Sommer 1772 regelmässig Kurse für Wundärzte und Barbiergesellen. Die Lehrgänge fanden guten Zulauf. Bei Hofe zu Mannheim (das Bergische Land gehörte zum Herrschaftsbereich des Kurfürsten Carl Theodor) schlägt Jung-Stilling vor, eine Kurfürstliche Medizinische Akademie, zumindest vorerst ein Anatomisches Institut, zu gründen.37 Die schlechte Kassenlage des Kurfürstentums stand der Verwirklichung dieses Anliegens jedoch entgegen. Immerhin fährt Jung-Stilling aber bis zu seinem Weggang aus Elberfeld damit fort, die niedrige Ärzteschaft mit Erfolg weiterzubilden.


4.4 Hochschullehrer bis 1803


Im Oktober 1778 wird Jung-Stilling “ex abrupto“ (wie er selbst schreibt) zum ordentlichen Professor für “Landwirthschaft, Kunstwissenschaft (heute: Technologie, Produktionswissenschaft), Handlungswissenschaft und Vieharneykunst“ an die vier Jahre zuvor gegründete Kameral Hohe Schule in Kaiserslautern berufen.38 Dass in Mannheim die Wahl für diese sehr begehrte Stelle gerade auf Jung-Stilling fiel, dürfte wohl hauptsächlich mit dessen Eignung in allen diesen zu vertretenen Lehrfächern zu erklären sein.

“Für Stillings Berufung dürften mehrere Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Erstens hat Stilling sieben Jahre praktische Erfahrungen in der Betriebswirtschaft bei Peter Johannes Flender gesammelt. Zweitens weist er sich in seiner Doktorarbeit und in Abhandlungen als Kenner der Fertigung und des Absatzes aus. Er ist darüber hinaus als gelernter Schneider und Knopfmacher mit der handwerklichen Produktion vertraut. Drittens hat Stilling den Ruf eines hervorragenden Lehrers. Seine Vorlesungen für Chirurgen und Barbiere fanden auch bei Hofe zu Mannheim Beachtung“. Hinzu trat sicher auch noch, dass Jung-Stilling inzwischen in ganz Deutschland bekannt war, nachdem 1777 die autobiographische Erzählung “Henrich Stillings Jugend“ erschien; sein Studienfreund Johann Wolfgang Goethe hatte das Manuskript zum Druck befördert. In Kaiserlautern entstehen auch die ersten seiner insgesamt elf ökonomischen Fachbücher.39

Die Kameral Hohe Schule wird im Herbst 1784 als “Staatswirtschafts Hohe Schule“ der Universität Heidelberg angegliedert. Jung-Stilling siedelt mit seiner Familie dorthin um. Er hält am 10. November 1784 seine Antrittsvorlesung, die kurz danach auch im Druck erscheint. Mit Urkunde vom 31. März 1785 wird Jung-Stilling zum “Kurpfälzischen Hofrat“ ernannt, eine zur damaligen Zeit ehrenvolle und auch nützliche Auszeichnung; sie verschafft nämlich Jung-Stilling im eigenen Land und bei Reisen in andere Gebiete manche Bevorzugung.

Als akademischer Lehrer geniesst Jung-Stilling auch in Heidelberg hohes Ansehen. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten im November 1787 hält er eine eindrucksvolle Festrede in deutscher Sprache, die ausserordentlichen Beifall findet.40 Die Universität Heidelberg verleiht ihm die Ehrendoktorwürde in Philosophie; Jung-Stilling nennt sich ab jetzt in Buchtiteln “der Weltweisheit und Arzneikunde Doktor“.41 Mit den Studenten ist er im Sommer regelmässig auf Exkursionen gegangen. “Praktische land- und fabrikwissenschaftliche Kenntnisse haben wir in Menge gesammelt und damit unsere Theorie befestigt, berichtigt und zu größerer Gewißheit geführt“, beschreibt Jung-Stilling den Nutzen dieser Ausflüge.42 Jung-Stilling fährt fort: “Aber auch das haben wir noch tiefer erkennen lernen: wie wenig wir noch wissen und verstehen! Und dann: wie viel bei allem Flor unseres Vaterlandes im Ganzen zu verbessern noch rückständig ist!“ Sicher ist diese Verzahnung von Theorie und Praxis eine Besonderheit der Lehrweise von Jung-Stilling, und sie liegt ganz auf der Linie seines bereits erwähnten Grundsatzes “Beispiele belehren am besten“.43

Seit seiner Zeit in Elberfeld ist Jung-Stilling auch als Augenoperateur tätig; er dürfte bis zum Ende seines Lebens an die 3 000 Menschen durch Operation aus der Blindheit befreit haben.44 Wie zuvor bereits als Handwerker und als Arzt in Elberfeld, so lernt er auf den Reisen zu den Augenkranken viel über das Wirtschaften in den Haushalten aller Stände kennen. Dies kommt ihm als akademischer Lehrer sehr zu gute. In seinen Vorlesungen und Lehrbüchern berücksichtigt Jung-Stilling auch ausdrücklich den Verbrauch, die Konsumtion. Schon in den Beiträgen zum “Volkslehrer“ war diesen Ausführungen breiter Raum eingeräumt – bis hin zu sparsamen und ernährungsphysiologisch gesunden Küchenrezepten.

In Heidelberg erscheint auch das “Lehrbuch der Fabrikwissenschaft“ (1785), das bahnbrechende “Lehrbuch der Cameral=Rechnungs=Wissenschaft“ (1786)45 und das “Lehrbuch der Handlungswissenschaft“ (1785), das in Zweitauflage 1799 und in dänischer Übersetzung noch nach dem Tode von Jung-Stilling 1824 aufgelegt wurde.46 Sein zweibändiges “Lehrbuch der Vieharzneykunde“ (1785/87) enthält viele beachtenswerte naturphilosophische Erklärungen, die zum Teil nur Jung-Stilling eigen sind. Auch dieses Werk erfährt 1795 eine umgearbeitete Neuauflage. Jung-Stilling veröffentlicht 1787 eine Übersetzung der “Georgica“ des römischen Dichters Vergil. In ihre finden sich sämtliche die Landwirtschaft betreffenden Fachbegriffe wiedergeben, wobei ihm die Verse nicht immer gut gelungen sind. Die Ausgabe zeugt aber von der eingehenden Kenntnis des Übersetzers über die landwirtschaftliche Produktion in all ihren Zweigen. Nicht wenige der Studenten von Jung-Stilling aber dürften aus bäuerlichen Familien gekommen sein (der Anteil der Landwirtschaft am Sozialprodukt lag um diese Zeit noch bei fast 80 Prozent47) und von den Vorlesungen ihres Professors hier besonders profitiert haben.

Unter Verdoppelung seines Gehalts wird Jung-Stilling zum Sommer-semester 1787 als Professor für “Oekonomie-, Finanz- und Kameralwissen-schaften“ an die Universität Marburg berufen. Sechzehn Jahre lang lehrt Jung-Stilling an dieser Universität. Täglich liest er vier bis fünf Stunden; “er bemühte sich in seinem Amt alles zu leisten, was die Kraft eines Menschen leisten kann; … wobei dann auch die Staar- und Augencuren ununterbrochen fortgesetzt wurden.“48 An der medizinischen Fakultät hält er Übungen zur Augenchirurgie ab und verfasst dazu einen eigenen Leitfaden.49 Auch wichtige Lehrbücher zu ökonomischen Teildisziplinen entstehen in dieser Zeit, daneben auch literarische und theologische Werke sowie eine Reihe viel gelesener Volksschriften. Der 1794/96 in vier Teilen erschienene Roman “Das Heimweh“ verbreitete sich schnell und wird bis heute immer wieder neu gedruckt; Übersetzungen erschienen auch ins Russische und Niederländische.50
Auch in Marburg unternimmt Jung-Stilling mit den Studenten Exkurs-ionen, sogar mehrtätige Ausflüge zu Fuss bis nach Kassel.51 Überschattet wird seine Wirksamkeit aber bald durch die Französische Revolution von 1789. “Die allgemeine Stimmung war damals revolutionär und günstig für Frankreich“ stellt Jung-Stilling rückblickend fest.52 Besonders an der Universität Marburg machte sich der Geist des Umsturzes breit, er “schnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten im revolutionären Sinn und Taumel“.53 Jung-Stilling hatte darunter auf mehrfache Weise zu leiden. Erst als der Strom der Flüchtlinge einsetzte, und Marburg mit den umliegenden Ortschaften an die 45 000 aufnehmen musste, scheint sich der Revolutionsdrang der Studenten zumindest gedämpft zu haben.54

Angesicht der Kriegsereignisse leert sich die Universität Marburg; “Stillings Auditorium wurde immer kleiner, so daß er of nur zwey bis drey Zuhörer hatte.“55 Sein Beruf als akademischer Lehrer wird Jung-Stilling auch aufgrund einiger Gehässigkeiten verleitet. So verlässt er mit seiner Familie (Jung-Stilling war 1790 zum zweiten Mal Witwer geworden und heiratete gleich darauf wieder) 1803 Marburg.

 


4.5 Letzter Lebensabschnitt in Baden


Karl Friedrich von Baden (1728-1811), mit dem Jung-Stilling über seinen Roman “Das Heimweh“ in Briefwechsel getreten war, berief Jung-Stilling mit einem Ehrengehalt nach Baden. Zunächst lässt sich Jung-Stilling mit seiner Familie bis 1806 in Heidelberg nieder. Er ist dort zwar grundsätzlich von amtlichen Verpflichtungen frei, muss sich aber in Gutachten zur Besetzung der Lehrstühle an der wiedererrichteten Universität äussern.

Im Jahre 1806 übersiedelt Jung-Stilling auf Wunsch des Grossherzogs nach Karlsruhe; der Fürst will ihn als Ratgeber täglich um sich haben.56 Durch kluge Hauspolitik (er gab seinem Enkel eine Adoptivtochter von Napoleon Bornaparte zur Frau) konnte Karl Friedrich erreichen, dass Baden von den schlimmsten Auswirkungen der zunehmend verheerenden Kriegshandlungen verschont blieb. In Karlsruhe konnte sogar wieder geistiges Leben aufblühen. Ein französischer Emigrant, Louis de Graimberg (1776–1820), gründete zusammen mit seiner Gemahlin Amalie dort 1810 eine Schule für höhere Töchter. Zwei der Mädchen aus dritter Ehe von Jung-Stilling, Amalie und Christine, besuchten dieses Institut.

Da Jung-Stilling und seine Frau mit dem Ehepaar de Graimberg persönlich eng befreundet waren, und weil ihm die Frauenbildung sehr am Herzen lag, übernahm er dort den Unterricht in Naturkunde. Aus dieser Lehrtätigkeit geht auch sein letztes Buch hervor.57 So ist Jung-Stilling, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, 62 Jahre seines Lebens hindurch als Lehrender in allen Stufen des Bildungssystems tätig gewesen. Zurecht schreibt er: “Ich finde also daß ich meinem Caracter nach, auf ewig zum Schulmeister bestimmt bin.”58

In Karlsruhe stirbt Jung-Stilling 1817. Sein Grabmal befindet sich heute auf dem Hauptfriedhof. In seinem Todesjahr lebten noch sechs der dreizehn Kinder, die Jung-Stilling aus drei Ehen hatte.


5 Berufsbildung einzelner Gruppen nach Jung-Stilling


Aus seiner Lehrerfahrung weiss Jung-Stilling, dass eine befriedigende Berufsausbildung einen hinlänglichen Wissenserwerb in den Volksschulen voraussetzt. Überhaupt aber hängt von den Volksschulen “der sittliche Caracter eines Volks und sein ganzer Wohlstand” ab.59 So ist es zu verstehen, dass Jung-Stilling immer wieder die Verbesserung der Grundschulen fordert. An erster Stelle verlangt er ein Umdenken: er wirbt für mehr Einsicht in die Notwendigkeit gut eingerichteter Volksschulen. Adressaten seiner diesbezüglichen Mahnrufe sind vornehmlich die Regenten und ihre Minister, die selbst nie eine Volksschule besucht haben, sondern durch einen Hauslehrer unterrichtet wurden.60

Als praktische Massnahmen verlangt Jung-Stilling in erster Linie eine planmässige Ausbildung der Lehrer: ein Appell, der erst etwa 100 Jahre später allgemein verwirklicht werden sollte.61 Als nächstes dringt er auf die Bereitstellung zweckmässiger Gebäude durch die gemeindlichen Schulträger. Soweit sich arme Dörfer dies nicht leisten können, sind Arbeitsschulen einzurichten.62 Schliesslich drängt Jung-Stilling auf eine Angleichung der Lehrinhalte; denn nur so haben die Jugendlichen in etwa gleiche Berufschancen. Bei allem aber sollte das materiale Bildungsziel nicht vergessen werden. Jung-Stilling unterstreicht, “das der wahre Hauptzweck alles unseres Wissens eigentlich darinnen bestehe, die Vernunft zur Bestimmung des Willens zur Bewirkung des eigenen und allgemeinen Besten immer geschickter zu machen.”63

Im Folgenden werden die Vorschläge von Jung-Stilling zur Berufsbildung von Kaufleuten, Handwerkern, Bauern und Forstleuten näher dargestellt werden.


5.1 Kaufleute


Wenn Jung-Stilling von “Kaufmann” (Mehrzahl: “Kaufleute”) spricht, dann meint er nicht, wie im heutigen Sprachgebrauch, alle Personen, die am Handel beteiligt sind. Vielmehr hat Jung-Stilling hier immer Unternehmer im Auge, die über Geldkapital und Liegenschaften verfügen, Dienstpersonal (wie Comptoirbediente, Handelsgehilfen, Fuhrleute, Packer, Lastträger, Ausläufer usw.) in ihrem Betrieb beschäftigen sowie auch in ihrem Privathaushalt die Dienste von Angestellten (Knechte, Mägde, Kutscher, Amme, Kinderfräulein, Wirtschafterin usw.) in Anspruch nehmen.

Zu diesem Hauspersonal gehört auch der Hauslehrer; er wird zu Zeiten von Jung-Stilling auch “Informator” oder “Präzeptor” genannt. Jung-Stilling, der ja selbst sieben Jahre im Hause Flender als Hauslehrer wirkte, wird von seinem Patron mit “Präzeptor” angesprochen.64 Die Privatlehrer in den Häusern der Kaufleute und Adligen waren in der Regel Kandidaten, nämlich Absolventen der Universität, die auf eine lebensberufliche Stellung warteten.


5.1.1 Istzustand und Bildungsfehler


Die Volksschulen sind nach allen Erfahrungen, die Jung-Stilling selbst als Schüler und Lehrer machte, “für Kinder von höherer Bestimmung weder zweck-mäßig noch hinreichend.”65 Daher ist es elterliche Pflicht, diesen Kindern zu Hause eine angemessene Erziehung zuteil werden zu lassen. Das gilt auch für Kinder aus Kaufmannsfamilien. Natürlich sind mit der häuslichen Privaterziehung nur äussere Voraussetzungen für die allgemeine und die berufliche Bildung geschaffen. Nach seiner Devise: “Beispiele belehren am besten” geht Jung-Stilling auf zwei Hauptgefahren bei der Bildung des kaufmännischen Nachwuchses ein, nämlich unpassende Bildungsziele und unpassende Bildungsinhalte.

Jung-Stilling stellt zum ersten Mangel einen Handwerker vor, der sich mit Fleiss und Geschick zu einem wohlhabenden Gewerbetreibenden empor-arbeitete.66 Da ihm jedoch an noch mehr gesellschaftlichem Ansehen lag, so bot er weiterhin seine ganze Kraft auf und schaffte es auch schliesslich, ein begüterter Kaufmann zu werden. Jung-Stilling beschreibt den Charakter dieses Aufsteigers als bedächtig und sparsam. Er hatte jeder Art von Pracht und Luxus67 gegenüber eine starke Abneigung; denn er sah, wie dadurch viele andere zu Fall gekommen waren.

Diese Einstellung des Vaters hatte nun einen bestimmenden Einfluss auf die Erziehung seiner Kinder. Sie hinderte ihn daran, die Möglichkeiten seines Reichtums zu deren Gunsten rrichtig zu nutzen. Die Familie lebte auf dem Lande. Damit die Söhne des Hauses auch ja keinen “hohen Ton” annehmen, wurde ein Schulmeister statt eines Kandidaten ins Haus geholt. Ebenso durften die Söhne mit den Jahren nicht reisen. Sie blieben im väterlichen Hause und lernten nichts von der Welt, nichts von Mode, Pracht und Luxus kennen. Sie verinnerlichten den Geist der Familie, nämlich “eiserner Drang nach Reichtümern”. Sie waren “dumm und stolz. Das erste rührte von der Erziehung und das zweite vom Reichtum her.”68

Ohne ausreichendes Wissen sowie ohne Kenntnisse der feinen Sitten kamen die Söhne und Enkel nach dem Ableben des Familienoberhauptes nunmehr unter die Leute. Sehr schnell sahen sie, dass ihre Bildung ihrem Stande als Kaufmann nicht entsprach. So fingen sie an, unbedacht und mit Gewalt dies ändern zu wollen. Ihr Lebensstil wurde fortan in erster Linie von Pracht und Luxus bestimmt, und bald verarmten sie.

Den Grund des Niedergangs der Familie sieht Jung-Stilling in den falschen Vorstellungen von rechter Erziehung beim Familienoberhaupt. Er hätte die Kinder in den Wissenschaften unterrichten lassen und sie dann rechtzeitig in auswärtige Häuser zur Vervollständigung ihrer Kenntnisse schicken sollen, damit sie Weltkenntnisse erlangen, anstatt sie zu Hause abzukapseln. Denn “eine zu große und strenge Entfernung von der Welt setzt der Seele zu enge Schranken. Sie sprengt diese mit aller Gewalt, wenn sie einmal frei und sich selbst überlassen wird. Sie bricht durch und zertrümmert alle ihre Glückseligkeit.”69

Zu unpassenden Bildungsinhalten stellt Jung-Stilling einen anderen, gleichfalls vom Handwerker zum reichen Kaufmann emporgestiegenen Familienvater vor; auch er war sehr sparsam und ein Feind von Pracht und Luxus. Allerdings lies er seinen Söhnen eine gute Bildung zuteil werden. Zwecks dessen schickte der Vater sie in ein bekanntes Internat, in dem (das auch für Kaufleute jener Zeit sehr wichtige) Französisch die Umgangssprache war.70 Die beiden Söhne kamen als gebildete und gesittete Menschen nach Hause. Als der Vater kurz danach starb, führten sie die Geschäfte gemeinsam weiter. Sie gönnten sich nun den ihrem Vermögen und Bildungsstand gemässen Aufwand. Dennoch verarmten sie nach und nach.

Jung-Stilling sieht hier die Ursache des Abstiegs in dem für Kaufmanns-söhne nicht passenden Bildungsinhalt. Der Vater hätte seine beiden Söhne vier bis sechs Jahre in ein auswärtiges Handelsunternehmen zur Ausbildung schicken sollen, damit sie dort die nötigen kaufmannsberuflichen Kenntnisse erlernten. Allein mit dem in der Internatsschule gelehrten Wissen waren sie nicht auf ihr Aufgabengebiet als Kaufleute vorbereitet.


5.1.2 Regeln zur Grund- und Weiterbildung


Für Söhne aus Kaufmannsfamilien empfiehlt Jung-Stilling zunächst, dass sie von kleinauf in der Familie “zu den Wahrheiten der Religion, zur Gottesfurcht und Liebe gegen Gott und Menschen” angeführt werden.71 Von einem Hauslehrer sind sie sodann im Lesen, Schreiben und Rechnen zu unterrichten. Dabei ist es wichtig, dass der Knabe72 lernt, schön und vor allem deutlich zu schreiben. Jung-Stilling hebt hervor, dass hier eine saubere Handschrift ebenso wichtig ist wie ein klarer Ausdruck. Denn “es ist ausserordentlich verdrießlich, wenn man lange buchstabiren, und die Züge vergleichen muß, bis man weiß, wie das Wort heißt; ebenso beschwerlich ist es, wenn der Styl undeutlich ist, und der Sinn zweifelhaft bleibt, solche Wirrköpfe werden in der Handlung gescheut.”73

Mit 16 bis 17 Jahren soll der Kaufmannssohn im eigenen Betrieb in die Lehre gehen. Dabei darf er gegenüber den anderen Bediensteten keinerlei Bevorzugung geniessen. Es soll ihm Lohn wie jedem anderen bezahlt werden; er muss davon aber seinen Unterhalt bestreiten. Er hat deshalb auch seinen Eltern Kostgeld zu geben und in Speise, Trank und Kleidung wie die anderen Arbeitsleute zu leben. Dadurch “gewinnen die Arbeitsleute den jungen Herrn lieb. Sie helfen ihm, unterstützen ihn in seiner Arbeit, und da auf diese Weise immer jemand bei ihnen ist: so müssen sich auch diejenigen in Acht nehmen, welche untreu gesinnt sind.”74 Auf diese Weise lernen die Bediensteten den jungen Herrn kennen und dieser das Personal. Bei Übernahme der Geschäfte aus der Hand seines Vaters wird ihm das einmal von grossem Vorteil sein.

Der nun 20 bis 21jährige Kaufmann soll in einem nächsten Ausbildungsschritt in die Fremde gehen. Entweder sammelt er weitere Kenntnisse in einem anderen Handelshaus oder er besucht eine Hochschule, wie etwa die Kameral Hohe Schule in Kaiserslautern, an der Jung-Stilling ab 1778 ökonomische Wissen-schaften lehrte. Als Student wird er sparsam leben und sich von Ausschweifungen fern halten; denn während seiner Lehrzeit hat er sich ja einen bescheidenen Lebensstil angewöhnt. Weil er eine Lehre absolviert hat, so wird er auch im Studium gegenüber den Kommilitonen im Vorteil sein.

Nach Studienabschluss bzw. nach Rückkehr von einem fremden Handelshaus sollte der junge Herr jedoch noch nicht sogleich in den elterlichen Betrieb eintreten. Vielmehr “reist er nun ein paar Jahre; besonders in die Gegenden, wo seine künftigen Güter hintransportiert werden sollen.”75 Er lernt auf diese Weise seine Abnehmer kennen, und diese ihrerseits können sich einen Eindruck von der Person ihres Geschäftspartners machen.

Jetzt erst wird er zu Hause als Juniorchef aufgenommen. “Die Arbeitsleute lieben ihn mit Enthusiasmus. Sie erinnern sich mit Vergnügen an die ehemaligen Zeiten und suchen Ehre darin, daß er ihr Kamerad war. Nun aber verbinden sie Ehrfurcht mit Liebe und gehorsamen ohne Zwang – und das ist alles, was man wünschen kann!”76


5.1.3 Eignungsvoraussetzungen für den Kaufmann


Jung-Stilling zählt eine Reihe von Anlagen (Fähigkeiten, irgendetwas zu bewirken oder zu erleiden), Neigungen (hier gemeint als Richtung und Stärke der Berufsinteressen) und Charaktermerkmale (Charakter verstanden als das dauernde und einheitliche Wesen einer Person) auf, die einem Kaufmann eignen müssen. Negativ beurteilt Jung-Stilling zunächst Menschen mit übertriebener Herzensgüte: die lieber geben als nehmen.77 Zweitens warnt er ein Genie davor, in den Kaufmannstand einzutreten; genauer gesagt meint er damit jeden, der “vieles auf einmal überschaut, unmöglich ins Detail gehen kann; wer sich aus einer Sphäre in die andere wälzt.”78 Drittens sind Menschen, die einer kostspieligen Leidenschaft frönen, zur Kaufmannschaft ungeeignet; hierzu zählen besonders auch Bauwütige.79 Viertens ist zum Kaufmann ungeeignet, wer geizig ist. Denn “er wird nichts wagen, und also auch nichts gewinnen.”80 Schliesslich: “Ein dummer eingeschränkter Kopf, ist ohne weitern Beweis zu diesem Gewerbe unfähig.81

Positiv zählt Jung-Stilling Eigenschaften auf,82 die einem Kaufmann zu-kommen müssen, nämlich

(1) Handlungsgeist: “seine Seele muß mit Lust zu diesem Geschäfte angefüllt sein”

(2) Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und “pedantisches Worthalten dessen, was man einmal versprochen hat.”

(3) Vorsicht, Behutsamkeit und Klugheit, “damit ihn kein unreifer Hazard, kein unüberlegtes Zutrauen zu unsicheren Personen zu Grunde richte.”

(4) Ordnungssinn, Verschwiegenheit und Entschlusskraft; dazu auch “wachsam, freundlich und höflich, gelind, freygebig ohne Verschwendung, großmüthig, herzhaft und gesund.”
(5) Geschick zur richtigen Personalführung; “seine Bedienten und Untergebenen muß er mit freundlichem Ernst in kindlicher Furcht zu halten wissen, ihnen mit kluger Verschwiegenheit alles zuzutrauen scheinen, und ihre Verdienste nach Würden belohen.”

“Alle diese Eigenschaften sind so wichtig und wesentlich, daß keine einzige fehlen darf”, hebt Jung-Stilling am Schluss der Aufzählung hervor.83


5.1.4 Berufsnotwendiges Wissen


Wer ein erfolgreicher Kaufmann sein will, “der muß alles verstehen, was zu diesem Gewerbe gehört: er muß erstlich alle Oerter wissen, wo sich der Ueberfluß der Waaren befindet …; zweytens muß er die vortheilhafteste Art der Bezahlung … verstehen; drittens, alle Oerter wissen, wo er seine Güter wieder am nützlichsten absetzen kann; viertens die vorteilhafteste Art der Versendung kennen, und endlich fünftens muß er die Kunst verstehen, alle seine Geschäfte so zu ordnen und zu führen, daß er sie alle zweckmäßig seinem Gedächtniß vorstellen … und seine eigene Vermögensumstände richtig, und mit Gewißheit bestimmen könne.”84

Aus diesen Anforderungen leitet Jung-Stilling auch die einzelnen Lehren ab, die Teildisziplinen der Handlungswissenschaft sind, und die er zum notwendigen kaufmännischen Wissen zählt.85 Es sind dies:
(1) Warenkunde; denn “es ist nicht möglich mit etwas zu handeln, das man nicht kennt”. Der Kaufmann sollte möglichst alle aus der Natur, dem Landanbau oder der Fabrikation kommenden Erzeugnisse kennen.

(2) Geldkunde; denn noch ist “das Geld nach seinem inneren und äussern Werth, nach seinem Gepräge und Verhältnissen sehr verschieden; er muß also eine vollständige Geldkenntniß von allen den Orten haben, wohin sich sein Verkehr erstreckt.”

(3) Handelskunde; Jung-Stilling versteht darunter die Grundsätze, die sich darauf beziehen, wie Kauf und Verkauf zum Vorteil des Kaufmanns und zum Besten des Staats geschehen müssen.

(4) Frachtkunde; hier gliedert Jung-Stilling in das Wissen um die Transportkosten in der Schiffart, im Fuhrbetrieb und im Postwesen.

(5) Zahlungskunde; denn “Geld ist die Seele der Handlung. Aber eben dies Bezahlen erfordert bey so vielen Verhältnissen des Geldes, des Credits, der umlaufenden Papiere, Wechsel, Aktien, Banken, und ihren Papieren, den Gefahren des Verlusts, und Hoffnung des Gewinns, ungemein viele und wichtige Kenntnisse.”

(6) Comtoirkunde; sie lehrt die Technik aller Tätigkeiten der “kaufmännischen Werkstatt” wie Korrespondenz, Zahlungsverkehr, Buchführung und Archivierung.

Diesen sechs Teildisziplinen der Handlungswissenschaft sind die einzelnen Abschnitte des Lehrbuchs gewidmet. Zuvor untergliedert Jung-Stilling die aufgezählten Teildisziplinen in besondere Lehren.86 Neben diesen berufsnotwendigen Kenntnissen für den Kaufmann “giebts aber noch verschiedene, die ihm gerade nicht unumgänglich nothwendig, aber doch nützlich und wohlanständig sind”87 Jung-Stilling nennt hier:

(1) Politische Handlung, “durch welche er unterrichtet wird, was seinem Vaterlande vorzüglich nützlich und schädlich ist”.

(2) Wappenkunst, “um die Münzen desto besser kennen zu lernen”.

(3) Visierkunst, “um mit dem Maasstab in der Hand, den Inhalt flüßiger Sachen in den Fässern zu finden”. In der Regel wurde diese Arbeit aber einem angestellten Visierer (Fassmesser, Eichmeister) übertragen.

(4) Zeichnen, “um Maschinen, Gebäude u.d.g. richtig in Risse bringen zu können”.

(5) Geschichte, “besonders die Kaufmännische, denn diese giebt ihm sehr nützliche Beobachtungen und Erfahrungen im Gang der Handlung, was sie befördert, und was sie hindert.”

(6) Schöne Wissenschaften, denn “diese geben dem Geist Aufklärung, und dem Herzen Empfindung; beydes ist dem Kaufmann sehr nützlich. Seine immerwährende trockene Geschäfte erfüllen nach und nach seine Seele, und lassen der Erkenntnis des Schönen und Guten keinen Raum mehr übrig …dieß alles wird durch eine wohlgewählte Lektüre verhütet”.88

(7) Religion; denn sie “ist die Quelle aller Tugenden, und wenn je ein Erwerber89 ihrer bedarf, so ists der Kaufmann. … Man kann wohl sagen, daß der Kaufmann den allerschmälesten Weg zum Himmel habe.”


5.2 Handwerker


Bei Aussagen von Jung-Stilling zum Handwerk muss man sehr genau prüfen, welche Berufsgruppe er jeweils meint. Denn einmal ist “Handwerker” bei ihm ein Oberbegriff90 und Synonym für “Zubereiter”. Darunter fasst Jung-Stilling “alle Handwerksleute, Fabrikanten und Künstler”91 Handwerksleute sind hier Zubereiter, bei deren beruflichen Tun “gewisse festgesetzte Heischesätze nöthig sind, zu deren Erlernung nur ein ordentliches Gedächtniß, und sie zu begreifen nur ein gewöhnlicher Menschenverstand erfordert wird.”92 In heutiger Terminologie handelt es sich also um Lohnarbeiter, um abhängig Beschäftigte. Mit Künstler als Unterbegriff meint Jung-Stilling die Handwerker im heutigen Sinne.93 Kunst ist nach Jung-Stilling Wissen um produktionstechnische Zusammenhänge, verbunden mit der ausgebildeten Geschicklichkeit, diese zu beeinflussen.94 Fabrikant ist allgemein “ein Profeßionist, … der anfängt durch viele Arbeiter eine Menge roher Produkten zu Befriedigungsmitteln umzuschaffen, um dann mit diesen seinen Fabrikaten Handlung zu treiben.”95

Jung-Stilling setzt aber an anderer Stelle96 Handwerker und Handwerksmann mit Künstler gleich: er gebraucht also den Begriff Handwerker so, wie er auch heute allgemein üblich ist. Der Vater von Jung-Stilling übte den Beruf des Schneiders und Knopfmachers aus, der Grossvater Jung wirkte als Köhler und der Grossvater Helmes als Löffelmacher.97 Von kleinauf war Jung-Stilling dadurch auch mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld des Handwerks besonders vertraut. Welche Vorschläge entspringen dieser Kenntnis?


5.2.1 Handwerkslehre und Lossprechung


Jung-Stilling fordert für Handwerker eine förmliche Lehren, deren Länge je nach Handwerk unterschiedlich sein kann und von den Zünften (in dieser Funktion in etwa den heutigen Handwerkskammern entsprechend) festgelegt wird. “Der gesetzmäßige Contrakt, den ein Jüngling mit seinem Meister zur Erlernung des Handwerks macht, und den die Zunftmeister ratifizieren müssen, heißt der Lehrbrief, und das ganze Geschäfte des Contrakts in Gegenwart der Zunftvorsteher wird das Aufdingen genannt. Beyde Geschäfte dürfen weiter nichts als die mäßigen Schreibgebühren kosten.”98 Nach Abschluss der Lehre muss der Lehrling “mit seinem Lehrherrn vor den Zunftvorstehern erscheinen, und letzterer (gemeint ist der Lehrherr, M.S.) muss dann ein Zeugnis von seiner Geschicklichkeit und guten Aufführung ablegen, worauf er losgesprochen und mit einem Dokument versehen wird, welches Kundschaft heißt. … Durch eine solche Kundschaft wird nun der Geselle in den Stand gesetzt, auf Wanderung zu gehen.”99 Ein Gesellenstück als praktischer Teil der Prüfung ist gilt als selbstverständlich.


5.2.2 Wanderschaft


Der Geselle sollte zu seinem eigenen Vorteil auf Wanderschaft gehen; man sollte aber keinen Zwang dazu verordnen.100 Jung-Stilling denkt hier sicher auch an seine eigenen häuslichen Verhältnisse, wodurch bei längerer Abwesenheit des einzigen Sohnes der Familie ein wirtschaftlicher Schaden entstanden wäre; zumal ja beim Dorfhandwerker auch körperlich schwere Arbeiten (wie das Dreschen) in der teilselbstversorgenden Landwirtschaft anfielen.101 Wer wandert und bei fremden Meistern erlernte Neuerungen mit nach Hause bringt, “bekommt eine Prämie und wird gefördert.”102


5.2.3 Meisterbrief und Weiterbildung


“Wenn sich der Geselle durchs Arbeiten bei andern Meistern in seinem Handwerk gehörig vervollkommnet hat, so muß er an dem Ort, wo er sich niederlassen will, von der Zunft examinieren lassen, und ein Meisterstück machen; wenn er alsdann besteht, so muß ihn die Zunft zum Meister machen und aufnehmen.”103 Das Meisterstück soll “aus den neuesten Modestücken des Handwerks”104 gewählt werden.

Ausführlich beschäftigt sich Jung-Stilling mit Vorkehrungen, die den Zünften verbieten, die Zahl der Meister zu beschränken bzw. andere wettbewerbshemmende Regeln einzuführen.105 Ein vorzügliches Mittel zur Wettbewerbs-förderung im Handwerk erkennt Jung-Stilling in Schaugerichten; darunter versteht er sachkundige Gremien zur Beurteilung der Qualität handwerklicher Erzeugnisse.106 Ein entsprechendes Gütesiegel spornt die Meister an, sich in ihrem Handwerk weiterzubilden; es schützt auch die Abnehmer vor qualitativ minderwertiger Ware.


5.3 Bauern


“Die Landwirthschaft liefert bey weitem die mehresten und wichtigsten Befriedigungsmittel; sie ist also unstreitig das vornehmste und wichtigste Gewerbe der Produktion, und auch des ganzen Staats; die Bauern machen die eigentlichsten und beständigsten Unterthanen aus, von ihrer starken Bevölkerung und von ihrem Flor hängt die Quelle alles Glücks und Wohlstands der gesammten Staatswirthschaft ab.”107 Diese Feststellung ist angesichts der Tatsache, dass zu Zeiten von Jung-Stilling noch fast 80% des Volkseinkommens aus der Landwirtschaft kommen, durchaus berechtigt. Andererseits beklagt Jung-Stilling in seinen Schriften durchgehends, dass in keinem anderen Bereich so viele ungenutzte Produktionsreserven lägen wie gerade in der Landwirtschaft.

Mengenmäßig am meisten beschäftigt sich Jung-Stilling in seinen Schriften daher mit der Verbesserung der Landwirtschaft. Seine bereits erwähnte Monatsschrift “Der Volkslehrer” (zwischen 1781 und 1784 erschienen; Jung-Stilling ist ihr einziger Autor), seine Beiträge unter dem Pseudonym “Bauernfreund” im “Hessen=Casselschen Kalender” ab 1788,108 eine Reihe einzelner Abhandlungen sowie die entsprechenden Kapitel in seinem ökonomischen Lehrbüchern zeugen von seinem Bestreben, Vorschläge zu einer verbesserten Landwirtschaft anzudienen. Er bereut dabei, nicht schon in jungen Jahren mehr über landwirtschaftliche Verbesserungen nachgedacht zu haben.109


5.3.1 Landwirtschaftslehre und Prüfung


“Das Bauernhandwerk ist gewiß eines der schwersten. Aber es lernt niemand ordentlich, wie es sich gehört”.110 Der Sohn schaut vom Vater ab, wie dieser es macht und richtet sich sein Leben lang danach. Das jedoch hält Jung-Stilling für völlig ungenügend.111 Denn Verbesserungen jeder Art, wie vor allem wiesenbauliche Maßnahmen, verbesserte Viehzucht durch Kleeanbau und Stallfütterung, genau geplante Milchwirtschaft, Programme zum Anbau der Feldfrüchte, Neuerungen in den Baulichkeiten für Viehställe und Scheunen112 und andere dringen so kaum oder gar nicht durch. Die Landwirtschaft tritt auf diese Weise weitestgehend auf der Stelle.

Es scheint verbreitete Meinung gewesen zu sein, dass die Kinder ja in der Schule Unterricht in Naturlehre erhielten, und dass sie im Zuge dessen auch alles Wichtige über die Landwirtschaft erführen. Jung-Stilling, der selbst sieben Jahre als Dorfschullehrer tätig war, hegt hier begründete Zweifel. Wenn dem so wäre, dann “müßten die Schulmeister andere Kerle sein, als sie wirklich sind. Sie müßten die Landwirtschaft auf einer hohen Schule studieren. Aber wo kann ein studierter Schulmeister leben, so lange der Schulmeisterlohn 20, 30 bis 40 Gulden ist? Es ist gewiß nicht der Mühe wert, darum zu studieren.”113

Notwendig ist, dass ein Bauernsohn nach Abschluss der Schule zu einem anderen Bauern als Knecht in die Lehre geht. Jung-Stilling legt großen Wert darauf, dass der Lehrbetrieb auch in allem nach den neuesten Erkenntnissen in der Agrarwissenschaft arbeitet. Denn “wie mag es nun wohl kommen, daß jeder der ein Handwerk lernen will, vorher Lehr-Jahre stehen muß, dann Gesell, und endlich nach gehöriger Prüfung und Meisterstück erst Meister werden kann, und bey der Landwirthschaft denkt kein Mensch daran, den Jüngling oder das Mädchen114 zu prüfen, ob sie beyde zu diesem wichtigen Gewerbe die gehörigen Känntnisse und Geschicklichkeit haben?”115 Deshalb ist auch hier zunächst eine Gesellenprüfung vor einer eigenen Kammer, der “Ökonomiekommission”116 abzulegen.

Dem Prüfling stellt man in der Ökonomiekommission Fachfragen, die er zu beantworten hat. Sie zielen darauf ab zu erkunden, ob er ein Landgut ordentlich zu bewirtschaften weiss und imstande ist, eine landwirtschaftliche Haushaltung fachgerecht zu führen.117 Über die Dauer der Landwirtschaftslehre macht Jung-Stilling keine genauen Angaben. Er geht aber davon aus, dass der Bauernsohn bald nach Abschluss der Schule in die Lehre geht, und dass ihm erst nach bestandener Prüfung die Heirat gestattet werden darf. Da die Ehemündigkeit zu jener Zeit im Westen Deutschlands in der Regel bei 21 Jahren lag, so kann man von einer bis zu sechsjährigen Lehrzeit ausgehen.

Nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung vor der Ökonomiekommission wird dem Prüfling, der bis dahin noch “Knecht” genannt wird, der Titel “Bauer” verliehen und ihm die Heiratserlaubnis erteilt. Falls “ein Bauer eine sehr treffliche Geschicklichkeit in dem einen oder anderen Stück der Landwirtschaft beweist (zum Beispiel: er kann aus schlechtem Landvieh Schweizervieh machen oder seine Schafwolle so gut machen wie Englische Wolle) oder er versteht sonst etwas, was dem ganzen Lande Nutzen bringen kann,”118 so sollte er seitens der Obrigkeit zum “Landwirt” ernannt werden. Das entspräche dann in etwa dem Titel “Meister” im Handwerk.

Durch die geordnete Berufsbildung der Bauern erreichen diese auch ein höheres gesellschaftliches Ansehen; “dadurch wird der Bauernstand vornehm! Es kann niemand Bauer heißen, als wer seine Sache versteht. Wer aber noch nicht Bauer ist, der ist Knecht, und damit einen Grad geringer”119 Die “Landwirte” als die herausragenden Bauern sollten sich in einem eigenen “Landwirtschaftsorden” organisieren und jährlich einmal zusammenkommen, um Erfahrungen auszutauschen und um der ganzen Agrarwirtschaft neue Impulse zu geben. Dieser Orden sollte die besondere Gunst des Regenten genießen.120


5.3.2 Weiterbildung


Dass gerade in der Landwirtschaft mit ihren aus der ganzen Welt kommenden Neuerungen auf allen Gebieten des Anbaus, der Viehzucht und der betrieblichen Organisation ständige Weiterbildung dringend nötig ist, hebt Jung-Stilling immer wieder hervor. Er gibt sich aber keiner Täuschung hinsichtlich des Erfolges entsprechender Bemühungen hin. “Der gemeine Mann wird ganz durch den Schlendrian121 beherrscht. Sein Geist ist nicht zum Nachdenken und Selbsterfinden gewöhnt. Was er von Jugend auf gesehen, bzw. so, wie er seinen Geschäfts- und Haushaltungsgang gelernt hat, das macht er unerbittlich nach. So setzt er es auch hartnäckig fort. Nur dann, wenn ihm ein großer Gewinn nahe vor der Nase liegt, dann mag er wohl den gewohnten Weg verlassen und den vorteilhafteren einschlagen. Sonst hält es schwer, ihn aus der Verschanzung seiner Vorurteile herauszuheben.”122

Was nun besonders die Bauern anbelangt, so sieht Jung-Stilling aufgrund seiner Erfahrung noch weniger Chancen auf Einsicht in die Notwendigkeit von Neuerungen. Denn grundsätzlich gilt: “Der Bauer scheut alle Neuerungen. Er hat ein Vorurteil gegen die besten Anstalten: und das ist schon ein großes Hindernis.”123 Im Siegerland glaubt “kein Mensch, daß im Ackerbau noch etwas zu verbessern sei. Man urteilt folgendergestalt: Wir benutzen unsere Berge auf die beste Weise; wir bessern unsere Wiesen so viel als möglich ist; wir halten so viel Vieh, als wir können; wir machen so viel Dung, als man nur vermag; wir halten ihn auf das beste zu Rate und düngen alles, was wir haben. Wer kann es besser machen?”124 Im Sauerland ist es weniger versteckter Stolz, als weit verbreiteter Unverstand gepaart mit Trägheit, der jedem Fortschritt entgegensteht. “Keiner weiß und versteht es besser zu machen, als er es wirklich macht. Keiner wünscht es auch viel besser. Denn er ist zufrieden, wenn er es so gut hat wie seine Väter. Freilich vegetieren diese Leute so ziemlich glücklich hin. Allein, es ist doch traurig, daß ein ganzes Herzogtum, fast sechsmal so groß wie das Siegerland, kaum so viel einträgt als dieses.”125

Im Herzogtum Berg, in dem Jung-Stilling ja sechzehn Jahres seines Lebens verbrachte, schätzt er die Einsicht in den Vorteil von Reformen in der Landwirtschaft und zum Willen zur Weiterbildung als noch geringer ein. “Das Bergische Land hat sich erst seit hundert Jahren her der Barbarei entrissen. Daher ist es noch in der Kultur des Verstandes und der Herzen (was das allgemeine Publikum betrifft) sehr weit zurück. Der Bauer wohnt auf seinem einsamen Hofe. Er ist Monarch auf seinem Flecken und zugleich wohlhabend. Viel Umgang hat er nicht. Daher ist er grob und ungesittet. Seinen Pfarrer wählt er sich selbst. Dieser muß ihm also oft nach der Pfeife tanzen und ihn als seinen Patron verehren.”126 Über die geradezu haarsträubenden Verblendungen hinsichtlich der Viehzucht in der Kurpfalz bietet Jung-Stilling ein nachhaltiges Beispiel.127

Wie also ist es möglich, Innovationen in die Landwirtschaft einzuführen? Jung-Stilling setzt hier zunächst auf die bei Bauern beliebten Kalender. Der beruflichen Weiterbildung dienende Bücher lesen Bürger kaum, “und unter tausend Bauern nicht einer. Die Ursache liegt darin daß die Schreibart noch immer zu gelehrt ist. Der Bauer muß das, was er liest, ebenso gut verstehen, als wenn wir Gelehrte etwas lesen. Dazu gehört aber eine ungemeine Herablassung. Alle Kalender braucht der Bauer nur, um Tage und Zeiten zu unterscheiden. Unter Hunderten ist kaum einer, der die landwirtschaftlichen Ratschläge darin liest; keiner aber, der ihnen nachlebt. Die Schuld liegt bloß in der mangelnden Deutlichkeit der Begriffe und in dem für den Bauern wenig reizenden Vortrag”128 Die Verfasser solcher Vorschläge sind oft auch Männer, die von der landwirtschaftlichen Praxis keine Ahnung haben. Solche “Manschettenbauern”129 werden von den Landleuten nicht ernst genommen. Häufig genug richten sie auch noch Unheil an. Jung-Stilling bringt das Beispiel, wo studierte Ökonomiebeamte ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort alle Obstbäume zu entfernen befahlen, nur weil dies Grundsätzen in landwirtschaftlichen Lehrbüchern entsprach.130 Die betroffene Region veramte daraufhin zum Schaden der gesamten Landeswirtschaft.131 Insgesamt aber setzt Jung-Stilling wohl auf entsprechend abgefasste belehrende Artikel in den Bauernkalendern als eines der Mittel zur Weiterbildung.

Zweiter Pfeiler der Weiterbildung für Bauern sind bei Jung-Stilling landwirtschaftliche Versuchs- und Mustergüter132 und gelehrte ökonomische Gesellschaften. Um dem Bauern “aber auch seine tief eingewurzelten Vorurtheile ganz und vollkommen auszurotten, muß das beste landwirthschaftliche System auf den Cammergütern … ausgeführt werden, damit die Bauern sehen, daß ihre Meinungen ungegründet sind.”133 Jung-Stilling setzt hier aber weniger auf die unmittelbare Vorbildfunktion solcher Mustergüter. Vielmehr vertraut er darauf, dass der höhere Gewinn die Bauern veranlasst, sich weiterzubilden und Neuerungen einzuführen, so wie dies etwa im Mustergut Mönchzell zu beobachten war. Nachdem dort die Bauern ihre Zurückhaltung dem Besseren gegenüber aufgegeben hatten, entstand geradezu ein Innovationswettbewerb.134

“Der Mangel an gehörigen Känntnissen von der Landwirthschaft, wird nebst den Schulanstalten auch noch durch zweckmäßige gelehrte ökonomische Gesellschaften gehoben.”135 Solche Gesellschaften entstanden bereits im 17. Jahrhundert; Jung-Stilling nennt als Beispiel die “Leipziger Sozietät”, die “Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste in Cassel” und die in Kaiserslautern gegründete “Physikalisch-ökonomische Gesellschaft”, die sozusagen Keimzelle der Kameral Hohen Schule in Kaiserslautern war.136 Erklärtes Ziel der teils aus privater Initiative hervorgegangenen, teils durch staatliche Verfügung gegründeten Gesellschaften war es, die Weiterbildung in Landwirtschaft und Gewerbe voranzubringen. Offenkundig fanden sich kaum Bauern, die Mitglieder dieser Gesellschaften wurden. Aber durch die Errichtung von Mustergütern, durch die Verbreitung entsprechenden Schrifttums und durch Vorträge auch in Dorfschulen und Kirchen bewirkten diese doch nach und nach, dass es zu Verbesserungen in der Landwirtschaft kam.

Versuchs-, Lehr- und Mustergüter sowie die Gründung ökonomischer Gesellschaften hält Jung-Stilling zwar für wichtig; aber er selbst erhofft sich davon für die Weiterbildung der Bauern – zumindest kurzfristig – aus den angezeigten Hemmnissen nicht allzu viel. Umso wichtiger wird es daher, dass für jeden Bauernsohn eine Landwirtschaftslehre mit Prüfung zur Pflicht wird.


5.4 Forstpersonal


Von Ausnahmen abgesehen, gehörten Waldungen in Deutschland zu den Regalien: zum wirtschaftlichen Hoheitsrecht des Staates. Jung-Stilling begründet dies einsichtig. “Das Holz ist ein wesentliches und wichtiges Befriedigungs=Mittel menschlicher Bedürfnisse, und bedarf mehrere Jahrhunderte zu seiner Vervollkommnung; da aber nun der Unterthan seinen Privatnuzzen dem allgemeinen weit vorzieht, und also das Gehölze, wenn ihm freye Hand gelassen wird, nach Gefallen benuzt, mithin die Waldungen verödet würden; so muß die regierende Gewalt die Forst=Polizei137 sowohl über Domänen= als Privat=Waldungen ausüben, welche darinnen besteht, daß soviel Gehölze, als möglich, erzogen, gegen allen Verlust geschüzt und jährlich soviel davon benuzt werde, als die Natur produzirt.”138 Weil zu Zeiten von Jung-Stilling die Metallwirtschaft noch weniger entwickelt war, hatte das Holz in allen Verwendungszwecken die überragende Bedeutung schlechthin. So erklärt sich, dass Jung-Stilling als Ökonom dem Forstwesen so viel Aufmerksamkeit widmete. Sein zweibändiges “Lehrbuch der Forstwirthschaft” erschien 1781/82 und kam schon 1787 in Zweitauflage neu heraus.139 Auch sonst hat sich Jung-Stilling immer wieder zu den Fragen der Forstwirtschaft geäussert.140

Das grösste und von Jung-Stilling durchgehends beklagte Hindernis einer planmässigen Forstwirtschaft war aber – und blieb noch lange – die “höfische Jagd mit heute unvorstellbaren Exzessen der Wildhaltung und des Aufwandes an Geld und Menschen für das Jagdvergnügen. Die jagdlichen Hofbeamten waren den forstlichen Bediensteten, soweit es solche gab, übergeordnet. Die Landesherren nutzten das Jagdrecht uneingeschränkt auf der Landesfläche; der hohe Wildstand schädigte durch Verbiß und Schälen der Rinden zusätzlich zu den Viehherden den Wald, insbesondere den Jungwuchs.”141 Der gesamtwirtschaftliche Schaden der Jagd war beträchtlich, und Jung-Stilling bestreitet, dass es angesichts dessen ein Jagd-Regal geben dürfe. Seine Begründung ist einleuchtend, und er verurteilt dabei auch eine lediglich mässig betriebene Jagd unverblümt. “Gesetzt auch es würde nur sehr wenig Wild gehegt, so wechseln doch auch die wenigen Stücke zu Feld; und der Bauer, dem sie das Getreide oder seine Produkte abätzen, hat einen beträchtlichen Schaden, der er von Rechtswegen nicht zu tragen schuldig ist, und wogegen ihn sein Herr vielmehr schützen, als ihn verursachen sollte.”142 Dieser Konflikt zwischen ökonomisch sinnvoller Waldnutzung und der Jagd durchzieht auch die Verwaltung des Forstes auf allen Stufen, und “daher ist die Forstwirtschaft unter allen ökonomischen Fächern vielleicht am weitesten zurückgeblieben.”143


5.4.1 Unteres Forstpersonal


Für den angehenden untere Forstbedienten, Förster oder auch Forstmann genannt, war zu Jung-Stillings Zeiten zwar eine Lehre üblich; von einer förmlichen Prüfung nach Abschluss der Lehrzeit erfährt man aber nichts. Ein junger Mann, der sich der Forstwirtschaft widmen will, “verdingt sich gewöhnlich bei einem Jäger. Handwerksmäßig wird er ein Lehrjunge. Sein Hauptaugenmerk geht nun auf die Jagd; das Forstwesen ist ihm Nebensache. Ist er nun hirschgerecht,144 so wird er Jägerbursche und endlich Forstbedienter, ohne einmal die ersten Gründe der Forstwissenschaft zu kennen.”145

Weil der mangelhaft ausgebildete Förster die Notwendigkeit einer planvollen Holzwirtschaft nie richtig eingesehen hat, so kann er – zum folgenschweren Schaden der Allgemeinheit – sein wichtiges Amt auch nicht fachgerecht verwalten. Er ist im Grunde ja nicht Förster, sondern Jäger. “Der Zimmermann, Schreiner und Holzarbeiter kommt nun zum Jäger und möchte gern einen Stamm angewiesen haben. Er flattiert146 ihm, geht mit ihm in den Wald und bekommt oft den ersten besten Baum für ein Spottgeld. Dadurch werden die Wälder ausgeplentert,147 nach und nach voller Blößen und endlich zu dürren Heiden.”148
Die berufsnotwendigen Anforderungen an einen Forstlehrling beschreibt Jung-Stilling so. “Ein Jüngling, welcher Förster werden will, muß durchaus gut und ordentlich rechnen und schreiben lernen; etwas Unterricht in der lateinischen Sprache, bloß um der Rechtschreibung, des Styls, und der richtigen Setzung des Casus willen, wäre ihm sehr dienlich, wo nicht unentbehrlich”149 Er muß darüber hinaus aber auch “die Natur in ihren Würkungen kennen; er muß wissen, was die Elemente, die Sonne, die Atmosphäre, das Klima, die verschiedenen Erdarten u.s.w. für Würkungen auf die Holzpflanzen und Forstprodukte haben; in wiefern durch diese oder jene Veränderungen ihr Wachstum befördert oder gehindert werde; nicht weniger muß ihm das Geschäft der Natur im Entstehen, Leben und Fortdauer der Pflanzen bekannt seyn.”150

Nicht akademisch ausgebildetem Heilpersonal boten zur Zeit von Jung-Stilling die Universitäten eigene Kurse an.151 Jung-Stilling schlägt vor, dass auch der Forstmann nach Abschluss seiner praktischen Ausbildung sein Wissen an einer Hochschule ergänzt und vervollständigt. “Ueberhaupt würde es gut seyn, wenn Jünglinge, die gemeine Förster werden sollen, auf Universitäten in dem nehmlichen Verhältniß stünden, wie die jungen Wundärzte bei den medicinischen Fakultäten; für sie würden in der Mathematik, Physik und Chymie besondere, ihrem Zwecke angemessene Collegia gelesen, und der Lehrer der Forstwissenschaft könnte für sie ebenfalls eine Stunde täglich ansetzen, in welcher er sie mit den Kenntnissen bekannt machte, die ihnen als ausführenden Forstmännern dereinst nöthig sind. Bei gehörigem Fleiße würde es einem gewöhnlichen Menschenverstande leicht möglich seyn, in einem Jahr seinen akademischen Cours zu machen.”152 Daneben würden die Berufskenntnisse der jungen Förster auch steigen, “wenn man besondere Forstschulen, und zwar in Gegenden anlegt, wo die Forstwirthschaft gut ausgeführt wird.”153


5.4.2 Höheres Forstpersonal


Scheiterte eine planvolle Nutzung des Waldes schon an der Unwissenheit der Förster, so war diese Unkenntnis beim höheren Forstpersonal augenscheinlich noch verbreiteter. “Wollte man einen Offizier auf Pension setzen, ohne daß er der Kasse zur Last fiel, so gab man ihm eine Forstbedienung, ob er gleich kaum Eichen und Buchen zu unterscheiden wußte. Hatte der Junker weder Lust noch Kopf zum Studieren, nun so mußte er Forstwirth werden, das heißt: er lernte die Jägerei. Einen Oberjägermeister dieser Art habe ich gekannt, der sich die Phrase angewöhnt hatte: Es kommt bei dem Holzwuchs alles auf die Erdarten an. Sie müssen nur immer die jungen Leute dazu anhalten, daß sie die Erdarten kennen lernen. Ein anderer hoher Forstbedienter mit Ordensband und Stern, fragte an einem Orte, wo kein anderes Holz als Nadelholz wuchs, nach dem jährlichen Mastungs=Ertrag. ‘Ihro Excellenz! versetzte ein Anwesender: wir haben hier keine Eichen und Buchen.’ Das weiß ich wohl! erwiederten Se. Excellenz, aber Sie haben denn doch Tannzapfen genug. – Um dem Herrn die Schaam zu ersparen, schämte man sich für ihn, und schwieg. Wie es nun in Ländern, wo solche Männer die Forstdirektion verwalten, um die Waldungen und ihre Bewirthschaftung aussehen werden, das läßt sich leicht errathen.”154

Jung-Stilling bringt an anderen Stellen seiner Schriften ähnliche Beispiele. Sie lassen darauf schliessen, dass in der höheren Forstverwaltung – vom Oberförster bis hin zum Oberforstmeister und zum zuständigen Minister bei Hofe – eine geradezu unglaubliche Kenntnislosigkeit vorherrschte. Hinzu trat ein Organisations-Chaos, bedingt vor allem dadurch, dass Waldungen einmal von den Finanzbehörden, zum andern von der Jagdkammer und – leider offenbar zuletzt – auch von der Forstverwaltung administriert wurden.155 Organisatorisch müssten daher zunächst eindeutige Kompetenzen geschaffen werden, und das Forstwesen wäre allein der Forstverwaltung zuzuordnen. Dies hält Jung-Stilling für die notwendige Voraussetzung einer ökonomisch sinnvollern Forstnutzung, die auch alle auf den Wald bezogenen ökonomischen Tätigkeiten wie “das Verkohlen, Teerbrennen, Pottasche-Sieden, Harzreißen”156 einschliesst.

An erste Stelle aber setzt Jung-Stilling die akademische Ausbildung der höheren Forstbeamten. Nur an Bewerber mit entsprechendem Abschluss dürfen freiwerdende oder neu zu errichtende Stellen übertragen werden. Ziel des wissenschaftlichen Studiums der Forstwirtschaft muss es sein, dem Kandidaten solide Kenntnisse in der Forstpflege und Forstnutzung zu vermitteln. “Die Waldungen müssen in vollkommenen Holzbestand gesetzt, und für allem, was ihnen schaden kann, bewahrt werden; dies macht zusammen die Forstpflege aus.”157 Jung-Stilling unterteilt die Forstpflege, wie in Übersicht 2 dargelegt. “Die Forstnutzung sorgt durch die Holznutzung dafür, daß alles Gehölze ordentlich zu Rathe gehalten, zum Gebrauch vorbereitet, verabfolgt, und überhaupt nichts nützliches vernachläßigt werde.”158 Im Lehrplan von Jung-Stilling werden die einzelnen Felder der Forstnutzung wie in Übersicht 2 eingeteilt.

Seit Antritt seiner Professur in Kaiserslautern im Jahre 1778 bis zur Berufung nach Marburg 1787 wirkte Jung-Stilling als akademischer Lehrer für das Fach Forstwirtschaft. Sein Lehrbuch sowie zahlreiche Aufsätze zeugen davon, wie sehr er sich in diese Disziplin vertieft hat, und wie er nach und nach den Lehrstoff vermehrt und verbessert. Er fordert von den Studenten von Anfang an Vorkurse in Mathematik, Physik und Chemie. Die Forstbotanik scheint Jung-Stilling zunächst gründlicher gelehrt zu haben, was man aus der Gliederung seines Lehrplans erkennen kann. Er setzt aber dann angesichts der geschilderten schlimmen Zustände einen Schwerpunkt mehr auf die ökonomische Seite, ohne dabei jedoch die Forstbotanik zu vernachlässigen. Denn am wichtigsten war ihm, eine planvolle Bewirtschaftung der Wälder durchzusetzen, und das wohl gegen die Widerstände der allein oder vorwiegend auf die Jägerei ausgerichteten Beamten.159

Dass es im Verlauf der Jahrzehnte zu einer signifikanten Besserung kam, dass die Forderungen von Jung-Stilling und anderen auf bessere Bildung des Forstpersonals auf allen Stufen auch umgesetzt wurden, scheint weniger dem verringerten Jagdfieber der adeligen Jagdherren zuzuschreiben zu sein. Vielmehr hat vor allem Jung-Stilling – zunächst bei seinen Studenten, dann durch seine Schriften bei der Öffentlichkeit – die klare Einsicht geweckt, dass fachgerecht gepflegte Forsten dem Staat Geld einbringen. Denn er wies im einzelnen nach: “Der gröste Nuzzen für die Cammer besteht darinnen, wenn sie jährlich eine grose Menge Holz und zwar unter dem Beding benuzzen kann, daß die Einnahmen auf die Zukunft nie verringert, sondern im Gegentheil eher noch vermehrt werden. … Alle Einnahmen der Forst=Casse, rühren vom Holz, oder aus demselben verfertigten Producten, z. B. Kohlen, Pottasche, Pech, Theer, Kienruß, Zimmer= und Stangen=Holz, Brettern u. d. g. her; hier beruht nun die Vermehrung der herrschaftlichen Einkünfte auf einer weisen und guten Wirthschaft, indem man eine vortreffliche Forst=Fabrik=Wirtschaft und Handlung mit der gewöhnlichen Holz=Nuzzung verbindet, und so den Arbeitsleuten Brod und der Casse Geld verschaft.”160

Letztlich ist es also die Aussicht auf zusätzliche Einnahmen aus den Steuerzahlungen der Gewerbetreibenden, auf Gewinn, der zu einer Fachbildung für Forstleute und damit zu einer verbesserten Forstwirtschaft den Anstoss gab.


Physiologie der Holzpflanzen
Pflanzenkunde
Forst Botanik
Holzzucht
Baumschule
Holzsaat
Forstpflege Waldsaat

Forstschutz
Forsthut…………………
Forstsicherung
Forstwirtschaft

Forst-Technologie
Waldnutzung …………… Forst-Handlung
Mastung
Forstnutzung
Wildjag
Jagd…………………… Vogelfang
Fischerei

Eigene Übersicht in Anlehnung an Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre
der Staatswirthschaft, S. 419.

 


6 Zielsetzung der Bildungsempfehlungen von Jung-Stilling


Die Auffassung vom Einzelnen und von der Gesellschaft ist bei Jung-Stilling geprägt durch zwei feste Säulen, nämlich Gottebenbildlichkeit und Goldene Regel sowie durch einen sich in der Zeit entfaltenden Ablauf: die Aufklärung. Alle seine Vorschläge zur Bildung sind aus diesem Hintergrund heraus zu betrachten.161

Für Jung-Stilling und sein soziales Umfeld bestand kein Zweifel, dass Gott jeden Menschen ins Leben gerufen und ihm die Aufgabe zugewiesen hat, zeit seines Lebens nach dem Willen Gottes zu handeln. Dies ist die allererste Frage/Antwort des Heidelberger Katechismus, den Jung-Stilling schon im Vorschulalter auswendig lernen musste.162

Weil Gott nicht nur einen einzigen Menschen, sondern mehrere immer wieder ins Leben ruft, “entfaltet sich auch ein Gesetz im Gemüthe, dessen Formul ist: Was du nicht willst das die Andere thun sollen, das thue ihnen auch nicht – und: Was du wünschest, daß dir Andere thun sollen, das thue du Ihnen”.163 Es ist dies die “Goldene Regel“, die sich bereits bei den alten Kulturvölkern findet und auch im Alten und Neuen Testament vorgeschrieben wird.164

Der Begriff “Aufklärung“ ist vieldeutig.165 Jung-Stilling definiert: “Aufklärung nenne ich die richtige Erkänntniß von Gott, von der Natur, besonders von dem Menschen, und von dem Verhältniß desselben zu Gott, und den daher entspringenden Pflichten gegen den Vater im Himmel, und gegen den Nächsten. Aus der wahren Aufklärung folgt also reine und thätige Liebe gegen Gott und seinen Mitmenschen:“166

Will man daher aus den Vorschlägen zur Erziehung und Bildung, die Jung-Stilling in seinen zahlreichen Veröffentlichungen vorträgt, die Leitgedanken hervorbringen, so kann man leicht zwei immer wiederkehrende Ideen erkennen. Es ist dies einmal ein weltliches, ökonomisches Anliegen: die Bürger sollen Kenntnisse erwerben, die ihnen ein auskömmliches Leben durch bessere Nutzung der Ressourcen gewähren: sie sollen zur (irdischen) Glückseligkeit geführt werden. Zum anderen steht hier ein religiöses, theologisches Anliegen: die Menschen sollen zu ihrer letzten Vervollkommnung, nämlich zu Gott, geführt werden.


6.1 Irdische Glückseligkeit


Mit Glückseligkeit als Ausdruck des jeweils erreichten Standes an Vervollkommnung meint Jung-Stilling zunächst das irdische Lebensziel des Menschen. “Jedes Wesen ist zu dem bestimmt, wozu es seine anerschaffene und noch unverdorbene Grundtriebe hinführen; nun finden wir aber in der ganzen menschlichen Natur ein allgemeines Streben nach dem Genuß eines beständigen Vergnügens, oder nach Glückseeligkeit: ein Streben, das in seiner reinen noch ungetrübten Quelle anerschaffener Grundtrieb seyn muß. Ebenso entdecken wir bei genauer Prüfung … daß sich der Grad der Glückseeligkeit verhalte wie der Grad der Vervollkommnung: daß diese also die wirkende Ursache von jener folglich ihr immer währender Fortschritt Bestimmung des Menschen sey.”167

Beglückt wird der Einzelne, wenn er wahre Bedürfnisse befriedigt. Er wird aber nicht beglückt, wenn er sich an sogenannten falschen Bedürfnissen ergötzt. Dies sind Bedürfnisse, durch deren Genuß wir uns schaden, “die uns also unvollkommener machen, und uns hernach früher oder später Reue verursachen: alle Bedürfnisse also, durch deren Befriedigung unser Zustand verschlimmert wird, sind falsche Bedürfnisse. Hingegen jeder Zuwachs an Vollkommenheit macht uns Vergnügen, so bald wir ihn entdecken: alle Bedürfnisse aber, durch deren Befriedigung wir unsern Zustand verbessern …. folglich unsre Glückseeligkeit mit unserer Vervollkommnung erhöhen, sind also wahre Beglückungsbedürfnisse.”168

Um nun aber seine wahren Bedürfnisse befriedigen zu können, braucht, der Einzelne zunächst eine Nahrungsquelle; denn er “ist glücklich, wenn er sich in seinem Gewerbe leicht ernähren, dabei reich und wohlhabend werden und alles ruhig und im Frieden genießen kann.”169 Jedem muss daher auch die Freiheit eingeräumt werden, seine Nahrungsquelle ohne Schaden für andere als sein Eigentum zu nutzen; dies ist nach Jung-Stilling ein elementares Recht: ein Grundrecht. “Jeder Mensch hat die Pflicht auf sich, seinen Zustand immer vollkommener und glücklicher zu machen; Da nun nichts in der Welt ohne Mittel erlangt werden kann, so muss auch jeder Mensch das Recht haben, sich die Vervollkommnungs= oder Beglückungsmittel zu verschaffen. Aber eben darum, weil dieses Recht allgemein oder ein Menschenrecht ist, so darf keiner ein Mittel, das der andere rechtmäßig besitzt, an sich reissen; das heisst: er darf keine Eingriffe in die Rechte eines andern wagen.”170

Neben der Nutzung der Nahrungsquelle möchte jeder Mensch auch Ehre und Freiheit geniessen. “Die Ehre ist, im gewöhnlichen Sinn genommen, die Meynung der bürgerlichen Gesellschaft vom Werth eines ihrer Mitglieder. Da nun die angebohrne Selbstliebe aufs eigene Ich einen großen Werth legt, so will auch jeder, daß die Meynung des Volks von ihm gros seyn soll; das ist: jeder fordert Ehre nach dem Grad, wie er sie zu verdienen glaubt; wird ihm diese geweigert, so befindet er sich unglücklich.”171 Freiheit “besteht in der vollkommenen Willkür zu wirken, zu tun und zu lassen – aber, man merke wohl! – solang als es Eigentum, Ehre und die nämliche Freiheit eines andern Glieds der bürgerlichen Gesellschaft nicht kränkt und einschränkt!”172 Freiheit in diesem Sinne zählt bei Jung-Stilling zu den Grundrechten; sie ist besonderer Ausdruck des angeborenen Verlangens nach Glückseligkeit. “Wenn wir den Begriff der Freyheit recht in seinem Wesen betrachten, so ist sie im Grunde nichts anders, als ein anerschaffener Trieb, durch ungehindertes Würken von einer Stuffe zur andern hinaufzusteigen, um endlich den Gipfel der vollkommenen Menschenhöhe zu erreichen; eigentlich ist also der Freyheitstrieb mit dem Vervollkommnungstrieb einerley.”173

Eigentum, Ehre und Freiheit als die wichtigen Grundrechte des Menschen hat die regierende Gewalt zu garantieren und gegen innere und äussere Feinde zu verteidigen. Herrscher, die das versäumen oder gar die Grundrechte einschränken, sind nach Jung-Stilling in Zeit und Ewigkeit verflucht. In seiner mit aussergwöhnlichem Beifall bedachten und vielbeachteten Heidelberger Jubelrede174 äussert er: “O ihr Regenten und Führer der Völker! – Kränkt Euren Untertanen Eigentum, Ehre und Freiheit nicht! – Das sind Pupillengelder!!! Wer sie verpraßt oder verschleudert – brütet sich in seinem Herzen einen nagenden Wurm aus – der mit jeder Morgenröte sich verjüngt – in Ewigkeit nicht stirbt – und Himmelsfreuden in Hölle verwandelt!!! – !”175

Zur Erreichung eines möglichst hohen Grades an Glückseligkeit im definierten Sinne muss “jeder Erwerber eine Nahrungsquelle haben, die bey gehöriger Bearbeitung fähig ist, seine und der Seinigen Bedürfnisse zu befriedigen;”176 wobei Jung-Stilling verlangt: “Die Wahl einer Nahrungsquelle muß dem Caracter des Erwerbers angemessen seyn”, sie wird grundsätzlich dann “auch bey gehörigem Fleiß beglückend seyn”; und hierin sieht Jung-Stilling “ein Wink für Eltern und Vorgesetzte bey der Bestimmung der Kinder zu einem Beruf.”177 Sehr wohl setzt diese Beglückung voraus, dass der Erwerber über entsprechende Berufskenntnisse verfügt. Denn “der Mensch hat keine Kunsttriebe, sondern er überlegt seine Handlungen um gewisse Zwecke dadurch zu erreichen; folglich muß er auch in seinem Gewerbe erst urtheilen und schließen, auf welche Weise ihm seine Nahrungsquelle am vollkommensten seine und der Seinigen Bedürfnisse befriedigen könne, um dann seine Wirkungen auf dieselbe darnach bestimmen zu können. Jenes Urtheilen und Schließen setzt aber Vordersätze voraus, aus welchen vollständig erhellen muß, was die Nahrungsquelle im Ganzen und in allen ihren Theilen vermag; Da dieses nun nichts anders als ihre vollständige Känntniß ist, so ist erwiesen, daß jeder Erwerber seine Nahrungsquelle vollständig kennen müsse.”178 Berufsbildung und die dazu als Voraussetzung nötige Allgemeinbildung sind also zur individuellen Glückseligkeit unerlässlich.179

Aber Jung-Stilling geht noch einen Schritt weiter und leitet für jeden eine unbedingte Verpflichtung zur Berufsbildung her. Dies folgt aus dem Zweck der Gesellschaft, nämlich das allgemeine Beste, das Gemeinwohl zu bewirken. Denn nur wenn alle ihr Einzelwohl richtig erreichen, wird auch das Gemeinwohl bewirkt. “Da nun aber kein Mensch für sich allein, den Weg und die Mittel zu seiner Vervollkommnung erfinden, wandeln und gebrauchen kann, sondern immer gesellschaftlicher Unterstützung und Leitung bedarf, so hat auch jeder Mensch das Recht, sie von den Gliedern seiner Gesellschaft zu fordern; indem aber jeder dieses Recht hat, so hat auch jeder zugleich die Pflicht auf sich, zu jeder Vervollkommnung das seinige beyzutragen; diese beyden Stücken machen eben die Gesetze und Rechte des Wirkungskreises und er Gesellschaft aus, und dieser Beweis ist auch zugleich die Deduktion des Gesetzes des allgemeinen Besten. Wenn nun jeder Mensch so handelt, so … eylt jeder auf dem geradesten Wege mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit seiner Bestimmung entgegen.”180

Wie aber wird nun wachsender Wohlstand und damit ein höheres Mass an Glückseligkeit für den Einzelnen sowie an Gemeinwohl für alle erreicht? Die Antwort bei Jung-Stilling lautet: indem dem der Ertrag aus jeder Nahrungsquelle maximiert wird. “Ertrag nenne ich die Masse der Befriedigungsmittel, die die Nahrungsquelle im Gewerbe ausliefert; der gröste Ertrag ist also derjenige: wenn diese erworbene Masse den grösten Werth hat, der durch die Nahrungsquelle möglich ist. Da nun die Befriedigung der Bedürfnisse immer vollkommener und beglückender wird, je mehr Befriedigungsmittel dazu da sind, dieser Zweck aber durch den grösten Ertrag erreicht wird, so müssen diejenigen Heischesätze die besten seyn, deren Ausübung zum grösten Ertrag führt.”181 “Eine Nahrungsquelle wird verbessert, wenn man ihre intensiven Kräfte immer mehr und mehr entwickelt, vervielfältigt und stärkt, so lang, bis sie den höchsten Ertrag liefert”182

Die Vermehrung des Wohlstands des einzelnen setzt also Berufskenntnisse voraus, und sich diese zuzueignen ist Pflicht für jeden. “Da jeder Mensch vermöge seiner Menschenrecht berechtigt und verpflichtet ist, sich physisch und moralisch so sehr zu vervollkommnen und zum allgemeinen Besten mitzuwirken, als es in seinen Kräften steht, dieses aber durch Erwerbung des grösten Ertrags erleichtert und erst möglich gemacht wird, so muß er allerdings erst die Heischesätze erlernen, wodurch der gröste Ertrag gewonnen werden kann.”183

Sicher hat Maria Schwarz184 recht, wenn sie hervorhebt, dass Jung-Stilling den schlechten ökonomischen Zustand in den deutschen Territorialstaaten in erster Linie den mangelnden Sachkenntnissen zuschreibt, vom Erwerber bis hin zu den Regierungsbeamten. Der erste Weg zur Hebung der produktiven Kräfte ist daher eine bessere Ausstattung der Volksschulen und eine wirtschaftsberufliche Bildung. Aber man sollte nicht übersehen, dass Jung-Stilling beides, die Beschleunigung des wirtschaftlichen Fortschritts wie auch die verbesserte allgemeine und berufliche Bildung, nicht in erster Linie aus den praktischen Notwendigkeiten herleitet, sondern letztlich philosophisch aus den Überlegungen zum Einzelwohl und Gemeinwohl schlussfolgert.185 Natürlich bleibt dabei auch unbestritten, dass bei Jung-Stilling der volkswirtschaftliche Bestzustand hauptsächlich eine Frage der Erziehung ist.186

Im Übrigen aber kann es aber für den Einzelnen aber keinen Zwang zur Vervollkommnung geben. “Der Mensch ist nach seinem ökonomischen und moralischen Zustand einer immer fortschreitenden Vervollkommnung fähig. Die Mittel zu dieser doppelten Glückseligkeit liegen im rechten Gebrauch der Nahrungsquelle, der Ehre und der Freiheit. Alle Pflichten, die ihm Gott in der Natur und der Religion vorschreibt, zielen dahin, ihn auf dem rechten Wege zu jenem doppelten Zweck zu leiten. Aber sie zwingen ihn nicht! So heilig sind die Rechte der Menschenfreiheit, daß Gott selbst sie nicht einmal kränken mag, sondern nur wohlmeinenden Rat erteilt!!!”187


6.2 Ewige Glückseligkeit


Die irdische Glückseligkeit, nämlich der ungestörte Genuss von Freiheit, Ehre und der Nahrungsquelle, sind laut Jung-Stilling nicht das letzte Ziel des Menschen.188 Denn die erreichte irdische Glückseligkeit kann für den einzelnen nicht von Dauer sein, weil er auf den Tod zugeht. Die letzte Bestimmung des Menschen liegt somit in der immerwährenden Dauer der Glückseligkeit. Die höchste Art der Vervollkommnung besteht in der geistigen Erfassung der letzten, allgemeinen Ursache aller Dinge, nämlich der Erkenntnis und Liebe Gottes. “Was ist denn Menschenbestimmung anders als Vervollkommnung der Existenz, um Glückseeligkeit um sich verbreiten zu können? – Gott- und Christusähnlichkeit ist das stalende Ziel, das wie Morgenglanz dem Sterblichen von Jugend auf entgegen glänzt.”189 Dieses Ziel muss bei allen Bildungsmaßnahmen von Jung-Stilling mit eingeschlossen bleiben.

Die religiöse Bildung hat daher bereits im frühen Kindesalter in der Familie zu beginnen.190 Sie muss sich in der Schule fortsetzen191 und soll bei allem Streben nach Wissen und Erkenntnis nie aus dem Auge verloren werden. Nach Jung-Stilling spürt und weiss auch jeder, “daß sich der größte Teil der Blüten und Früchte erst hinter der großen Gardine, die Licht und Unsterblichkeit von unserer Dämmerung sondert, entwickeln wird.”192

Jung-Stilling beklagt immer wieder, dass die religiöse Bildung entweder ganz vernachlässigt wird oder aber in falschen Bahnen läuft, weil die Lehrer selbst allenfalls nur einer philosophischen Religion huldigen.193 “So bekommt das ganze Volk allmälig blinde Lehrer der Blinden, und so fällt dann alles zusammen in die Grube, aus dem keine Rettung ist: denn die christliche Religion ist das einzige und letzte Mittel der gefallenen Menschheit aufzuhelfen, stößt sie auch dieses von sich, so ist alles verlohren. Man kann also jetzt nichts besseres thun, als die Vernunftmässigkeit und Warheit der christlichen Religion allenthalben zeigen:”194 Jung-Stilling selbst wich von der “alten christlichen Glaubens- und Heilslehre” in keinster Weise ab, wie er an seinem Lebensende bekennt.195


7 Zusammenfassung


“Geld und Güter machen die Wohlfahrt des Einzelnen und das Ganzen aus. Beides auf eine gerechte Art erwerben, heißt hier sich glücklich zu machen. Die Wege dazu sind die Gewerbe, welche alle entscheidende und keinem Zweifel unterworfene Heischesätze haben. Diese also zu erlernen, ist die Hauptsache”196 Jener Leitsatz drückt wohl in Kürze aus, warum bei Jung-Stilling verbesserte Bildung auf allen Stufen und insbesondere in allen Berufen die Voraussetzung allen ökonomischen Fortschritts ist.

Aufgrund seiner vielfältigen und reichhaltigen Erfahrungen im Beruf und als Lehrer weiss Jung-Stilling im Einzelnen sehr genau, wo die Mängel im Bildungswesen seiner Zeit liegen. Er prangert diese auch schonungslos an. Aber er entwirft auch wirklichkeitsnahe, ausführbare Verbesserungsvorschläge. Diese beginnen bei der Volksschule; denn “die Volksschulen sind die wichtigsten; um sie vollkommen zweckmäßig einzurichten, müssen die Schullehrer die dazu erforderlichen Eigenschaften haben; dann aber sind auch hinlängliche Besoldungen nöthig.”197 Die Lehrer müssen ihren Beruf auf einer Hohen Schule studieren: das hat Jung-Stilling in seiner siebenjährigen Dienstzeit als Dorfschullehrer eingesehen.

Als gelernter Schneider und aus einer Handwerkerfamilie kommend, weiss Jung-Stilling sehr genau um die Schwächen in diesem Stand. Ein Weiterkommen setzt hier Wissenszuwachs voraus, und dazu bedarf es der Lehre, im Regelfall der Wanderschaft und der Meisterprüfung. Durch Schaugerichte und amtliche Stempel für gute Handwerksware sowie durch Prämien muss der Qualitätswettbewerb angeregt werden. Die Handwerker werden auf diesem Wege gezwungen, sich um saubere Arbeit und um die Weiterentwicklung ihrer Produkte zu kümmern, zumal sich so auch der Absatz und damit der Gewinn vermehren lässt.198

Auch mit der Landwirtschaft ist Jung-Stilling seit seiner Jugend vertraut, wenn auch offenbar zunächst sehr leidvoll.199 Im Agrarsektor sieht er die grössten Chancen zur Steigerung der Produktivität. Aber diese wird nur gelingen, wenn der angehende Bauer eine Lehrzeit in einem anderen Betrieb durchläuft und in einer Prüfung seine Kenntnisse nachweist. Bauern mit schöpferischem Geschick können mit dem Titel “Landwirt” belohnt werden. Dies bietet von selbst schon einen Anreiz zur Weiterbildung. Im Übrigen werden sich aber die Bauern neuen Methoden jeder Art gegenüber aufgeschlossen zeigen, wenn man ihnen in Mustergütern zeigt, wie sie ihr Einkommen vermehren können.

Sieben Jahre als rechte Hand eines bedeutenden Fabrikanten und Grosshändlers liessen Jung-Stilling auch Einsichten in die Berufsbildung dieser Gruppe gewinnen; mit “Kaufleuten” meint Jung-Stilling – anders als heute – Unternehmer. Hier verlangt er zunächst die Grundbildung des Kaufmannssohnes durch einen Hauslehrer. Nach einer Lehre im eigenen Betrieb soll der künftige Kaufmann für einige Jahre in ein anderes Handelshaus gehen oder einige Semester an einer Hohen Schule studieren. Ehe er dann in den Betrieb eintritt, ist es für ihn von Vorteil, wenn er die Lieferanten und Abnehmer persönlich besucht. Schon im Interesse der Gewinnmaximierung wird der Kaufmann bestrebet sein, die Kosten niedrig zu halten und die Erlöse zu vermehren. Das zwingt ihn von selbst, sich ständig auf dem Laufenden zu halten.

Der Bildungsstand des Forstpersonals auf allen Stufen war zur Zeit von Jung-Stilling offenbar erschreckend niedrig. Entsprechend war auch der Zustand der Forsten beklagenswert. Jung-Stilling, von kleinauf mit der Waldwirtschaft vertraut, verlangt daher eine förmliche Lehre für die niedrigen Forstangestellten und verpflichtend ein Fachstudium für die höheren Ränge. Lange Jahre als Hochschullehrer auch für Forstwissenschaft tätig, entwirft Jung-Stilling Lehrpläne (siehe Übersicht 2), die den Misständen begegnen und das Forstpersonal “holzgerecht”200 anstelle auf die Jagd bezogen ausbilden. Auf diese Weise ausgebildete Forstleute werden dann aus Berufsinteresse selbst auch zur Weiterbildung angeregt.201

Das Meiste von dem, was Jung-Stilling zur Berufsbildung vorträgt, ist heute verwirklicht. Auch hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Verbesserung des Sachkapitals einer Volkswirtschaft eine tiefere Berufsbildung voraussetzt. Nicht unmittelbar die Investition in das Sachkapital, sondern in das sog. “Humankapital” wird inzwischen allgemein als die Triebfeder, als die erste Ursache des wirtschaftlichen Wachstums angesehen. Genau das hat Jung-Stilling gesehen, einleuchtend begründet und in vielen Schriften und zahllosen Briefen202 immer wieder verlauten lassen.


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Webler, Heinrich: Die Kameral-Hohe-Schule zu Lautern (1774-1784). Eine Quellenstudie zur geschichtlichen Entwicklung und theoretischen Fundierung der Sozialökonomik als Universitätswissenschaft. Speyer (Historisches Museum der Pfalz, Historischer Verein der Pfalz) 1927 (Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Bd. 43).

Willer, Wilfried: Die Bibliothek der Churpfälzischen physikalisch-ökonomischen Gesellschaft (1770-1804), in: Bibliothek und Wissenschaft, Bd. 4 (1967), S. 240 ff.

Wittmann, Anneliese und Wittmann, Waldemar: Jung-Stilling, der “cameralische“ Okkultist, in: Medizingeschichte in unserer Zeit. Festgabe für Edith Heischkel-Artelt und Walter Artelt zum 65. Geburtstag. Stuttgart (Enke) 1971.

Zymek, Bernd/ Müller, Detlef K.: Sozialgeschichte und Statistik des Schulsystems in den Staaten des Deutschen Reiches 1800-1945. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1987 (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2, Teil1).

Anmerkungen

1 Siehe die im Literaturverzeichnis dieser Arbeit aufgeführten Titel; diese stellen jedoch nur eine Auswahl dar. Eine (nahezu) vollständige Liste aller bezüglichen Veröffentlichungen hat die Jung-Stilling-Gesellschaft e. V. erstellt. Insgesamt dürften bisher an die 4 000 Arbeiten über Jung-Stilling geschrieben worden sein (Schätzung Klaus Pfeifer). – Siehe Klaus Pfeifer: Jung-Stilling-Bibliographie.
2 Siehe Badische Landesbibliothek (Hrsg.): Jung-Stilling – Arzt – Kameralist – Schriftsteller. – Erstaunlich ist auch, dass der Pädagoge Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766-1837) seinen Schwiegervater Jung-Stilling in keinem seiner Werke zitiert. Allerdings hatte Schwarz so gut wie gar keinen Bezug zur Wirtschaft und zur Berufsbildung (Auskunft von Herrn Dr. Erich Mertens, Archivar der Jung-Stilling-Gesellschaft).

3 Im Folgenden sei unter Bildung der Vorgang (Prozessbetrachtung) bzw. das Ergebnis (Bestandbetrachtung) einer geistigen Formung des Menschen verstanden, in der er zur vollen Verwirklichung seines Menschseins, seiner “Humanität“, gelangt. – Erziehung meint die Hilfestellung und Förderung des heranwachsenden Menschen, die ihn in seiner geistigen und charakterlichen Entwicklung befähigen soll, sich sozial zu benehmen und als selbstständiger Mensch eigenverantwortlich zu handeln.

4 Hermann August Niemeyer (1754-1828); seine “Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts“, 1796 erstmals veröffentlicht galt schon zu seiner Zeit als die erste systematische Darstellung der Pädagogik im deutschsprachigen Raum. Das Werk wurde in Zeitschriften, die auch Jung-Stilling nachweislich las, lobend besprochen und erreichte hohe Auflagen. – Niemeyer war ein Urenkel von August Hermann Francke (1663-1727), dem Begründer mehrerer pädagogischer Anstalten (Franckesche Stiftungen in Glaucha vor Halle/Saale), den Jung-Stilling sehr schätzte.

5 Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), dessen dreibändiges Werk “Lienhard und Gertrud“ 1781/85 in Berlin erschien und ebenso wie sein methodisches Hauptwerk “Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ ein breites Lesepublikum fand. Pestalozzi war wegen der von ihm begründeten Armenerziehungsanstalt im schweizerischen Aargau auch als Persönlichkeit allen Mitmenschen bekannt.

6 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, hrsg. von Gustav Adolf Benrath, S. 579 f. – Im Folgenden wird immer diese Ausgabe der “Lebensgeschichte“ herangezogen.

7 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 139 (“Lange philosophische Abhandlungen sind ekelhaft. Sie zeigen, daß der Verfasser seinen Lesern wenig Selbstdenkungskraft zuschreibe. Beispiele sind immer schätzbarer und nützlicher“); siehe dort auch S. 94, S. 117, S. 118.

8 “Immer wieder betont er auch die Bedeutung praktischer Anschauung und Erprobung, fast bis zur Theoriefeindlichkeit“, schreiben Anneliese und Waldemar Wittmann: Jung-Stilling, der “cameralische“ Okkultist, S. 301; siehe dort auch S. 306, S. 309.

9 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 76 ff.

10 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 139.

11 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (Anm. 6), S. 580. – Jung-Stilling missachtet bestimmt nicht die persönlichen Anstrengungen von Pestalozzi. Er äussert hier nur seine Bedenken gegen dessen eher technokratische, an dem Zweck-Mittel-Schema ausgerichtete Vorstellung der Erziehung: eine Kritik, die ja auch in unserer Zeit nicht ohne Grund vielfach laut wurde. Vgl. Bernd Götz: Sozialisation oder Erziehung?

12 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 31.

13 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 21 ff.

14 Siehe Karl Friedrich Schenck: Statistik des vormaligen Fürstenthums Siegen, S. 115 ff.

15 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Versuch einer Grundlehre sämtlicher Kameralwissen-schaften, S. 5.

16 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 23.

17 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 29 ff., S. 126 ff.

18 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 307.

19 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 45.

20 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 45.

21 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 146.

22 Johann Heinrich Jung-Stilling: Die Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 318.

23 Johann Heinrich Jung-Stilling: Stahlhandel, Metallverarbeitung und Mechanisierung, S. 99.

24 Johann Heinrich Jung-Stilling: Stahlhandel, Metallverarbeitung und Mechanisierung, S. 93.

25 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Stahlhandel, Metallverarbeitung und Mechanisierung, S. 78, Anm. 7. 26 Johann Heinrich Jung-Stilling: Die Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 308 f. – “Erwerber” ist bei Jung-Stilling jemand, der durch “menschliche Überlegung und Thätigkeit” mit der Nahrungsquelle und den Erwerbungsmittel umgeht, also ein Gewerbetreibender, Unternehmer. Erwerbungsmittel sind “alle Mittel, die man anwendet, der Nahrungsquelle ihre Erzeugungen abzugewinnen”, also die Betriebmittel; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Versuch einer Grundlehre sämtlicher Kameralwissenschaften, S. 29 f.

27 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 311.

28 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 30.

29 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 94. sowie Maria Schwarz: Jung=Stilling, S. 343.

30 Bis heute ist nicht genau geklärt, welche Bedeutung dem selbst zugelegten Namen “Stilling“ letztlich beizumessen ist; siehe Rainer Vinke: Johann Heinrich Jung-Stilling und Immanuel Kant, in: Michael Frost (Hrsg.): Blicke auf Jung-Stilling, S. 91.

31 Siehe die Charakterisierung der körperlichen (? hoher Wuchs, ? stabile Gesundheit, ? wohlklingende Stimme) und geistigen (? klarer Verstand, ? hervorragendes Gedächtnis, ? schöpferische Phantasie, ? Sprach- und Musikbegabung, ? Sprechgewandtheit, ? handwerkliches Geschick) Anlagen und Fähigkeiten Jung-Stillings bei Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens, S. 19 ff. sowie auch Rainer Vinke: Jung-Stilling und die Aufklärung, S. 46 ff.

32 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften (Jung-Stilling-Studien, Bd. 2).

33 Siehe Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens, S. 28.

34 Siehe zum Folgenden neben der Lebensgeschichte auch Erich Mertens: Jung-Stilling im Bergischen Land (Jung-Stilling-Studien, Bd. 3).

35 Siehe hierzu Erich Mertens: Jung-Stilling im Bergischen Land, S. 37 ff. und bei der dort angeführten Literatur vor allem Rainer Vinke: Jung-Stilling bei Flender, S. 359 ff.

36 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 231. 37 Siehe Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens, S. 72. – “Wundärzte, Barbiere und auch Feldschere zeichneten sich of durch haarsträubende Unwissenheit und Roheit aus. … Mit seinen Forderungen zur Aus- und Weiterbildung der Wundärzte und Barbiere war Jung-Stilling seiner Zeit deutlich voraus, denn erst elf Jahre später, nämlich 1783, setzte sich das Medizinalkollegium in Düsseldorf mit diesem Problem, auseinander“ bemerkt Gerhard Berneaud-Kötz: Jung-Stilling als Arztpersönlichkeit, in: Blicke auf Jung-Stilling, S. 30. Berneaud-Kötz schätzt, dass auf einen studierten Arzt im späten 18. Jahrhundert zwölf Laienärzte kamen; die arme Bevölkerung war ganz auf Laienärzte angewiesen; siehe S. 25 f.

38 Siehe zu dieser frühen Hochschule für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften Heinrich Webler: Die Kameral-Hohe-Schule zu Lautern und Alexandra Plettenberg: Die Hohe-Kameral-Schule zu Lautern 1774–1784 – Siehe auch Gustav Adolf Benrath: Jung-Stilling in Kaiserslautern, S. 63 ff.

39 Es sind dies: “Versuch einer Grundlehre sämtlicher Kameralwissenschaften“ (1779), die Erstauflage des zweibändigen “Lehrbuchs der Forstwirthschaft“ (1781/82; die Zweitauflage erscheint 1787) sowie “Versuch eines Lehrbuchs der Landwithschaft der ganzen bekannten Welt, in so fern ihre Produkten in den Europäischen Handel kommen“ (1783). – Siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 679 f.

40 Sie ist in heutiger Rechtschreibung wiederabgedruckt bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 137 ff. – “Die Rede ist eine der besten, die von Stilling überliefert sind. Er legt darin das Wesen, den Auftrag und die praktischen Möglichkeiten der Ökonomik in anschaulicher und überzeugender Weise dar“ (Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens, S. 112).

41 Zwar hat Jung-Stilling zuerst in Medizin (Arzneikunde) in Strassburg promoviert. Aber nach damaliger Gepflogenheit stand das Doktorat in Philosophie (Weltweisheit) im Ansehen über dem der Medizin und wurde deshalb immer an erster Stelle genannt (Auskunft von Herrn Dr. Erich Mertens, Archivar der Jung-Stilling-Gesellschaft).

42 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 91.

43 Siehe Anm. 7. – Ein weiterer Grundsatz von Jung-Stilling war die von Ovid übernommene Regel: “Auf dem Mittelweg geht man am sichersten“; er wählte diesen Leitsatz sogar als Motto zu seinem 1784/85 erschienenen autobiographischen Roman “Theobald oder die Schwärmer“. So schloss sich Jung-Stilling auch nie einer der damals herrschenden ökonomischen Schulen an und verfolgte stets seine eigene Lehrmeinung. Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften (Anm. 7), S. 50.

44 Siehe Klaus Pfeifer: Jung-Stilling-Lexikon Medizin, S. 16 f. sowie Gerhard Berneaud-Kötz: Jung-Stilling als Arztpersönlichkeit, in: Blicke auf Jung-Stilling, S. 19 ff. – Überdies gilt Jung-Stilling auch als Pionier der Medizin-Statistik; er führte genaue Aufzeichnungen über jeden Patienten. Siehe dazu die entsprechenden Protokolle mit Kommentar gedruckt bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Geschichte meiner Staar Curen und Heylung anderer Augenkrankheiten.

45 Siehe zu diesem bahnbrechenden Werk Stephan Herbst: Entwicklung der Cameral=Rechnungs=Wissenschaft, in: Auf den Spuren von Jung-Stilling (Anm. 17), S. 165 ff.

46 Ein Nachdruck, ergänzt um Anmerkungen und zeitgenössische Rezensionen, erschien 1995, hrsg. von Klaus Friedrich Pott, in der Reihe “Schriften zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre“ bei Bachem in Köln.

47 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 65.

48 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 441, S. 681 f.

49 Zur Bedeutung dieses Lehrbuchs siehe Gerhard Berneaud-Kötz: Kausaltheorien zur Starentstehung vor 250 Jahren, S. 67 ff.

50 “Während dem Schreiben dieses Buches fühlte ich höhere Kraft; in meinem innern Seelengrund entwickelte sich die Überzeugung, der Herr wolle mich in diesen schweren und wichtigen Zeiten als Werkzeug in seinen Dienst brauchen, dahin ziele seine ganze Führung mit mir von Jugend auf“, schreibt Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 689. Neben den bereits erwähnten Übersetzungen waren im Jahr 1797 auch schon 300 Exemplare nach Amerika verschifft worden; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe, S. 201.

51 Siehe hierzu Ingeborg Schnack: Ein Schweizer Student in Marburg 1794/95, S. 79 ff.

52 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 485. “Stillings Gemüth wurde durch dies Alles und dann noch durch den herrschenden Geist der Zeit, der allen was heilig ist, Hohn spricht, unbegreiflich gedrückt” (ebenda, S. 506).

53 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 497. – Jung-Stilling verfasste 1793 eine eigene Schrift, um den trügerischen Wahn von der “Befreiung“ der Menschen zu entlarven; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Über den Revolutions-Geist unserer Zeit zur Belehrung der bürgerlichen Stände. Diese Veröffentlichung zählt argumentativ zu den herausragenden Schriften gegen die seinerzeit hochgehaltenen Idole. Vgl. Thomas Baumann: Jung-Stilling und die Französische Revolution, S. 132 ff. sowie Rainer Vinke: Johann Heinrich Jung-Stillings Reaktion auf die Französische Revolution, S. 469 ff.

54 “Es war erbärmlich mit anzusehen, wie Menschen aus allen Ständen, in unabsehbaren Reihen, in Kutschen, auf Leiterwagen, auf Karren, von Ochsen, Pferden, Kühen und Esel gezogen, mit reichem oder ärmlichen Gepäcke, zu Fuß, zu Pferd, zu Esel, barfuß, oder beschuht, oder gestiefelt, Elend und Jammer im Gesicht, die Straßen anfüllten”, schildert Jung-Stilling die erste Flüchtlingswelle; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 506.

55 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 568.

56 Siehe zur Zeit des Wirkens in Karlsruhe vor allem Gerhard Schwinge: Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung, S. 14 ff.

57 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer; ein Jahr vor seinem Tod erschienen.

58 Johann Heinrich Jung-Stilling: Das Heimweh, S. 628.

59 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 653.

60 “O Ihr Regenten und Volksväter! wenn Ihr nur wüstet, welch ein überschwenglicher Seegen für Euch, und Eure Unterthanen, aus guten und nach obigem Plan eingerichteten Volksschulen entstehen würde, – ich weiß gewiß, keiner von Euch, würde länger anstehen, so viele kostspielige, und manchmal sehr zweydeutige Vergnügen aufzuopfern, und für das Geld Dorf- und Stadtschulen zu stiften” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Das Heimweh, S. 704).

61 Siehe hierzu Detlef K. Müller/Bernd Zymek: Sozialgeschichte und Statistik des Schulsystems in den Staaten des Deutschen Reiches sowie für das nördliche Siegerland (der Heimat von Jung-Stilling) Hermann Müller: Florenburgs Schulen, S. 18 ff.

62 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 144 ff., wo er die Er-richtung und Organisation einer Arbeitsschule eingehend erläutert.

63 Johann Heinrich Jung-Stilling: Das Heimweh, S. 449.

64 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 238.

65 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 653.

66 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 39 ff.

67 “Die Pracht ist: wenn ein Erwerber nicht bloß seine Befriedigungsmittel nach der Regel des Nötigen und Nützlichen, sondern vielmehr zu dem Endzweck wählt, für reich, vornehm und als geschmackvoller Mann angesehen zu werden. – Der Luxus ist: wenn ein Erwerber seine Befriedigungsmittel mehr den Reizen seiner Sinnlichkeit gemäß wählt, ohne sonderliche Rücksicht auf das Nötige und Nützliche zu nehmen”, definiert Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 27. Und an anderer Stelle (Das Heimweh, S. 788) schreibt er: “Der Luxus ist ein Blutsauger der nie satt wird, sondern immer ruft: bring her! bring her! … Der Luxus zehrt das Vermögen, … er macht Reiche und Wohlhabenden arm, und die blos Genughabenden zu Bettlern. Der Luxus schwächst die Nerven, er macht die Weiber schwächlich krampficht, sie mißgebähren, und können ihre Kinder nicht tränken; die Männer aber werden schlechte Erwerber und schweifen aus. … Erst rebellirt der Luxus gegen Christum, dann gegen die Obrigkeit, dann gegen Gott. Alle Revolutionen die der Luxus bewirkt, endigen mit dem praktischen Atheismus.”

68 Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 41.

69 Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 43.

70 Siehe zu diesen Schulen Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 655. – Jung-Stillings Schwiegersohn, der Pädagoge Friedrich Heinrich Christian Schwarz (siehe Anm. 2), betrieb in seinem Hause in Heidelberg ein solches Internat. Jung-Stillings ältester Sohn Jakob Jung (1774-1846) war bis zu seinem 17. Lebensjahr in einer Pensionsanstalt bei Heilbronn; siehe Johann Heinrich Jung: Lebensgeschichte, S. 475.

71 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 157.

72 Jung-Stilling äussert sich nirgends genau zur beruflichen Bildung auch für Mädchen. Es war aber zu seiner Zeit üblich, dass in Kaufmanns- und Handwerkerfamilien nur die Knaben für den Beruf vorbereitet wurden. Die Mädchenerziehung war ganz auf Haus und Herd beschränkt, und die Väter hatten vor allem im Auge, die Tochter möglichst an einen Geschäftspartner zu verheiraten. In den Betrieb ihres Vaters konnten weibliche Nachkommen grundsätzlich auch dann nicht eintreten, wenn männlicher Nachwuchs fehlte. “Ein Kaufmann soll immer darauf sehen, daß er mit seiner Frau auch Geld erheiratet. Denn das ist ihm zu seinem Beruf unentbehrlich, wie du wohl weißt” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaftliche Mißstände, S. 177) lautete darüber hinaus auch ein wichtiger Standesgrundsatz der Kaufleute. – Siehe zur Berufsbildung der Mädchen zur Zeit von Jung-Stilling Christine Mayer: Anfänge einer institutionalisierten Mädchenerziehung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, S. 373-392.

73 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 31.

74 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 157 f.

75 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 158.

76 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 158.

77 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 28. Jugendliche mit solcher Veranlagung “widme man den gelehrten Ständen”, schlägt er vor.

78 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 28. – Heute spricht man in diesem Zusammenhang spöttisch von “management by helicopter”.

79 Jung-Stilling schildert das Beispiel eines Kaufmanns (es handelt sich um den Weinhändler Peter von der Heydt in Elberfeld) der, vom Bauwahn befallen, ab 1752 ein Haus teilweise in einen Felsen errichten liess und dabei nach und nach sein Vermögen verwirtschaftete. “Kaum war alles fertig, so guckte er einsam oben zu den Fenstern heraus. Sein Haupt deckte keine Perücke mehr, sondern eine bürgerliche wollene Kappe. … Sonst fuhr er in einer prächtigen Equipage nach Frankfurt in die Messe. Jetzt aber brauchte er weder dahin zu fahren noch zu gehen; denn er hatte nichts mehr da zu tun. Er starb; sein Haus wurde verkauft, und seine Kinder darben” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 24).

80 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 28. – An anderer Stelle bemerkt Jung-Stilling: “Einem geizigen Kaufmann ist das, was er einkauft, nie wohlfeil genug, Deswegen wartet er zu lang mit dem Einkauf. Was er verkauft, ist ihm nie teuer genug. Daher verkauft der nie zu rechter Zeit: er will immer zu viel gewinnen. Die mit ihm handeln, müssen ihre Ware verderben, um sie wohlfeil geben zu können. Und die sie ihm abkaufen, entdecken den Betrug endlich und entziehen sich ihm” (Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 143).

81 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 28.

82 Die Aufzählung folgt Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungs-wissenschaft, S. 35 ff; alle wörtlichen Zitate sind dem Text dort entnommen. – Eine andere und etwas andere Aufzählung findet sich bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 558 f. Hier zählt Jung-Stilling zu den für den Kaufmann notwendigen Hilfswissenschaften (1) reine und angewandte Mathematik, (2) Physik, (3) Geographie, (4) Technologie (Lehre von der Produktion und Fabrikation), (5) Geographie, (6) Geschichte sowie (7) Handelsrecht. 83 “Ich kenne keine innigere, erhabenere und tiefer ins Herz gehende Freude, als die Berufsfreude – wer in seinem Würkungskreiß zufrieden ist, und nur zu Zeiten die Wonne des Gelingens geniest, dem ist das Heimweh Genuß der Wehmut” (Das Heimweh, S. 428). Dabei ist es wichtig, dass jeder seinen Beruf erkennt, den ihm die Vorsehung zugewiesen hat; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 93 f.

84 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 8 f.

85 Aufzählung und wörtliche Zitate aus Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 9 ff. und Übersicht S. 16. – Handlungswissenschaft definiert Jung-Stilling (ebenda, S. 12): “Sie lehrt diejenigen Grundsätze, durch deren Ausübung der höchste Grad des einzelnen und allgemeinen Besten erreicht wird, der durch die Handlung möglich ist.” Eine ähnliche Definition findet sich bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 21.

86 So etwa die Frachtkunde in die Lehre (1) von der Versendung (Einpacken und Bezeichnen), (2) von der Schiffahrt (Schiffsredereien, Havarie, Assekuranz, Großavantur [ein grosses, gewagtes Unternehmen: ein Seehandelsvertrag zwischen einem Kaufmann und einem Schiffer; M.S.], (3) vom Fuhrwesen, (4) vom Postwesen sowie (5) von den Häfen, Niederlagen, Packhäusern, Stapel und Kramläden; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 14 und S. 285 ff.

87 Aufzählung und wörtliche Zitate aus Johann Heinrich Jung-Stilling: Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft, S. 33 ff.

88 Jung-Stilling geht an dieser Stelle mit Bezug wohl auf seine eigenen Erfahrungen in Wuppertal ein (siehe Lebensgeschichte, S. 292; er “sah sich auf einmal in eine große, glänzende, kleinstädtische, geldhungrige Kaufmannswelt versetzt, … wo nur der Ehre genoß, der viel verdienen konnte.”) fort: “Zudem pflegt der Kaufmann, wenn er blos Kaufmann ist, den Handwerkstolz in höchstem Grade zu besitzen, und alles zu verachten, was nicht Geld hat. Da nun dieses dem Gelehrtenstand mangelt, so ist er durchgehends an Handelsorten verächtlich.” Deswegen tut auch dem jungen Kaufmann ein Studium an einer Universität immer gut. Denn “dadurch würde dann auch der dumme Stolz, dessen sich so viele Kaufleute schuldig machen, die blos im Geld Ehre suchen, in edle Werthschätzung eines jeden verdienstvollen Mannes verwandelt, und der Kaufmann selbst würde viel leichter und bequemer seine Geschäfte verwalten können”.

89 Das Wort “Erwerber” meint bei Jung-Stilling hier jedes private Wirtschaftssubjekt, das mit der Herstellung (Fertigung) von Waren oder Dienstleistungen, also in der Produktion tätig ist. Siehe dazu auch anders ausgedrückt Anm. 26.

90 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122 f.

91 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 111.

92 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 493. – Heischesatz kommt bei Jung-Stilling sehr häufig vor; er meint damit ein eindeutiges, auf Gesetzmässigkeiten beruhendes Urteil; eine keines weiteren Beweises bedürftige Aussage; siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 61.

93 “Es gibt sehr viele Zubereitungen, deren Heischesätze sich auf mancherlei Hilfswissenschaften gründen, besonders auf die Naturkunde, Scheidkunst, reine und angewandte Mathematik. Derjenige, welcher also die Zubereitungen bewerkstelligen will, muß von jenen Wissenschaften wenigstens so viel verstehen, um seine Heischesätze daraus folgern, erkennen und erklären zu können. Weil nun schon hierzu ein mehr als gemeiner Menschenverstand erfodert (so!) wird, wenigstens gehört eine gute und starke Vernunft dazu; so verdient ein solcher Mensch einen Vorzug, er heißt Künstler, und seine Zubereitung eine Kunst (Johann Heinrich Jung-Stilling: Kameralwissenschaften, S. 112 f.; umständlich beschrieben auch bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 492 f.).

94 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Kameralwissenschaften, S. 113 f. sowie Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 66 f.

95 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 67; siehe auch S. 499. – Zu weiterer Unterscheidung der Fabriken siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Kameralwissenschaften, S. 143 f. sowie Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 130 f. (Einteilung in Handbereitung und Maschinenbereitung).

96 Siehe etwa Johann Heinrich Jung-Stilling: Kameralpraxis, S. 345, Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 28 f. oder Johann Heinrich Jung-Stilling: Bildungsfehler und Überfeinerung, S. 39.

97 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 144 f.

98 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 777.

99 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 777 f.

100 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 34.

101 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 162.

102 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 34.

103 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirtschaft, S. 778.

104 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 34.

105 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 782 f., Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschafen, S. 34.

106 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 33 f. – Jung-Stilling nennt “Handwerker, die allgemeine und wichtige Befriedigungsmittel herstellen” (wie Bäcker oder Schlachter) Polizeyhandwerker und verlangt hier eine eingeschränkte Gewerbefreiheit und verpflichtende behördliche Qualitätskontrollen; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 780 f.

107 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 753 sowie ausführlicher bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 25.

108 “Gott grüß euch alle! Ihr lieben Hessischen Bauersleute! ich heiße Bauernfreund, und komm aus der Fremde her in Euer Land, um Euch so allerhand nützliches im Kalender zu erzehlen, das Euch recht freuen soll; ich komme selbst von Landleuten her, und hab viel erfahren… besser kan ich Euch doch wohl meine Liebe nicht beweisen, als wenn ich Dinge lehre, wodurch Ihr ganz gewiß bald, und mit weniger Müh reich und wohlhabend werden könnt. Hört mir nur zu, ich will Euch etwas recht schönes erzehlen” stellt sich Jung-Stilling in Jahrg. 1788, S. 10 vor; im Jahrg. 1794, auf S. 6 lüftet er das Geheimnis seines Pseudonyms.

109 “Bei meinem langen Aufenthalte und Reisen in dem Siegerlande und seinen benachbarten Ländern habe ich vieles von der in den dortigen Gegenden üblichen Landwirtschaft beobachtet. Meine Erfahrungen wären reichhaltiger, wenn es mir nur dunkel geahnt hätte, daß ich jemals Lehrer dieser edlen und vorzüglichsten aller Wissenschaften (gemeint ist die Landwirtschaftslehre, M.S.) werden würde”, schreibt Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 16.

110 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 74.

111 Wohl zurecht meint er: “Es müßte erst geklärt werden, ob der Vater sein Handwerk selbst richtig versteht”; Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 76.

112 Vor allem zu diesen einzelnen Punkten äussert sich Jung-Stilling sehr häufig; zusammenfassend in seinem Bericht über das Mustergut Mönchzell; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 91 ff.

113 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 75.

114 Hier schließt Jung-Stilling auch Mädchen als Landwirtschafts-Lehrlinge nichts aus; an anderer Stelle erwähnt er weibliche Lehrlinge nicht.

115 Johann Heinrich Jung-Stilling: Staatspolizei, S. 462.

116 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 76 ff., wo die Zusammensetzung und Organisation dieses Gremiums erläutert wird.

117 Jung-Stilling stellt beispielhaft einen Fragekatalog auf: “Wie man seine Wiesen behandeln müsse, damit man das mehreste und beste Heu bekomme? Welches die beste Methode der Viehzucht sei? Wie man den mehresten und besten Mist erzeugen könne? Wie man düngen, ackern, eggen, säen und pflanzen müsse?”; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 80 f. 118 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 82.

119 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 81.

120 Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 81 f.

121 Ein von Jung-Stilling häufig benutzter Ausdruck und besonders auf die Behörden seiner Zeit bezogen; er meint damit die herkömmliche, in alter Gemächlichkeit bleibende Gewohnheit, die sich allem Neuen gegenüber abschirmt; siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 83.

122 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 168.

123 Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 99.

124 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 23.

125 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 32. – Jung-Stilling fährt fort: “Und weh tut es einem Menschenfreund, dort öde Plätze zu sehen, wo es doch möglich wäre, daß sich Braut und Bräutigam küssen; daß Greise die Enkel segnen; daß scheckige Kühe und wollige Schafe fette Weiden finden; daß blühende Knaben und Mädchen im Reigen singen! Ja, weh tut es, hier und da einzelne Menschen im zerlumpten leinenen Kittel träg einhergehen zu sehen: Menschen, die weder ihren Schöpfer und Erlöser genug kennen, noch heitere und edle Freuden des Lebens zu schätzen wissen.” – Sicher scheint hier wohl ein althergebrachtes und bis heute offensichtlich noch nicht ganz abgelegtes Vorurteil des Siegerländers gegenüber dem benachbarten Sauerländer durch!

126 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 121.

127 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 153 (Eine aufgeblähte Kuh wird unter Beschwörungsformeln mit Mistbrühe behandelt. “Ich müßte ein ganzes Buch voll schreiben, wenn ich alle Torheiten und sogar Greuel erzählen wollte, die in solchen Fällen getrieben werden. Und wenn der weise Arzt oder das alte Mütterchen gar deklariert, das Tier sei behext, so ist vollends alles aus”, fährt Jung-Stilling an dieser Stelle fort, und bringt eine Reihe weiterer grauenerregender Beispiele.

128 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 34 f.

129 Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 85; Jung-Stilling meint damit Männer, die mit Manschetten bekleidet am Schreibtisch sitzen und nur theoretische Kenntnisse von der Agrarwirtschaft haben.

130 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 77.

131 Zurecht wohl bemerkt Jung-Stilling (Sachgerechtes Wirtschaften, S. 112 f.): “Die Fehler der Gottesgelehrten deckt erst die künftige Welt auf. Die Fehler der Rechtsgelehrten verhüllen das Landrecht oder die Codices voriger Jahrhunderte. Die Böcke, die der Arzt macht, versteckt der Totengräber mit seiner Schaufel. Die Trugschlüsse der Philosophen verstecken sich hinter der Schwäche des menschlichen Verstandes. Aber die Fehler des Staatswirts zeigt die nächste Ernte, die nächste Messe oder Markt, die Kasse des Fürsten und die Stimme des ganzen Volks und stellt sie auf offener Gasse an den Pranger!”

132 Zu beachten ist der Unterschied zwischen Versuchshöfen und Musterhöfen. Erstere wurden vom Staat (der Domänenverwaltung), von Universitäten und von ökonomischen Gesellschaften eingerichtet. Ihr Zweck war es, Bauern und Studierende über wirtschaftliche und rentable Betriebsführung sowie über Neuerungen zu belehren; sie wurden daher auch Lehrgüter genannt. – Musterhöfe zeichneten sich durch besonders gelungene Neuerungen, durch vortreffliche Betriebsführung und durch herausragende Einrichtungen aus. Sie konnten anderen Betrieben als Muster zur Nachahmung dienen; siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 143, S. 161.

133 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 761 f.

134 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 111.

135 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 766.

136 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 373 f. sowie Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe eines reisenden Schweizers, S. 39 ff.

137 Der Begriff “Polizei” bedeutet im damaligen Wortgebrauch behördliche Ordnungsverwaltung: die Gestaltung und Leitung eines Sachbereichs, wie Gesundheitspolizei oder Gewerbepolizei. Siehe die ausführliche Erläuterung bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 78 f.

138 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lehrbuch der Finanz=Wissenschaft, S. 170.

139 Siehe Titelblattkopie bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 57; dort S. 136 ff. auch das Vorwort.

140 Siehe Jörg Freudenstein: Johann Heinrich Jung-Stilling als Forstwissenschaftler, S. 69 ff. sowie das im Grossformat 228 Seiten umfassende Jung-Stilling-Lexikon Forsten.

141 Jörg Freudenstein: Jung-Stilling als Forstwissenschaftler, S. 72.

142 Johann Heinrich Jung-Stilling: Kameralpraxis, S. 93 f. – Jung-Stilling fährt fort: “Wenn daher ein Regent Wildpret haben will, so soll er sich ein hinlängliches Stück Waldes umzäunen, und darinnen so viel halten als er ohne Schaden und Nachteil ernähren kann. Ausser diesem Zaun aber muß er alles was sich nur sehen läßt wegschießen lassen.”

143 Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 140.

144 Das von Jung-Stilling in diesem Zusammenhang häufig benutze Eigenschaftswort “hirschgerecht” meint im weitesten Sinne: Kenntnisse im Fang und in der Tötung von wildlebenden Tieren besitzen.

145 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 136.

146 Flattieren meint schöntun, schmeicheln, Komplimente machen.

147 Ausplentern meint, einzelne (die besten) Bäume ordnungslos, kunterbunt im Wald aushauen; siehe Jung-Stilling-Lexikon Forsten, S. 21.

148 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 133 f. – Jung-Stilling schildert hier weiter: “Das benachbarte Städtchen Otterberg gibt davon ein Beispiel. Vor sechzig bis siebzig Jahren hatte dieser Ort die schönsten Waldungen. Die schlechte Wirtschaft der damaligen Forstbedienten aber hatte diesen Schatz dergestalt verödet, daß man jetzt an Stelle der Waldungen ganze Strecken unfruchtbarer Heiden sieht, die nichts einbringen. Im verwichenen Sommer sprach ich mit einem alten Bürger daselbst, welcher zu jenen Zeiten eine Gastwirtschaft betrieb. Er erzählte mir, daß damals die Holländer-Stämme (Mastbäume zum Tragen der Segelstangen, M.S.) dutzendweise abgehauen und losgeschlagen worden seien, das Stück für einen Gulden (etwa soviel, wie ein Arbeiter in zwei Tagen verdiente, M.S.). Dafür hätten dann die Holländer die Forstbedienten herrlich traktiert. Er wissen sich wohl noch zu erinnern, daß der Wein damals in seiner Stube über den Boden hingeflossen sei.” – Dass diese Schilderung wohl in allem der Wirklichkeit entsprach, belegt Roland Boiselle: Jung-Stilling beanstandet die Bewirtschaftung des Waldes, S. 126 f.

149 Johann Heinrich Jung-Stilling: Vorrede zu Aufnahme der Waldungen, S. XVI.

150 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lehrbuch der Forstwirthschaft, Teil 1, S. 18.

151 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 257 f.

152 Johann Heinrich Jung-Stilling: Vorrede zu Aufnahme der Waldungen, S. XVI.

153 Johann Heinrich Jung-Stilling: Vorrede zu Aufnahme der Waldungen, S. XI. – Nicht zuletzt auf Drängen von Jung-Stilling wurde in Waldau bei Kassel eine solche Forstakademie eingerichtet; siehe hierzu ausführlich Johann Heinrich Jung-Stilling: Staatswirthschaftliche Ideen, S. 7 ff.; dort sind auch sehr viele Angaben zum Lehrplan und zur Forstverwaltung.

154 Johann Heinrich Jung-Stilling: Vorwort zu Aufnahme der Waldungen, S. VIII.

155 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 135 f.

156 Johann Heinrich Jung-Stilling: Mehr Wohlstand durch besseres Wirtschaften, S. 138.

157 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 377.

158 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 399.

159 Siehe Jörg Freudenstein: Johann Heinrich Jung-Stilling als Forstwirtschaftler, S. 73 ff.

160 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lehrbuch der Finanz=Wissenschaft, S. 171 f. 161 Siehe hierzu Gustav Adolf Benrath: Jung-Stillings Leben, Denken, Wirken. Ein Überblick, in: Blicke auf Jung-Stilling, S. 12 f.

162 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 45. – Jung-Stilling wendet sich übrigens später entschieden gegen das Auswendiglernen von Katechismusfragen; siehe Das Heimweh, S. 703.

163 Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde, S. 131.

164 Siehe Lk 6, 31. – Vgl. auch Alfred Klose: Jung-Stilling als Sozialethiker, S. 51.

165 Weit über 100 Definitionen von “Aufklärung“ aus der zeitgenössischen deutschen Literatur finden sich bei Jürgen Voss: Zur Deutschen Aufklärungsdiskussion im späten 18. Jahrhundert. 166 Johann Heinrich Jung-Stilling: Staatspolizei, S. 114.

167 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 19. Siehe auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe, S. 122 f. 168 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 22.

169 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 141.

170 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 27.

171 Johann Heinrich Jung-Stilling: Staatspolizei, S. 11. – An anderer Stelle (Lehrbuch der Handelswissenschaft, S. 18) entwirft Jung-Stilling deutlicher eine am Sozialnutzen ausgerichtete Stufenleiter der Ehre. “Die Ehre ist eigentlich der allgemeine Begriff von dem Werth einer Person; der Werth verhält sich wie der Nutzen, den sie der der menschlichen Gesellschaft, mithin auch ihre Ehre. Auf eben diesem Grunde beruht auch die höchste Ehre der gesetzgebenden Gewalt, und die Stufen von ihr herab, bis zum geringsten Staatsgliede, sollen sich nothwendig verhalten, wie der Grad der Nutzstiftung.”

172 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 76.

173 Johann Heinrich Jung-Stilling: Revolutionsgeist, S. 36.

174 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 428 f. (“Der Erfolg war unerwartet: Thränen begannen zu fließen, man freute sich, man lispelte sich die Ohren, und endlich fing man an zu klatschen und bravo! zu rufen, so, daß er aufhören muste, bis das Getöse vorbey war. Dies wurde zu verschiedenen malen wiederholt”).

175 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 76.

176 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 306.

177 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 308 f.

178 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 308 f.

179 Allgemein gilt nach Jung-Stilling (Revolutionsgeist, S. 48): “Jeder, der sich zu einer Handlung berechtigt hält, muß alles Wissen und Wollen was zu dieser Handlung gehört … haben.” 180 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 264.

181 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 311 f.

182 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 318.

183 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 312.

184 Siehe Maria Schwarz: Jung=Stilling, S. 338, 366 f.

185 Um es noch einmal in Jung-Stillings (Grundlehre der Kameralwissenschaften, S. 6) Worten auszudrücken: “Die Erhöhung des Daseyns besteht in Ausbreitung und Veredlung des Wirkungskreises, dieses geschieht durch eine gewisse Richtung zu dem grosen Zwecke: sich und seine Nebenmenschen so wesentlich und dauerhaft glückselig zu machen, als es nur möglich ist.” Und (S. 14): “Alle bisher vorgelegten Säze sind Grundsätze, und zwar die ersten und entferntesten der Kameralwissenschaften, allein sie sind och Lehrsäze in Absicht auf die Quellen, woraus sie geschöpft sind, und diese enthält die Weltweisheit.”

186 Maria Schwarz: Jung=Stilling, S. 376.

187 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 77.

188 Siehe Gerhard Merk: Das ideale politische System nach Jung-Stilling, S. 123 f.

189 Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 304.

190 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S.

191 Wie das im einzelnen am besten zu geschehen habe, schildert Jung-Stilling am Beispiel einer Arbeitsschule; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Gesellschaft, Leben und Beruf, S. 142 f.

192 Johann Heinrich Jung-Stilling: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, S. 82.

193 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Revolutionsgeist, S. 12.

194 Johann Heinrich Jung-Stilling: Heimweh, S. 620.

195 Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 618 ff.

196 Johann Heinrich Jung-Stilling: Aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 90.

197 Johann Heinrich Jung-Stilling: Grundlehre der Staatswirthschaft, S. 653. Genauer begründend schreibt Jung-Stilling: “da der sittliche Caracter eines Volks und sein ganzer Wohlstand, bey einer übrigens guten Regierung, ganz von seiner vernünftigen und zweckmäßigen Aufklärung abhängt, diese aber vorzüglich in seinen Schulen, in Städten und Dörfern gegründet wird, so sind diese Werkstätten der Erziehung bey weitem die wichtigsten. Daß nun hier alles ganz und zumal auf die Geschicklichkeit, und auf die Fähigkeiten der Schullehrer beruhe, bedarf keines Beweises; diese müssen also auf hohen Schulen dazu gebildet werden.” (ebenda, S. 654). 198 “Auf diese Weise wird der allerfruchtbarste Absatz gesichert. … Jeder muß die Waren eines solchen Landes, wenn sie nur nicht gar zu hoch im Preise sind, allen anderen vorziehen. Denn im Großhandel braucht der Kaufmann nur die Plombe zu besehen, so bedarf es nicht, daß man weiter untersuche,” bemerkt Johann Heinrich Jung-Stilling: Sachgerechtes Wirtschaften, S. 36.

199 Im Hause seiner Stiefmutter wurde von ihm verlangt, “daß ihr Stiefsohn mit ins Feld gehen, alle Bauernarbeit, auch die schwerste verrichten, hacken, mähen und dreschen sollte; so stieg mein Jammer aufs höchste. .. Von den rauhen Werkzeugen wurden die Hände immer voller Blasen, und die Haut blieb am Hackenstiel kleben, wenn ich die Grassense oder den Dreschflegel schwung, so krachten mir Rippen und Hüften”, berichtet Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte, S. 607. 200 “Holzgerecht heist ein Mann, der die Forstwirthschaft, besonders was die Haushaltung betrift, praktisch versteht,” definiert Johann Heinrich Jung-Stilling: Lehrbuch der Forstwirthschaft, Teil 2, S. 332.

201 “Was er noch nicht durch Erfahrungen leisten kann, das leistet er durch gesunde anwendbare Theorie, oder er bearbeitet eine wichtige Hülfswissenschaft, wo er bloß durch wohlgeübte und helle Verstandeskräfte, und durch richtig angestellte Versuche, schon zum allgemeinen Besten würken, und andern, die andere Fächer zum nämlichen Zweck bearbeiten, vortreflich nützen kann”, meint Johann Heinrich Jung-Stilling: Die Aufnahme der Waldungen, S. XVII

202 Insgesamt dürfte Jung-Stilling an die 25 000 (!) Briefe geschrieben haben; die Korrespondenz wurde besonders im letzten Lebensabschnitt zu einer oft von ihm beseufzten Last; siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe, S. 9.

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