Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt

Im Druck erschienen in der Zeitschrift “Die Neue Ordnung”

Bd. 50 (1996) S. 435 bis 442

Wissenschaftliche Streitfragen weisen zumeist auf Grundsatzfragen zurück: dort wurzeln sie gleichsam. Das gilt für alle Disziplinen, und es trifft auch für die Wirtschaftslehre zu. Richtig fordert daher Arthur F. Utz1), daß auch ökonomische Betrachtungen von der Natur des Menschen auszugehen haben. Diesfalls sind zwei Tatsachen festzustellen: Bedürftigkeit und Wohlfahrtsstreben.

Bedürftigkeit

Jeder Mensch ist dem Naturrhythmus unterworfen. Er muß fortwährend trinken, essen und schlafen. Fortwährend deshalb, weil fast alle Bedürfnisse Wiederholungsbedürfnisse sind: sie treten einige Zeit nach Befriedigung erneut auf. Im menschlichen Sein liegt eine zwanghafte Gebundenheit an die Güter (im ökonomischen Sinne: nützliche, zur Befriedigung der Bedürfnisse taugliche Dinge). Aus physikalischen Gründen (Gesetz von der Erhaltung der Energie) ist der Zwang zu ständigem Güterverbrauch auch durch Genmanipulation wohl kaum zu ändern. Leben (im biologischen Sinne) ist ohne beständigen Energieaustausch mit der Umwelt nicht möglich.

Noch eine Erkenntnis läßt sich aus Vernunft und Erfahrung ableiten: jedes menschliche Leben ist zeitlich begrenzt. Das Ende des Einzelnen ist der Tod. Solches ist zwar eine Binsenwahrheit; aber wie noch kaum zuvor in der Menschheitsgeschichte wird diese Tatsache heutigs verdrängt. Für die Wirtschaftslehre freilich rückte der Tod nie aus den Augen. Ist doch das Bestattungsgewerbe (zumindest hierzulande) ein Wirtschaftszweig mit gutem Geschäftsgang.

Die von der Natur (Natur verstanden hier als Schöpfung, als Raum, der als “Umwelt“ da ist; die Erde als Planet) dem Menschen dargebotenen Mittel sind mengenmäßig auf einen gegebenen Vorrat begrenzt: sie sind knapp. Jedoch zeigt sich auch gütemäßig eine Knappheit. Sind doch die zur Erhaltung und Gestaltung des menschlichen Lebens minder tauglichen Mittel (Meerwasser, Wüstensand) in Überzahl vorhanden. Diese doppelte Knappheit ist als Wirklichkeit vorgegeben; es handelt sich also um eine Seinsaussage, um eine tatbestandliche Feststellung. Aus ihr folgt, daß gewirtschaftet – also mit knappen Mitteln sparsamst umgegangen – werden muß.

Wohlfahrtsstreben

Ziel eines jeden Menschen ist es, sich zu entfalten, sich selbst zu verwirklichen: sein Wohl (auch Wohlfahrt, Glück, Glückseligkeit, Zufriedenheit genannt) zu erreichen. Der Einzelne möchte zum Vollen kommen; er strebt danach, seine Anlagen (alles bei der Geburt in die Welt Mitgebrachte) als Person ausformen zu können. Das ist ersichtlich in seine Natur (sein Wesen) hineingelegt. Natur bezeichnet dabei das durch die Geburt Entstandene, Urwüchsige, Vorgegebene. Es meint den inneren Bauplan, die Eigen=Art, wie sie jedem Menschen aufgrund seiner Individualität vom Ursprung her als ihn kennzeichnende Veranlagung zukommt und überdem auch als zielleitende Kraft (APPETITUS NATURALIS) des Werdens und Lebens wirkt.

Die Erfahrung lehrt unzweifelbar, daß nicht allein das Schlafen, Trinken und Essen das Glück bewirken, wie dies bei Tieren vielleicht so sein mag. Es treten andere Umstände hinzu. Was das für den (mit jeweils unterschiedlichen Anlagen ausgestatteten) Einzelnen auch sein mag, sei hier nicht aufgezählt. Jedoch läßt sich ein Maßstab dafür angeben, ob das jeweils Erstrebte auch seinen Zweck (nämlich die Glückserreichung bzw. Glücksmehrung) erreicht: ob es dem wahren Wohl dient. Das entsprechende Gut muß die Kräfte des Leibes und der Seele vervollkommnen. Dann bereitet es dem Menschen auch eine dauerhafte, ihn veredelnde Freude.2) Weil aber der Einzelne immer Teil der Gesellschaft ist, so wirkt sich sein Wohl stets auch auf das anderer Menschen aus.

Güter und Ungüter

Man kann Waren und Dienstleistungen, die dem physischen Überleben des Einzelnen dienen, notwendige Güter nennen. Alle Güter, die dem Einzelnen darüber hinaus Wohl bereiten, sind ergänzende Güter.

Eine dritte Gruppe von Gütern dient weder der Existenzerhaltung, noch befördern sie den Stand des Wohls beim Einzelnen und in der Gesellschaft. Es sind schädliche Güter, Ungüter.3) Es steigert bestimmt nicht den Wohlstand des Einzelnen und der Gesellschaft, wenn jährlich ein paar Millionen Zigaretten mehr verbraucht werden, oder wenn angetrunkene Autofahrer zusätzliche Tote und Verletzte bewirken. Und doch — so widersinnig das zunächst klingt — rein statistisch steigt dadurch der gemessene Wohlstand. Mehr in Hospitäler und Heilstätten eingewiesene Trinker und Raucher, oder mehr schwerverletzte und mit Rollstuhl zu versorgende Verkehrsopfer erhöhen nämlich die erbrachten Dienstleistungen. Dadurch steigt das Sozialprodukt als Maßstab des Wohlstands.

Zu den Ungütern zählt aber auch der von Arthur F. Utz genannte Raubbau der Alpenregion durch vergnügungssüchtige Massen, verschämt-beschönigend “Tourismus“ genannt.4) Ungüter sind fernerhin hierzulande produzierte Waren, die anderswo kostengünstiger, billiger zu erhalten sind. Deutschland kann sich auf die Dauer nicht leisten, aus der internationalen Arbeitsteilung auszuscheren und Kohle, Massenstahl, Schiffe nebst vielen anderen Gütern weiterhin im Inland zu hohen Kosten herzustellen: Güter, die ohne staatliche Subventionen gar nicht zu verkaufen sind. Auch verdeckte Zuschüsse seien dabei nicht vergessen, wie etwa die Begünstigung des Autofahrens durch großzügig bemessene steuerliche Kilometer-Pauschalsätze und dergleichen Mittel.

Ein Advokat sei gesuchter Wirtschaftsjurist und gleichzeitig auch Spitzenkönner in der Computerbedienung. Es wäre töricht, wenn er seine Schriftstücke selbst tippen und formatieren würde. Denn während der dafür eingesetzten Zeit kann er aus der Beratung der Klienten ein Mehrfaches dessen verdienen, was ihn eine Bürolistin kostet. Gewiß: der Anwalt kann beide Tätigkeiten absolut am besten. Aber er stellt sich bei weitem günstiger, wenn er sich auf das beschränkt, bei dem er relativ (vergleichsweise, komparativ) am meisten verdient. Dieses „Gesetz der komparativen Kosten“ steht zwar in jedem volkswirtschaftlichen Lehrbuch. Gehandelt aber wird kaum danach.

Ursachen der Ungüter

Es ist aber mitnichten so, daß steigende Ungüterverwendung und damit die Zielverfehlung des Einzelnen und der Gesellschaft nun Folgewirkungen der Marktwirtschaft seien. Das hieße, nach der Methode CUM HOC, ERGO PROPTER HOC (materialer Trugschluß: Verkennung der Ursache) zu schließen. Weil nämlich die Konkurrenzwirtschaft generell zu einem höheren Output an Gütern führt, so ist auch die Masse der Ungüter im allgemeinen größer. Wenn man einzelne Ungüter betrachtet, dann ist die Quote bei armen Völkern teilweise noch höher wie hier bei uns. Während in Deutschland, Österreich und der Schweiz etwa 50% der Männer Rauch in die atemluftheischende Lunge einsaugen, zerstören in Liberia fast 70% der Männer auf diese Weise ihre Gesundheit. Im Unterschied zu den genannten Ländern gibt es jedoch in Liberia keine Lungenheilstätten. Auch ist dort die Versorgung der durch Raucherbein und andere Nachwirkungen des Tabak-“Genusses“ Verkrüppelten bei weitem schlechter.

Es stellt sich somit die Frage, warum Menschen in aller Welt offensichtlich wider ihr vorhin umrissenes Wohl, gegen ihr individuelles Glück handeln? Warum fahren sie im Geländewagen mit Allradantrieb, grobstolligen Camionreifen und dem Schadstoffausstoß einer mittleren Heizanlage die 300 Meter zum nächsten Zigarettenautomaten? Warum sind allein in Deutschland sonntags gut 40 Mio Personenautos auf den Straßen, aber keine halbe Million Menschen auf Wanderwegen?

Die Antwort, es fehle den Menschen an Vernunfteinsicht in ihr tatsächliches Glück, ist kaum befriedigend. Jedem Raucher ist bewußt, daß er sich schadet. Keinem Autofahrer ist unbekannt, daß der Straßenverkehr letztlich ein Krieg aller gegen jeden geworden ist; denn er erlebt ja die Aggressionen hautnah bei schier jeder Fahrt. Jährlich verschwindet in Deutschland eine Kleinstadt durch Verkehrstote, und der Krüppel aus dem Verkehr sind inzwischen mehr wie Versehrte nach dem letzten Krieg.5) Selbst den “reinen“(!) Ökonomen (für den der Sinn des Wirtschaftens im bloßen Handeln nach dem Sparprinzip, lediglich in der Maximierung der Effizienz bei der Güterbeschaffung oder allgemein, “wertneutral“(!) in der Befriedigung jedweder Nachfrage durch Bereitstellung eines entsprechenden Angebots liegt) werden angesichts der Wirkungen der Ungüter Selbstzweifel befallen müssen.

Es wäre hier also eine einsichtige, befriedigende Erklärung der steigenden Ungüterverwendung nötig. Eine solche kann die Wirtschaftslehre nicht bieten. Die Sozialphilosophie wiederholt in vielen Variationen, daß der Mensch von Natur aus einen Trieb zur Vervollkommnung, zur Glückserreichung habe. Warum folgt er ihm trotz besserer Vernunfteinsicht nicht? Ist die theologische Erklärung der erbsündlich verdorbenen Natur am Ende doch richtig?6)

Ausschluß der Ungüter von der Produktion

Sehr richtig und konsequent gedacht, aber undurchführbar scheint das Verlangen, der Marktwirtschaftler müsse erst feststellen, was produziert werden dürfe.7) Er solle praktisch Ungüter ausschließen.

Diese Forderung ließe sich nur durch breiten gesellschaftlichen Konsens bewerkstelligen, wie dies etwa bei Waffen oder Auftragsmord der Fall ist. Aber schon bei Drogen, erst recht bei Tabakwaren, Pornographie und anderen Ungütern, ist ein solcher Konsens nicht zu finden. Mit diktatorischem Zwang wären Verbote zwar durchsetzbar. Dies ist aber in einer demokratischen Gesellschaft schlechterdings unmöglich. Eine Diktatur, auch in Form einer gutgemeinten „Wohlfahrtsdiktatur“, läßt sich heute wohl nirgends mehr auf der Welt einrichten. Hauptgrund dafür ist sicherlich der Fortschritt in der Information, bewirkt durch ganz neue, die Menschheit vernetzende Kommunikationskanäle.

Das Ergebnis der Überlegungen ist entmutigend, ja schmerzlich. Wider die zunehmende Ungüterverwendung und deshalb gegen die Verfehlung des individuellen Glücks sowie (damit einhergehend, weil davon abhängig) der gesellschaftlichen Wohlfahrt läßt sich weder von der Ordnung der Wirtschaft noch seitens der staatlichen Autorität etwas unternehmen.

Die Heilung hätte an den Ursachen anzusetzen. Der Wille des Menschen sollte stets der Vernunfteinsicht folgen. Dann sollte einjeder Mensch seinem Naturtrieb nach Glück, nach Vervollkommnung ohne Abweichung gehorchen und immer nur das Gute, Wahre, Schöne anstreben. Dies aber ist angesichts der tatsächlichen Befindlichkeit des Menschen, mit Blick auf den empirischen Zustand hinsichtlich der Menschennatur, so gut wie völlig auszuschließen.

Arbeitslosigkeit und Marktwirtschaft

Die Volkswirtschaftslehre läßt in aller Regel leider einen wesentlichen Umstand offen. Es ist dies der Raumbezug. Richten sich die ökonomischen Überlegungen auf eine Nation, auf einen rechtlich verfaßten Staat? Beziehen sie sich auf Zonen, wie etwa die Europäische Gemeinschaft? Sind die Erörterungen gar auf die ganze Welt gerichtet?

Wenn Arthur F. Utz von „massiver Arbeitslosigkeit“8) spricht, so ist zu fragen: wo? In Deutschland, bei Deutschen? Immerhin sind hierzulande – grob gerechnet – so viele Ausländer im Arbeitsprozeß, wie die Statistik an Arbeitslosen zählt. Zudem: wenn Vater, Mutter und zwei jungerwachsene Kinder eine Familie ausmachen, und nun die Mutter ihren bezahlten Arbeitsplatz verliert: ist das ein existenzbedrohendes Übel? Anders gefragt: wie ist die Statistik der Arbeitslosigkeit zu interpretieren?

Sicher gibt es Arbeit in Hülle und Fülle auf der Welt. Bis diese zum Paradies wird, ist noch gerade genug zu tun. Ohne Zweifel wären durch Arbeitsbefehle auch alle Menschen in diese Welt=Aufgabe einzubinden. Aber wer sollte solche Anweisungen aussprechen, wer sie durchsetzen und wer sie überwachen? Allenfalls durch Beschluß einer Mehrheit wäre eine derartige Befehlsgewalt einzurichten. Es scheint jedoch ziemlich unwirklich anzunehmen, daß sich die Stimmbürger derzeit und in naher Zukunft dafür entscheiden werden.

Weil dem so ist, wird die bezahlte Arbeit in der Wirtschaftsgesellschaft den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen bleiben. Das gilt für einzelne Staaten so gut wie für die Welt gesamthaft. Der Marktwirtschaft ist das nicht anzulasten; sie kann nur Regeln für die vernünftige Verteilung bezahlten Stellen zur Verfügung stellen.

Sinnlos wäre es auch zu fordern, eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion anzupeilen, die anteiligen Einsatzmengen von Arbeit und Kapital also irgendwie festzulegen. Arbeitssparender technologischer Fortschritt, wie er heute weltweit vorherrscht, läßt sich nicht vorausplanen. Er fällt wie Manna vom Himmel und führt zwangsläufig zur Einführung in die neuen Maschinenjahrgänge. Verbote können technischen Fortschritt nicht aufhalten.

Natürlich bewirkt dies eine Freisetzung von Arbeit. Robinson arbeitet zum Fischfang mit der baren Hand noch den ganzen Tag. Mit der Angel gewinnt er seine Nahrung schon an einem Morgen. Mit dem Netz gar fängt er mit einem Auswurf so viele Fische, wie er zu seiner Ernährung für eine Woche benötigt. Ist dieser Einsatz von laufend verbesserten Kapitalgütern ein Schaden? Soll man den armen, von mühevoller Arbeit (LABOR = ONUS, QUI PRESSIT, zumindest aber ein INCOMMODUM, wie die alten Philosophen lehren) entlasteten Robinson bejammern? Das schiere Gegenteil ist richtig: die Robinsonwirtschaft ist zu beglückwünschen, daß sie die Aufgabe der Ernährung durch den Einsatz ständig verbesserten Sachkapitals erleichtert.

Es ist nach alledem kaum einsichtig, „die Vollbeschäftigung zu den Zielen des Wirtschaftens (ex ante) zu zählen, und erst auf der zweiten Denketappe zu überlegen, wie weit man das Motiv des Leistungsanreizes, das Prinzip der Marktwirtschaft, ex ante wirkungsvoll einbauen kann.“9) Eher wäre genauer darüber nachzudenken, wie, nach welchen Maßstäben die gesamtgesellschaftliche Arbeit (national, international) zu verteilen wäre.

Bäuerliche Existenzen

Sein warmes Herz zeigt Arthur F. Utz en passant auch für die kleinen familiären Bauernbetriebe;10) und wer wünschte diesen nicht Flor und Gedeihen? Aber wo wurde mehr gegen alle Grundsätze der Marktwirtschaft verstoßen, wie gerade hier?

Wohl kein Wirtschaftszweig ging besser gerüstet in die Neuzeit als die Landwirtschaft. Schon die “Ökonomischen Gesellschaften“ des 18. Jahrhunderts, dann die Genossenschaftsbewegungen des 19. Jahrhunderts bündelten die Einzelinteressen gerade der kleinen Bauern. In Deutschland wurden gar Landwirtschaftskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts gegründet. Eine akademisch ausgebildete Schicht von Funktionairen stand und steht der Bauernschaft zur Verfügung. Zweifelsohne haben diese Amstwalter viel zum Fortschritt des Acker- und Pflanzenbaus, der Tierzucht, der Landbearbeitungstechnik sowie insonders auch zur Förderung der fachlichen Ausbildung getan.

Aber ebenso wahr ist es, daß die Funktionaire nicht in der Lage waren, den Agrarsektor beim Übergang von der Mangelwirtschaft zur Überflußwirtschaft in das Konkurrenzsystem einzubinden. Entscheidende Wendepunkte wurden einfach verschlafen. Man nahm fürlieb mit dem genossenschaftlichen Einkauf der Betriebsmittel und Werkstoffe sowie dem Verkauf der Rohprodukte. Die Beteiligung an der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Grunderzeugnisse gelang so gut wie gar nicht. Trocknungsanlagen, Käsereien, Konservenfabriken, Tiefkühlung und vieles mehr überließ man anderen. Als diese schlechte Politik ihre (gerade für den kleinen Betrieb) verheerenden Folgen zeigte, rief man nach dem Staat – und dabei ist es bis heute im großen und ganzen geblieben.

Wirtschaften und die Ordnungsfrage

Die Abhängigkeit jedes Menschen von Gütern einerseits und die Knappheit der vorhandenen Ressourcen andrerseits zwingt zum Wirtschaften. Tatsache ist aber auch, daß (gar zunehmend, wie manche behaupten) den Menschen schädigende Dinge in den Begehrkreis treten und hergestellt werden. Es sind dies Ungüter in ihrer vielseitigen Erscheinungsform, von der Zigarette über das mit Unflat gespickte Televisionsprogramm bis zur ziel=losen Herumreiserei. Es scheint aber wohl einsichtig, daß diese Entwicklung bestimmt nicht der Marktwirtschaft als Ordnungssystem zuzuschreiben ist.

Ferner ist durch Erfindungen, durch Fortschritt im technischen Wissen (know how), die Qualität vor allem des Sachkapitals gestiegen. Dies wirkt sich allgemein arbeitssparend aus: Sachkapital ersetzt menschliche Arbeit. Der Mensch wird im Zuge dieses Prozesses von Mühe und Anstrengung entlastet: dies ist zuerst zu sehen! Ob freigesetzte Beschäftigte “arbeitslos“ bleiben, ist im Grunde eine Sache der vernünftigen Gestaltung und Einteilung.11) Auf keinen Fall aber ist diese (exogene) Entwicklung der Marktwirtschaft anzukreiden.

Es ist und bleibt eine Illusion zu hoffen, daß durch eine andere Organisation des Wirtschaftsprozesses im Wirtschaften selbst liegende Grundprobleme zu lösen seien. Weder eine Zentralverwaltungswirtschaft noch ein dritter, vierter und weiterer Weg können verhindern, daß Menschen Ungüter begehren, und daß Ingenieure neue Techniken erfinden, wodurch per saldo Beschäftigte freigesetzt werden.

Verantwortung der Politik

Last not least: die Soziale Marktwirtschaft ist kein “Konzept“, sondern ein aus mehreren (auf einzelstaatlicher Ebene rechtlich verfaßten) Teilordnungen bestehendes System; System verstanden im Sinne der Systemtheorie als eine Menge, deren Elemente in einem Geflecht von Beziehungen miteinander verknüpft sind. Wenn diese Teilordnungen ganz oder in Abschnitten geändert werden sollen (wie etwa die Einführung einer Garantie auf bezahlten Arbeitsplatz für alle und jeden), so bedarf das einer Gesetzesänderung. Eine solche muß wiederum von der Mehrheit der Stimmbürger getragen werden. Denn zufolge eines einsichtigen Lehrsatzes der Politologie kann die Regierung einer demokratischen Gesellschaft auf Dauer nichts gegen den Mehrheitswillen durchsetzen. Das heißt aber auch, daß das Für und Wider solcher Änderungen öffentlich diskutiert wird – wie dies ja auch stets der Fall war und noch immer ist; man denke nur an die Sozialpolitik.

Wenn der Konsens darin besteht, die Vollbeschäftigung des Faktors Arbeit “an den ersten Platz des Wirtschaftsprogramms zu setzen“,12) so wird das auch geschehen – mit allen Folgen wie Arbeitsverpflichtung und allfälliger Beschränkung auf die eigenen Staatsbürger.13) Der Ökonom kann darüber keine Entscheidung treffen, weil ihm dazu die Befugnis fehlt. Dies ist und bleibt Sache der Politik, QUOD OPTIME SIT NOTANDUM!14)

Anmerkungen

1) Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, in: Die Neue Ordnung, Bd. 50 (1996), S. 192.

2) Genauer läßt sich die von jedem Menschen erstrebte Glückseligkeit (BEATITUDO, ) beschreiben als einen durch stimmiges Zusammenwirken alles Guten bewirkten Zustand (STATUS BONORUM OMNIUM CONGREGATIONE PERFECTUS). Dieser läßt sich auf Erden wohl nicht für ständig erlangen, sondern höchstens nur für eine be-grenzte Zeit (BEATITUDO NATURALIS). Auf immer ist er erst im Jenseits zu erreichen durch den Besitz des höchsten Gutes, nämlich Gott (BEATITUDO SUPERNATURALIS). – Siehe genauer und ausführlicher Thomas von Aquin: Summa Theologica 1-2, q. 3 bis 5; und das Wichtigste daraus kurzgefaßt: FINIS ULTIMUS, A DEO INTRA ORDINEM NATURALEM HOMINI PRAESTITUTUS, IN EIUSDEM PERFECTA BEATITUDINE CONSISTIT. BEATITIDO NATURALIS EST ILLA, QUAE EXIGENTIIS (Strebungen) ET VIRIBUS NATURALIBUS RESPONDET; SUPERNATURALIS, QUAE EASDEM EXCEDIT. – NOMINE NATURAE INTELLEGITUR IPSA REI ESSENTIA, PROUT EST PRINCIPIUM OPERATIONIS SIVE MOTUS; VEL EST IPSUM ESSE REI AD CERTO MODO OPERANDUM DISPOSITUM. CUM HAEC DISPOSITIO A CREATORE PROCEDAT, DICI POTEST: NATURA NIHIL ALIUD EST QUAM RATIO CUIUSDAM ARTIS (SCILICET DIVINA), INDITA REBUS, QUA IPSAE RES MOVENTUR AD FINEM DETERMINATUM.

3) Die ältere ökonomische Literatur nannte die Ungüter (im Englischen: bads oder discommodities) auch „üppige Güter“ oder „Luxusgüter“, so Johann Heinrich Jung-Stilling: Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften zum Gebrauche auf der Kurpfälzischen Kameral Hohenschule zu Lautern. Lautern (im Verlag der Gesellschaft) 1779, S. 8 („Wenn man Vergnügen an Dingen empfindet, welche zur wahren Glückseligkeit nichts beitragen, und also nicht wahr, sondern falsch, gut und schön sind, so ist das Vergnügen üppig. Daher sind die Gefühle und Verlangen nach dem falschen Guten und Schönen: üppige Bedürfnisse. Weilen die Befriedigung derselben keinen wahren, sondern falschen Genuß mit sich führt, in der Natur des Menschen keinen Grund hat, und doch an den Wirkungskräften zehret, so richtet die Ueppigkeit (der Luxus) Menschen, Völker und Staaten zu Grunde“). Andere sprachen von „antiökonomischer Produktion“, so Julius Graf von Soden: Die National=Oekonomie. Ein philosophischer Versuch über die Quellen des National=Reichthums, und über die Mittel zu dessen Beförderung. Erster Band. Wien (B. Ph. Bauer) 1815, S 132. – Siehe zum Thema „Ungüter“ neuerdings Alfred Klose et al. (Hrsg.): Frieden und Gesellschaftsordnung. Berlin (Duncker & Humblot) 1981, S. 197-211 sowie Hans Gerd Fuchs et. al. (Hrsg.): Güter und Ungüter. Berlin (Duncker & Humblot) 1991.

4) Siehe Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O., S. 197.

5) Siehe hierzu treffend Freimund Biederwacker: Vom folgeschweren Auto-Wahn. Protokoll einer nachtodlichen Belehrung. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1996, insbes. S. 13 ff.

6) Gegen einen heute weithin verbreiteten Neo-Pelagianismus scheint mir die Lehre von der gefallenen Menschennatur (STATUS NATURAE LAPSAE) aus Selbsterfahrung und Beobachtung meiner Mitmenschen am besten die Wirklichkeit zu erklären. Die dem Endziel entsprechende Ausrüstung der menschlichen Natur scheint offenbar gestört. Dadurch wird das gradlinige Zugehen auf das Glück verwehrt, mag auch die natürliche Neigung zum Guten vorhanden sein. Genauer unterschieden wird auch hier bei Thomas von Aquin: Summa Theologica 1-2, q. 85.

7) Siehe Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O., S. 201.

8) Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O., S. 193.

9) Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O., S. 201.

10) Siehe Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O. S. 195. – Ceterum: hic vir praestanti litterarum scientia non rusticis parentibus natus, sed homo urbanus est, quia natus Basilea Rauracorum.

11) Auf Arbeits-“Beschaffung“ sei hier nicht eingegangen, weil sie – von Ausnahmefällen abgesehen – stets ökonomisch unvernünftig ist. Natürlich könnte man ein Zehntel der Häuser abbrennen; dann fänden viele Menschen beim Wiederaufbau eine Stellung. – Anders betrachtet: es ist der Zweck des Wirtschaftens, das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft zu fördern. Alles, was dem zuwiderläuft, ist deshalb Ungut. Es kann nun aber niemals dadurch zum Gut werden, weil es einigen Menschen Arbeit und Brot bringt (indem sie etwa Vernichtungslager bauen oder gutbezahlt der Gewerbeunzucht nachgehen). Das „Arbeitsplatz-Argument“ ist daher in jeder Hinsicht ein Trugschluß EX IGNORANTIA ELENCHI: der wesentliche Streitpunkt wird verkannt oder entstellt. Siehe auch Gerhard Merk: Grundbegriffe der Erkenntnislehre für Ökonomen. Berlin (Duncker & Humblot) 1988, S. 34 ff.

12) Arthur F. Utz: Marktwirtschaft und qualitative Wohlfahrt, a.a.O., S. 197.

13) Siehe hierzu neuerdings Horst Ehmann: Deutschland – eine Standortfrage? Die Neue Ordnung, Sondernummer April 1996 (insbes. Kapitel IV: Abschied vom Natio-nalstaat).

14) Siehe hierzu Alfred Klose et al. (Hrsg.): Marktwirtschaft und Gesellschaftsordnung. Berlin (Duncker & Humblot) 1983, S. 11-35.


Men are never so likely to settle a question rightly, as when they discuss it freely.

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