Das Diesseits und Jenseits bei Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817)
Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817) Vortrag von Universitätsprofessor Dr. Gerhard Merk, ₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪₪ Jung-Stilling-Gesellschaft e. V., Siegen (Deutschland) |
Diesseitsschau von Jung-Stilling
Grundaussagen
1. Gott hat die Welt
– als sein Gegenüber geschaffen (→ gegen den Pantheismus in seinen vielfältigen Schattierungen: Spinoza, Goethe, Herder, Hegel, Fichte, Schelling, Schleiermacher!) und
– in diese hinein seine Ordnung gelegt: die von Gott gesetzte Ordnung (= sinnvoll gegliederte Einheit in der Vielfalt) durchwaltet die Welt.
2. Der Mensch ist in eigenverantwortlichem Handeln in die Welt gestellt (→ freier Wille [= Vermögen, kraft freier Selbstbestimmung das geistig erkannte Gute anzustreben sowie dem Übel zu widerstehen]; → gegen den Determinismus jedweder Art, auch der Lehre von der Prädestination [Calvin!]) — JSt sieht wohl den Zwang institutioneller Regelungen zum Rollenverhalten (heute: “gesellschaftliche Strukturen” [theologisch: kti/sij hier. = COMPLEXUS RERUM CREATARUM: “sündige Strukturen”!] → Institutionen-Ethik), behandelt das Problem aber nur behutsam nebenbei (Adel, Militär, Handwerkszünfte).
3. Gott und seine Ordnung sind durch die Vernunft (= Fähigkeit zu schlussfolgerndem Denken) erkennbar (→ gegen – a) Agnostizismus [Kant!] und – b) extremen Fideismus [Erbsündenlehre!]), Röm 1, 17 ff.
Daraus folgt:
4. Sollenserkenntnis ergibt sich aus der Seinserkenntnis. → Aus dem, was etwas ist oder wie es ist, erschliesst es sich der Vernunft auch als Wert: nämlich wie es sein soll oder wie es nicht sein darf (→ gegen jeden Wertrelativismus, Pragmatismus und [Rechts]Positivismus).
Menschenbild
1. Jedem Menschen eignet von Natur (= der Eigenart seines Seins) ein Streben (= angeborene, dauernde Neigung als ein innerer Drang [APPETITUS INNATUS]) nach Glück(seligkeit); Wechselbegriff bei JSt: Vervollkommnung.
2. Glück =
– a) Abwesenheit aller Übel (wie Schmerz, Hunger, versagte Anerkennung durch die Gesellschaft) und
– b) Besitz alles Guten.
Das Gefühlserlebnis des Glücks ist die Freude. — Gut = alles was angemessen und geeignet ist, dem menschlichen Streben nach Glück tatsächlich zu dienen. Das Gute ist
– wahr (= es entspricht der vorbildlichen Idee im Verstande, etwa: wahres Gold, wahre Freundschaft) und
– schön (es erweckt Gefallen, in dem man befriedigt ruht).
3. Jeder Mensch ist von Gott grundsätzlich zum dauernden Glück bestimmt. Da dies
– a) nieden nicht erreichbar ist (schon wegen der Gebrechlichkeit des Leibes),
– b) so muss es für ein besseres Leben jenseits des Grabes aufbewahrt sein. Es gibt also ein ewiges, glückseliges Leben nach dem Tode.
4. Weil aber die unendliche Weisheit nichts zwecklos tut, so hat sie dem Menschen auch für dieses Leben einen Zweck gesetzt: die Vorbereitung für das ewige Leben im Jenseits. → Dies geschieht durch Tätigsein im Sinne des “Grundsatzes der politischen Tugend”. Er besagt: “Jeder Mensch soll zur Vervollkommnung aller Mitglieder seiner bürgerlichen Gesellschaft so mitwürken, wie er wünscht daß sie auf ihn würken möchten” (Staatspolizei, 4). (= Goldene Regel!, → Mt 7, 12; Lk 6, 3).
Einzelwohl und Gemeinwohl
Das Einzelwohl (einzelne Beste) besteht bei JSt in der eigenen Vervollkommnung eines jeden Menschen. Nun besteht aber der Mensch aus Leib und Seele. Niemand kann die Glückseligkeit (= Vervollkommnung) erreichen, wenn nicht sowohl leibliche (physische) als auch seelische Bedürfnisse befriedigt werden.
1. Die seelischen Befriedigungsmittel sind aus wahrer Aufklärung zu gewinnen. “So bald ein Mensch deutlich und vollständig alle die Heischesätze erkennt, durch deren Beobachtung er wahrhaft vollkommener und glücklicher wird, so wird er sie auch befolgen, und in diesem Fall muß seine Erkänntniß eine wahre Aufklärung seyn” (Staatswirtschaft, 30)
→ “Aufklärung nenne ich die richtige Erkänntniß von Gott, von der Natur, besonders von dem Menschen, und von dem Verhältniß desselben zu Gott, und den daher entspringenden Pflichten gegen den Vater im Himmel, und gegen den Nächsten. Aus wahrer Aufklärung folgt also reine und thätige Liebe gegen Gott und seinen Mitmenschen” (Staatspolizei, 114).
2. Die leiblichen Befriedigungsmittel des Glückseligkeitstriebes liegen im
– a) Güterverbrauch sowie im Genuss von
– b) Eigentum,
– c) Ehre (als “Werth eines Menschen, den ihm die bürgerliche Gesellschaft beilegt”) und
– d) Freiheit (verstanden als bürgerliche Freiheit: “daß man thun darf was man will, so lang man zum einzelnen und allgemeinen Besten wirkt”).
— Ehre und Freiheit im hier verstandenen Sinne zählt JSt zurecht den leiblichen Befriedigungsmittel zu. Diese sind allgemein durch eine entsprechende gesellschaftliche Verfassung und durch ein geeignetes Regierungssystem zu erreichen.
3. Das Gemeinwohl ist zunächst die Summe der einzelnen Besten. Aber indem es erreicht wird, wirkt es auch wieder auf das Einzelwohl zurück. Einzelwohl und Gemeinwohl erhöhen sich damit wechselseitig (→ Familie am Frühstückstisch!).
— Das Gemeinwohl ist
– a) seinem Wesen nach solidarisch (= auf jeden einzelnen bezogen), und
– b) es gilt das “Gesetz des allgemeinen Besten”.
Denn “da nun der Vervollkommnungs- oder Glückszustand einer ganzen bürgerlichen Gesellschaft, oder das allgemeine Beste das Aggregat aller einzelnen Besten ist, und je nach seinem Grad wieder zur Vervollkommnung und Beglückung jedes einzelnen zurückwirkt, so ist es jedes Unterthanen unnachläßliche Pflicht zum allgemeinen Besten wie zum eigenen zu wirken” (Staatswirtschaft, 20).
Staatsverfassung
1. Die seelische Erhaltung und Vervollkommnung der Bürger ist nicht unmittelbare Aufgabe des Staates. Denn sie ist in erster Linie vom Gang und Stand der Aufklärung abhängig. Diese wird zwar entscheidend, aber bloss mittelbar von der Staatstätigkeit beeinflusst.
2. Aufgabe des Staates ist daher vorwiegend die physische Erhaltung der Bürger. “Die regierende Gewalt erfüllt also ihre Pflicht, wenn sie die Personen, Freyheit, Ehre und Eigenthum ihrer Unterthanen gegen alle Beeinträchtigungen schüzt und nach allen Kräften vervollkommnet. Das vollkommenste Regierungs=System wird also dasjenige sein, in welchem Gesetze gegeben werden, die jenem Zweck in seiner vierfachen Rücksicht vollkommen entsprechen, und die jeder Regent bey allem Wechsel der regierenden Personen immer ausführen muß” (Nomokratisches System 110) — Daraus folgt, dass in einem richtig verfassten Staat “nicht Landstände, nicht das Volk, nicht irgend ein Stand, nicht einmal der Regent selbst, sondern blos und allein das Gesetz der wahre Souverän sey; Diesem ist hier alles unterworfen” (Nomokratisches System 110). JSt nennt diese Staatsform “Nomokratie”.
3. JSt zählt als Grundlagen einer das Gemeinwohl bestmöglich erreichenden “nomokratischen Staats-Architektonik” (= Verfassung) drei Elemente auf.
a) Erstens, das vollkommenste Naturrecht. — Je genauer und klarer die ewig, überall gültigen, von Gott in die Dinge hineingelegten Ordnungen – (a) philosophisch erkannt und diese – (b) als Regeln für das sittliche und rechtliche Verhalten zugrundegelegt werden, desto leichter wird das Gemeinwohl erreicht. Es ist dann am vollkommensten entwickelt, wenn die positive Gesetzgebung in allem dem Naturrecht entspricht. “Bis aber die Menschheit so weit fortrückt, können leicht Jahrtausende verfließen” (Staatswirtschaft, 305). (→ gegen seichte “Aufklärer” seiner Zeit; gegen optimistische Geschichtsphilosophie [Kant und seine Schule], wonach die Vernunft den Instinkt [Theorie der Hominisation!] bald besiegen wird).
b) Zweitens, die vollkommenste Moral. — Unter Moral versteht JSt hier die religiöse Sittenlehre, also die sich auf die Offenbarung gründende Ethik. “Je mehr die Religion von allen Meinungen und Zusätzen gereinigt, und auf die vollkommenste Moral ihrer heiligen Stifter zurückgeführt wird, … desto leichter wird auch die wahre und vollkommene Nomocratische Gesetzgebung” (Nomokratisches System, 114). Dieses Ziel kann von der Herrschaft einer Vernunft und Glauben vereinigenden (Naturrechts)Philosophie erwartet werden, die sich mit fortschreitender “wahrer Aufklärung” verbreitet.
c) Drittens, die beste Wirtschaftsverfassung. — Aus der Einrichtung zutreffender, fachgemässer ökonomischer Verhältnisse fliesst ein unmittelbarer Nutzen für das Staatsbeste. JSt macht hierzu in seinen Schriften entsprechende Vorschläge (wie
– Kontaktfreiheit,
– Kontraktfreiheit,
– Gewerbefreiheit bei selbstorganisierter Aufsicht,
– Steuerschätzung durch die Wirtschaftsverbände,
nicht durch die Staatsmacht → Subsidiaritätsprinzip!).
Inhaltliche Bestimmung des Staatsbesten
JSt nennt im einzelnen als Massstab für das Staatsbeste eine Reihe von Kennzeichen, unter anderem (Zitate aus Nomokratisches System, 111 f.):
1. “Wenn alle diese Bürger die beste Gelegenheit haben sich über alle Mittel zu ihrer zeitlichen und ewigen Vervollkommnung und Glückseeligkeit zu belehren, sie sich wirklich dieser Gelegenheit bedienen, und dann auch die erlernten Mittel anwenden” (→ Bedeutung der Bildung!).
2. “Wenn jeder Bürger thun und lassen, handeln, und wandeln kann wie er will, und indem er dieses thut sein eigenes und zugleich das allgemeine Beste so viel durch seinen Würkungskreys möglich ist, befördert” (→ Bernard de Mandeville: Bienenfabel, 1714!).
3. “Wenn jeder Bürger von der ganzen bürgerlichen Gesellschaft genau nach dem Verhältnis seines Werths, oder seiner Nuzleistung im Staat, geehrt wird (→ gegen Standes-Ehre der Zeit!); und wenn auch das Amt jedes Staatsdieners mit seinem innern Werth, Wille und Fähigkeit, aufs genaueste übereinstimmt” (→ gegen Erb-Ämter und das wuchernde Patronagewesen der Zeit!).
4. “Wenn das rechtmäßig erworbene Eigenthum jedes Staats-Bürgers so viel möglich gegen Unglücksfälle (→ Katastrophenhilfe; JSt befürwortet den Zwang zu Feuerlösch-Einrichtungen durch die Gemeinden: Teiche, Spritzen, Bemannung], und Eingriffe böser Menschen (→ JSt fordert die Sicherstellung der persönlichen Unversehrtheit durch Polizisten sowie zügig arbeitende Gerichte) gesichert ist, und wenn solche Anstalten getroffen sind, daß kein Mensch an Befriedigung seiner wesentlichen Bedürfnisse Mangel leidet” (→ geregelte Armenfürsorge durch Einrichtung von Armenkassen; arbeitsfähige Arme müssen in gemeindliche Beschäftigung genommen werden; fremde Arme sind auszuweisen).
5. “Wenn der Staat über das alles und bey dem allem eine solche Schuzverfassung hat, daß keine auswärtige Macht es wagen kann ihn anzugreifen, er aber auch dazu auf keine Weise gegründeten Anlaß giebt” (→ 1794!; Kurfürst Karl Theodor!).
Jenseitsschau von Jung-Stilling
Geschöpflichkeit des Menschen
1. Der Mensch besteht aus Leib und Seele. – Die Seele umfasst zwei Teile, nämlich “das ätherische Lichtwesen, welches das eigentliche körperliche Lebens=Prinzip ist, das der Mensch mit den Thieren gemein hat … und in den ewigen Geist des Menschen, der vorzüglich nach dem Bilde Gottes erschaffen ist, und eben deswegen in dieser sonderbaren Verbindung mit der Körperwelt steht, um sich seine verlohrne Würde wieder zu erkämpfen” (Geister=Kunde, 61).
2. Im Diesseits ist jeder Mensch ganz auf seine fünf Sinne angewiesen. Daher vermag er auch grundsätzlich mit dem Geisterreich nicht in Verbindung zu treten. JSt warnt in seinen Schriften ständig vor der gesuchten Hinwendung zum Geisterreich.
a) “Unsre körperliche physische Natur ist in unserm gegenwärtigen Zustand blos auf unsre Sinnenwelt organisirt und eingerichtet; in unserm natürlichen Zustand empfinden wir ausser unserer eigenen Seelen, von der Geisterwelt nichts” (Geister=Kunde, 42).
b) “Aus diesen Bemerkungen erhellet klar, daß die Natur und die Vernunft schlechterdings nicht auf die Geisterwelt und ihre Einwürkungen angewiesen sind; und bey allen Zeugnissen der heiligen Schrift, die sie von diesen Einwürkungen ablegt, verweist sie uns doch einzig und allein an die göttliche Regierung, und seine heilige alles leitende Vorsehung” (Geister=Kunde, 42).
c) “Ich schliese dieses Kapitel mit der dringenden Ermahnung, sich durchaus nicht mit dem Geisterreich einzulassen, sondern wenn irgend jemand ohne sein Suchen mit ihm in Umgang gerathen sollte, sich demselben auf eine liebreiche und christliche Weise zu entziehen, und wiedrum in die Ordnung zurück zu kehren, die ihn der Vater der Menschen diesseits des Grabes gesezt hat” (Geister=Kunde, 99).
3. In Ausnahmefällen kann sich die Seele vom Körper trennen (→ Beispiel Swedenborg/Lausberg [Geister=Kunde, 93 ff.]) – “Aus meiner bisher vorgetragenen Theorie erhellet, daß die Menschenseele sich in so fern dem Geisterreich nähere, als sie sich von den Organen durch die sie auf den Körper, und dieser auf jene, würkt, frey macht. Dies kann auf vielfache Weise und durch vielerley Stufen, von der leisesten Ahnung an, bis zur völligen Entbindung im Tode geschehen” (Geister=Kunde, 141).
4. Seelenwanderung ist ausgeschlossen. – “Der Hauptgrund liegt aber in der Bibellehre und richtigen Begrif von der Versöhnung: wenn ich selber meine Sünden tilgen und versöhnen muß, und zu dem Ende mehrmals Mensch werden, so bedarf ich keinen Erlöser” (Briefe 3, 102).
Engel
1. Gott hat Engel erschaffen: das Zeugnis Jesu und der Apostel ist hier ganz eindeutig (→ gegen
– a) Rationalismus, Pantheismus,
– b) Theologie der Zeit [Engel = entmachtete, “depotenzierte” Götter der Heiden, von Hebräern monotheistisch umgedeutet]).
2. Die Anzahl der Engel ist unermesslich, nämlich durch das gebräuchliche Zahlensystem nicht auszudrücken (Offb 5, 11: millies centorum millium, et decies centorum millium).
3. Engel sind an sich körperlose Wesen. Sie können Menschen aber in leiblicher Gestalt erscheinen (etwa: Gabriel: Lk 1, 19 und 26; Paulus im Gefängnis: Apg 12, 7 ff.); aber nur, wenn Gott sie sendet.
4. Es gibt eine Rangordnung innert der Engel: Kol 1, 16 nennt Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Gewalten und (Eph 1, 21, Röm 8, 38) noch Mächte. Der Rang bestimmt sich entweder
– a) nach der Nähe zu Gott oder
– b) gründet sich auf die jeweils verschiedene
Eigenart, auf unterschiedliches Gepräge: Gott hat also viele Arten von Engeln geschaffen. JSt ist hier schwankend.
5. Jeder Mensch hat einen Schutzengel um sich.
– a) Dieser
– (a) wendet Gefahren des Leibes und der Seele ab,
– (b) eifert ihn zum Guten an,
– (c) bringt seine Gebete vor Gott,
– (d) bittet für ihn und
– (e) geleitet ihn durch den Tod vor Gottes Gericht (→ “Szenen aus dem Geisterreich”!).
– b) Der Schutzengel wirkt auf verschiedene Weise auf den Menschen ein. Auch Warnungen des Schutzengels geschehen “auf mancherley Weise, so wie der warnende Engel am besten auf einen Menschen würken kann; und das nennen wir dann eine Ahnung” (Geister=Kunde, 105). Viele Beispiele in der “Theorie der Geister=Kunde” (→ Peter Johannes Flender in Rotterdam!, “Lavaters Verklärung” 1801).
6. Die gesuchte Kontaktaufnahme mit dem Schutzengel ist nicht erlaubt. “Auch mit den Schuzgeistern dürfen wir den Umgang nicht suchen, wir sind nirgends auf sie angewiesen” (Geister=Kunde 376) ” und eben so wenig ist es den Bürgern des Geisterreiches erlaubt, sich den noch im irrdischen Leben befindenden Menschen, ohne ausdrücklichen Befehl oder Erlaubniß des Herrn, sinnlich zu offenbaren” (Geister=Kunde, 138).
Böse Geister (Dämonen)
1. Ein Teil der Engel hat sich aus stolzer Selbstgefälligkeit frei von Gott abgewendet und steht ihm in Feindschaft gegenüber.
– Der Abfall ist
– a) von einem der Geister ausgegangen (Satan, Teufel),
– b) die übrigen sind ihm gefolgt und
– c) sie stehen nun in irgend einem Verhältnis der Abhängigkeit und Botenmässigkeit zu ihm.
2. Die Wirkung böser Geister äussert sich auf dreifache Weise.
a) Sie versuchen den Menschen zur Sünde (1 Petr 5, 8!). Aber einen direkten und nötigenden Einfluss vermögen die Dämonen auf den freien Willen des Menschen nicht auszuüben. Es handelt sich allemal um Anlockungen, um Reize.
b) Sie können von einem Menschen Besitz ergreifen; JSt schildert Fälle von Besessenheit (Verweis auch auf Mt 12, 24: Vorwurf der Pharisäer an Jesus, er treibe die Teufel mit dem Beelzebub aus; d. h.: Jesus anerkennt Besessenheit).
c) Böse Menschen können mit “bösen Geistern in Rapport kommen, und dann ist die Zauberey kein Hirngespinst mehr” (Geister=Kunde, 70).
3. Die bösen Geister werden sich wahrscheinlich zu Gott bekehren. “Es scheint, als wenn man diesem großen und merkwürdigen Feind, der den Griechen unter dem Namen Diabolos, und den Juden unter der Benennung Satan bekannt ist, noch Raum zur Besinnung geben wollte, und der Gedanke, daß die bösen Geister sich unmöglich bekehren und wieder zu ihrem ersten Ursprung neigen könnten, scheint mir erschrecklich, und der Weisheit und Güte Gottes ganz zuwider zu seyn” (Offenbarung, 365) (→ Allversöhnungs-Lehre, zur Zeit von JSt stark diskutiert, obwohl biblisch eindeutig widerlegt; letztlich: ist
– die Verherrlichung Gottes, die Offenbarung seiner Vollkommenheiten oder
– die Beglückung der Geschöpfe Endzweck des göttlichen Wirkens? → führt in jedem Fall zu Grundaussagen der natürlichen Theologie [Theodizee]).
4. Der Satan ist “Fürst dieser Welt”. – “Satan hat in unseren Zeiten zwei Meisterstücke gemacht, das erste ist, daß er die Philosophen und philosophischen Religionslehrer zu bereden gewußt hat, er – der Satan – existiere gar nicht, das sei nur so ein Geschwätz von Christus und seinen Aposteln, das ihnen nicht Ernst gewesen sei. Und das zweite ist, daß er sie demonstrieren lehrt hat, das Beten könne gar nicht helfen, denn Gott tue doch, was Er wolle: da hätten ebenfalls die Verfasser der Bibel wieder mit den Kindern kindisch geredet; daher kommt dann eine solche Gottlosigkeit, die in der Geschichte kein Beispiel hat” (Szenen 2, 239).
Endzustand des Menschen (Eschatologie)
1. Es gibt ein ewiges Leben als dauernde Glückseligkeit (Himmel). – JSt glaubt den Himmel als Ort = oben (deutsche Sprache! Englisch: heaven, sky). An der Dreistockwerk-Vorstellung hält er trotz zeitgenössischer Kritik (Jenseitssort ist aus der Bibel nicht ableitbar; Himmel ist ein Zustandsbegriff, nicht aber physisch, astronomisch zu sehen; nur die religiöse Grundaussage sei ins Auge zu fassen) unbeirrt fest.
2. Es gibt einen jenseitigen Strafzustand (Verdammnis, Hölle), in welchen die von Gott abgefallenen Bösen versetzt werden. – Die Hölle befindet sich nach JSt im Innenkern der Erde.
3. Es gibt einen dritten Ort: den Hades. – Zum Hades trägt JSt acht wichtige Aussagen vor.
(Aufzählung nach Gerhard Merk (Hrsg.): Jung-Stilling-Lexikon Religion. Kreuztal 1988, S. XXII)
1. Im Hades reifen die Seelen für kürzere oder längere Zeit entweder zum Himmel oder zur Hölle heran (Geisterkunde 156). Es gibt also im Hades “Gute und Böse, Halbgute, und Halbböse” (Geisterkunde 150).
2. Die nach dem Tode im Hades angekommene Seele verspürt die Sinnenwelt nicht mehr. Sinnenwelt meint dabei die irdische Außenwelt, die durch Empfindungen wie Licht, Ton, Wärme, Kälte, Geruch oder Geschmack wahrgenommen wird. Sie erkennt jedoch “die Geister, die im Hades sind” (Geisterkunde 371).
3. Die Seelen im Hades können vom Geschick noch lebender Menschen (vor allem der Angehörigen) Kenntnis erhalten (Apologie 24). Dies geschieht einmal durch Nachricht von Seelen, die eben entleibt im Hades ankommen. Zum andern aber kann auch Wissen vermittelt werden “aus den Anstalten, die in Ansehung unserer im Geisterreich gemacht werden” (Geisterkunde 279).
4. Die Seele besitzt im Hades die Vorstellung von Raum und Zeit. Jedoch ist ihr nun im Raum alles nahe und in der Zeit nichts fern. Sie kann deshalb wissen, was in der Ferne und was in Zukunft geschieht, “insofern es ihr die Gesetze des Geisterreichs erlauben” (Geisterkunde 275). – Freilich kann sich die Seele irren. In Unkenntnis ihrer Falschheit werden dann Aussagen als wahr behauptet. Überdies kann die Seele im Hades auch “uns täuschen wollen” (Geisterkunde 375).
5. An und für sich betrachtet ist der Hades ein leidensfreier Ort (Geisterkunde 14). Die eigentlichen Leiden im Hades sind das Heimweh nach der auf immer verlorenen Sinnenwelt der nun leeren, entblößten Seele, die auf die Hölle zugeht (Geisterkunde 296/297). – Seelen, die auf den Himmel vorbereitet werden, erleiden keine Pein, außer der, die sie sich selbst machen (Geisterkunde 296). So empfinden etwa jene Seelen Leiden, die mit einer nicht abgelegten Begierde aus diesem Leben schieden (Geisterkunde 374).
6. Auf noch lebende Menschen können Seelen im Hades nur einwirken, wenn sie sich mit ihnen in Verbindung setzen können und dürfen (Geisterkunde 88). Sie vermögen dann Menschen auch absichtlich zu täuschen und in die Irre zu führen (Geisterkunde 375). Manche machen es sich zu einem Vergnügen, Menschen zu betrügen (Geisterkunde 150).
7. Seelen aus dem Hades vermögen sich grundsätzlich körperlich sichtbar zu machen. In diesem Falle können sie von vielen Menschen gesehen werden. Jedoch fällt dann dem Betrachter auf, daß es sich um keinen natürlichen, lebendigen Menschen handelt (Geisterkunde 84). Dies geschah beispielsweise massenhaft beim Tode Jesu (Mt 27, 52).
8. Es ist nützlich und heilsam für Seelen im Hades zu beten (Geisterkunde 298, Apologie 70). Niemand freilich ist zu solchem Gebet verpflichtet.
What greater calamity can fall upon a nation than the lack of clergymen and clergywomen!
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