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Prof. Dr. Gerhard Merk, Dipl.rer.pol., Dipl.rer.oec.

Abhandlungen über Johann Heinrich Jung-Stilling

Nachtodliche Belehrungen zur Ökonomik

Nachtodliche Belehrungen zu Persönlichkeiten

Nachtodliche Belehrungen zur Philosophie

Nachtodliche Belehrungen zur Theologie

Nachtodliche Belehrungen zu verschiedenen Themen

 

Gute Tat, Vorherbestimmung und Seligkeit


ein bis heutzutage viel diskutiertes Thema nach vielen Seiten hin durchdacht
gelegentlich einer nachtodlichen Belehrung durch den
hochgelehrten, lebenserfahrenen und bis anhin unvergessenen

Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817),
der Weltweisheit und Arzneikunde Doktor,
seit 1785 Kurpfälzischer, durch Rechtsübergang ab 1803 Badischerer Hofrat,
durch Verleihung ab 1808 Grossherzoglich Badischer Geheimer Hofrat;

lebzeitig bis 1803 Professor für ökonomische Wissenschaften sowie Lehrbeauftragter für operative Augenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Marburg/Lahn, zuvor bis 1787 Professor für angewandte Ökonomik – mit Einschluss der Tiermedizin – an der Universität Heidelberg und davor seit Winter-Semester 1778 in gleicher Bestellung an der Kameral Hohen Schule zu Kaiserslautern,

weiland Gründungsmitglied der Geschlossenen Lesegesellschaft zu Elberfeld, dortselbst ab 1772 auch Arzt für Allgemeinmedizin, Geburtshilfe, Augenheilkunde und seit 1775 behördlich bestellter Brunnenarzt sowie Lehrender in Physiologie; der Kurpfälzischen Ökonomischen Gesellschaft in Heidelberg, der Königlichen Sozietät der Wissenschaften in Frankfurt/oder, der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft in Mannheim, der Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste in Kassel, der Leipziger ökonomischen Sozietät sowie auch seit 1781 bis zum Verbot sämtlicher Geheimgesellschaften im kurpfälzisch-bayrischen Herrschaftsgebiet durch Erlass aus München vom 22. Juni 1784 der illustren
Loge “Karl August zu den drei flammenden Herzen” in Kaiserslautern Mitglied

und

wortgetreu aufgeschrieben, gereimt, mit hülfreichen Anmerkungen ausgeziert und männiglich kundgemacht, dabei alle Leser gÖttlichen
Obhalts und getreuen englischen Schutzes innigst empfehlend
von

Christlieb Himmelfroh
zu Salen, Grafschaft Leisenburg*

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Markus-Gilde, Siegen

Leicht veränderte Online-Fassung aus dem Buch “Jung-Stilling belehrt”, erschienen 1991 im AK-Verlag Kirchhundem.
Copyright-Inhaber ist jetzt die löbliche Markus-Gilde., Siegen (Deutschland).
Die gewerbliche Verwertung des Textes bedarf der schriftlichen Einwilligung der löblichen Markus-Gilde.

info@jung-stilling-gesellschaft.de


Jung-Stilling grenzt das Tun des Guten von der Werkgerechtigkeit ab


Bereits schon dreizehn Tage lang,
Erkältung mich zu Bette zwang.
Es ging mir etwas besser nun,
Doch musste ich noch immer ruhn
Sowie Tabletten, Tropfen nehmen,
Dass diese Grippe-Viren lähmen.

Gleichwohl war ich soweit genesen,
Dass konnte ich schon wieder lesen
Nebst Radio hören, sehen fern;
Auch sprach per Draht ich lang und gern.
Vor Jahren schaffte an ich schon
Durch Funk gelenktes Telephon,
Das es erlaubt, im ganzen Haus
Zu kommen gleich ins Netz hinaus.


Jung-Stilling meldet sich am Telephon


Am Freitag lag ich kurz nach zehn
Im Bett beim Lesen grad bequem,
Als einen Anruf ich bekam.
Den Hörer an das Ohr ich nahm,
Zu melden gleich mich mit “Hallooo!”;
Ich gebe meistens kund mich so.

“Da bin ich sicher falsch verbunden,
Wenn just `Herrn Hallo´ ich gefunden!
Verzeihung, dass ich sie gestört!
Ich hoffe, sie sind nicht empört.”

Verblüffung, Staunen packte mich,
Als hörte solches Sprechen ich.
Vom Liegen ich mich rasch erhob,
Ein Kissen in den Rücken schob.
Denn jeden Zweifels war ich bar,
Wem diese feste Stimme war:

Melodisch, klangreich, voller Schwung
Spricht so allein nur Hofrat Jung,1
Der längst zwar schon im Jenseits weilt,
Doch oft auch noch nach hier enteilt.

 


Frage nach der Erwählung an Jung-Stilling


“Herr Hofrat Jung! Sind sie noch dran?”,
Ich meinerseits sogleich begann.
“Natürlich war es ihnen klar,
Dass ich ihr Anruf-Partner war!
Im Jenseits wird ja nichts verfehlt,
Drum falsche Nummer nie gewählt!

Darf ich, Herr Hofrat, sie behellen,
Gleich eine Schlüsselfrage stellen?
Kommt jeder Christ ins Himmelreich
Nach seinem Tode allsogleich?

Es sagte jüngst der Prädikant,2
Dass keiner je zum Himmel fand,
Der für das Jenseits etwas tu,
Weil GOtt nur solche lasse zu,
Die er dafür hat ausersehen.” —

 


Jung-Stilling erkennt drei Fragenkreise


Jung-Stilling tat, als sei er nah,
Durchs Telephon sich deutlich da.
“Mein Stillings-Freund! Das sind drei Fragen
Die euch just liegen auf dem Magen!

Zum ersten: ob ein jeder Christ
Auch Erbe einst des Himmels ist?

Zum zweiten: ob durch gute Tat
Sich jemand schon dem Himmel naht?

Zum dritten: ob denn GOtt bestimme,
Wer einst den Himmel wohl erklimme?

Lasst Antwort dazu geben mich,
Soweit vermag und darf dies ich.

 


Jeder Mensch ist für das Himmelreich bestimmt


(1) Um mit dem letzten anzufangen:
Ein jeder kann zum Heil gelangen,
Der GOttes Gnade an sich nimmt:
Und alle sind dazu bestimmt!

(a) Es steht dem Menschen völlig frei,
Ob er sein Heil holt sich herbei.
Drum ist es irrig anzunehmen,
GOtt wollte einige verfemen
Und anderen den Vorzug geben,
Ganz gleich, was taten sie im Leben.

(b) Es liebt GOtt alle Menschen gleich,
Berief sie sämtlich in sein Reich.
Drum liegt alleinig es an ihnen,
Ob sie den Himmel sich erdienen.
Es spricht des Menschen Freiheit Hohn,
Wenn lehrt man Prä-Destination.3

 


Tun für den Nächsten ist geboten


(2) Die nächste Frage war gerichtet
Auf gute Tat, zu der verpflichtet
Ein jeder und zu jeder Zeit,
Weil Grundgebot der Menschlichkeit.

(a) Doch kann aus sich sie niemals geben
Den Zugang in das ew’ge Leben,
Da hier ein einzger Weg bloss ist
In unsrem HErren JEsu CHrist!

(b) Geschichte der Apostel zehn
Lässt deutlich eine Heiden sehn,
Dem gute Werke GOtt vergalt:
Ein Engel eigens zu ihm wallt,
Zu künden, dass er Petrus hole,
Zu wirken gnadvoll ihm zum Wohle.
Ich bitte euch, dass leset ihr,
Insonders achtsam den Vers vier!

(c) Es kann darum kein Zweifel sein:
Die gute Tat schliesst jeweils ein
Gefallen GOttes: ebnet Pfade,
Auf denen schreitet Huld und Gnade.
Bei uns, in reformierten Kreisen,
Tat solches falsch man `heidnisch´ heissen,
Obzwar es doch klar biblisch ist,
Wie an Cornelius4 man ermisst.

 


Ist sich der Christ des Genusses ewigen Heils gewiss?


(3) Zur dritten Frage, ob dem Christ
Der Himmel letztlich sicher ist?
Lasst nur mich wiederholen das,
Was vorhin ich bereits ermass:
Der Weg zum Himmelreich steht frei
Für jeden Menschen: wer er sei.

Doch liegt bei ihm es ganz und gar,
Ob nimmt dies Angebot er wahr.
Nur wer dies tut, kann kommen gleich
Zur Seligkeit, in GOttes Reich.

Zu diesen Fragen ich bekunde
Noch mehr in meiner `Geister=Kunde´5
Lest dort …”

 


Das Telephonat reisst plötzlich ab


Die Stimme plötzlich sich verlor.
Ein Rauschen tönte an mein Ohr;
Es mehrmals in der Leitung knackte;
Ein Zischen folgte dann im Takte.
Ich klopfte an das Telephon,
Schrie “Halloooo” in dem höchsten Ton,
Bis dann auf einmal kam zuletzt
Der Ton, der anzeigt: “ist besetzt”.

 


Text wird gleich aufgeschrieben


Nun legte ich den Hörer auf,
Schrieb nieder den Gesprächs-Verlauf
Und reimte ihn zu Jamben dann,
Als abends Musse ich gewann.

Dann stellte alles ich komplett
Für jedermann ins Internet
Und fügte ein paar Noten an,
Dass man es gut verstehen kann.

 


Man lese die Botschaft und schimpfe nicht auf die Herkunft


Natürlich werden welche knurren,
Und andere vernehmbar murren,
Weil es nach deren Vorurteil
Nicht sein darf, dass je wird zuteil
Den Menschen nieden eine Kunde
Aus eines Jenseits-Wesens Munde.

Die Armen ach! Sie sind verrannt
In ihren Herzen und Verstand
Ins Diesseits bloss und daher blind
Für das, was Geister wohlgesinnt
Die Erdenbürger lassen wissen:
Sie leugnen solches starr verbissen.

Euch fleh ich an: seht doch auch ein,
Dass jemand mag umgeben sein
Von Geisteswesen, die ihn lehren,
Mit Jenseitsbotschaft reichlich nähren.

Dämmt ein das böse Holdrio:
Drum bittet Christlieb Himmelfroh.


Anmerkungen, Hinweise und Erläuterungen


* Grafschaft Leisenburg = bei Jung-Stilling das ehemalige Fürstentum Nassau-Siegen (mit der Hauptstadt Siegen); –  durch Erbfolge ab 1743 Teil der Nassau-Oranischen Lande (mit Regierungssitz in Dillenburg, heute Stadt im Bundesland Hessen); –  im Zuge der territorialen Neuordnung Deutschlands durch den Wiener Kongress ab 1815 Bezirk in der preussischen Provinz Westfalen (mit der Provinzhauptstadt Münster); –  nach dem Zweiten Weltkrieg von 1946 an bis heute Bestandteil im Kreis Siegen-Wittgenstein des Regierungsbezirks Arnsberg im Bundesland Nordrhein-Westfalen in der Bundesrepublik Deutschland (mit der Landeshauptstadt Düsseldorf). – Über 70 Prozent der Kreisfläche sind Wälder; Siegen-Wittgenstein steht damit an der Spitze der Bewaldungsdichte in Deutschland.

Salen = bei Jung-Stilling die ehemalige fürstliche Residenzstadt Siegen, heute Universitätsstadt mit etwa 110’000 Bewohnern, am Oberlauf der Sieg (dort 240 Meter über dem Meeresspiegel) gelegen. Die Sieg ist ein 155,2 Kilometer langer, rechter Nebenfluss des Rheins. – Die nächst grösseren Städte von Siegen sind, in der Luftlinie gemessen, im Norden Hagen (83 Kilometer), im Südosten Frankfurt am Main (125 Kilometer), im Südwesten Koblenz (105 Kilometer) und im Westen Köln (93 Kilometer).

Siehe Karl Friedrich Schenck: Statistik des vormaligen Fürstenthums Siegen. Siegen (Vorländer) 1820, Reprint Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1981 sowie Theodor Kraus: Das Siegerland. Ein Industriegebiet im Rheinischen Schiefergebirge, 2. Aufl. Bad Godesberg (Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung) 1969 (Standardwerk mit vielen Karten, Übersichten und Rückblenden auf den Entwicklungsverlauf; leider auch in der Zweitauflage ohne Register).

Im wirtschaftsgeschichtlich bemerkenswerten Siegerland ist der hochintelligente und vielseitig begabte Jung-Stilling (siehe Anmerkung 1) geboren, herangewachsen und hat auch seine ersten beruflichen Erfahrungen als Köhlergehilfe, Schneider, Knopfmacher, Vermessungs-Assistent, Landarbeiter, Dorfschulmeister und Privatlehrer gesammelt.

1 Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817), der Weltweisheit und Arzneikunde Doktor. Siehe kurz zusammenfassend die Lebensbeschreibung von Eduard Manger in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 14, S. 219 ff. sowie ausführlicher Gerhard Merk: Jung-Stilling. Ein Umriß seines Lebens. Kreuztal (verlag die wielandschmiede) 1989 (mit Abb. und Registern). – Mehr die innere Entwicklung beschreibt Otto W. Hahn: “Selig sind, die das Heimweh haben”. Johann Heinrich Jung-Stilling: Patriarch der Erweckung. Giessen, Basel (Brunnen) 1999 (Geistliche Klassiker, Bd. 4.)

Jung-Stilling erhielt als Professor für ökonomische Wissenschaften an der Universität Heidelberg durch Erlass des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalz-Bayern (ihm hatte er auch seine medizinische Doktorarbeit gewidmet und ihm im Frühjahr 1772 auch persönlich bei Hofe zu Mannheim überreicht) vom 31. März 1785 die Ernennung zum “Kurpfälzischen Hofrat”.

Das mit dem Hofrats-Titel verbundene gesellschaftliche Ansehen war zu jener Zeit beträchtlich. Es gewährte dem Träger manche Begünstigungen, so auch (was Jung-Stilling als reisenden Augenarzt ganz besonders zum Vorteil gereichte) an Grenzbäumen, Posten, Schildwachen, Stadttoren, Überfuhren, Brücken, Fähren sowie an den zu jener Zeit auch innerlands recht zahlreichen Post-, Maut- und Grenzstationen.

Der Friedensvertrag von Campo Formio (7 km südwestlich von Udine in Venetien) vom 17. Oktober 1797 zwischen Napoléon und Kaiser Franz II., bestimmte in Artikel 20 den Rhein als die Staatsgrenze zwischen Frankreich und Deutschland. Dies wurde im Frieden von Lunéville (südöstlich von Nanzig [französisch: Nancy] gelegen; ehemalige Residenz der Herzöge von Lothringen) am 9. Februar 1801 bestätigt.

In Artikel 6 des Vertrags heisst es genauer: “S M. l’Empereur et Roi, tant en Son nom qu’en celui de l’Empire Germanique, consent à ce que la République française possède désormais (= von nun an) en toute souveraineté et propriété, les pays et domaines situés à la rive gauche du Rhin, … le Thalweg (= die Fahrrinne für die Schiffahrt) du Rhin soit désormais la limite entre la République française et l’Empire Germanique, savoir (= und zwar) depuis l’endroit (= von der Stelle an) où le Rhin quitte le territoire helvétique, jusqu’à celui où il entre dans le territoire batave.”

Eine ausserordentliche Reichsdeputation, eingesetzt am 7. November 1801, beriet daraufhin zu Regensburg (seit 1663 der Tagungsort des Immerwährenden Reichstags) über die Entschädigung an deutsche Fürsten, die (links der neuen Staatsgrenze zu Frankreich gelegene) Gebiete an Frankreich abtreten mussten.

Durch besondere günstige Umstände (kurz darauf taten auch noch verwandtschaftliche Beziehungen zu Frankreich hinzu: sein Enkel und Thronfolger Karl [1786/1811–1818] heiratete zu Paris am 7./8. April 1806 Stéphanie de Beauharnais [1789–1860], die 17jährige Adoptivtochter von Napoléon Bonaparte) vergrösserte Karl Friedrich von Baden (1728/1746–1811) bei dieser Gelegenheit sein Gebiet um mehr das Vierfache; die Wohnbevölkerung stieg von ungefähr 175’000 auf nahezu 1 Million. Die pfälzische Kurwürde (das Recht, den Kaiser mitwählen zu dürfen) ging auf ihn über; Karl Friedrich wurde damit 1803 vom Markgrafen zum Kurfürsten erhoben.

Wenig später rückte Karl Friedrich durch den Rheinbundvertrag vom 12. Juli 1806 nach Artikel 5 gar zum Grossherzog (Grand-Duc) mit dem Titel “Königliche Hoheit” auf. Unter den Rheinbund-Fürsten wurde Karl Friedrich nach demselben Artikel 5 des Vertrags der erste Rang und eine Vorrechts-Stellung (rang et prééminence) zugesprochen.

Mit dem Besitzwechsel der rechtsrheinischen Gebiete der Kurpfalz (so auch der alten Residenz- und Universitätsstadt Heidelberg, der neuen [seit 1720] Residenzstadt Mannheim [mit dem grössten Barockschloss in Deutschland] und der Sommerresidenz Schwetzingen [mit dem kurfürstlichen Lustschloss samt 76 Hektar grossen Schlossgarten, Moschee, Badehaus und Theater]) an das Haus Baden durch den Regensburger Reichsdeputations-Hauptschluss vom 25. Februar 1803 wurde gemäss § 59, Abs. 1 (“Unabgekürzter lebenslänglicher Fortgenuß des bisherigen Rangs”) der “kurpfälzische” Hofrat DE JURE PUBLICO automatisch nunmehr zum “badischen” Hofrat.

Anfang April des Jahres 1808 wird Jung-Stilling als Berater des Grossherzogs von Baden (“ohne mein Suchen”, wie er selbst betont) zum “Geheimen Hofrat in Geistlichen Sachen” ernannt. – Siehe Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Gerhard Schwinge. Giessen, Basel (Brunnen Verlag) 2002, S. 404.

Beim Eintritt von Jung-Stilling in den Himmel kommt ihm Karl Friedrich von Baden freudig entgegen und heisst ihn in der Seligkeit als Bruder herzlich willkommen. – Siehe hierzu und überhaupt zum Übergang von Jung-Stilling in das Jenseits des näheren (unbekannte Verfasserin): Sieg des Getreuen. Eine Blüthe hingeweht auf das ferne Grab meines unvergeßlichen väterlichen Freundes Jung=Stilling. Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1820, S. 27. – Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Schweizer Stillings-Freundin Helene Schlatter-Bernet (1764-1825) diese Schrift veröffentlicht hat.

Jung-Stilling stand nach seinem, aus eigener Initiative gewählten Abschied von der Universität Marburg ab 1803 im Dienste des Hauses Baden; er wollte sich von jetzt an nur noch der religiösen Schriftstellerei und der Bedienung der Augenkranken widmen.

Siehe hierzu Gerhard Schwinge: Jung-Stilling am Hofe Karl Friedrichs in Karlsruhe, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Bd. 135 (1987), S. 183 ff., Gerhard Schwinge: Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795-1816 und ihres Umfelds. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1994, S. 219 ff. (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 32) sowie zum Verhältnis zwischen beiden Persönlichkeiten auch Max Geiger: Aufklärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie. Zürich (EVZ-Verlag) 1963, S. 237 ff. (Basler Studien zur Historischen und Systematischen Theologie, Bd. 1).

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Karl Friedrich (1728/1746-1811) galt in Karlsruhe gleichsam als Übermensch. Nachdem gelegentlich eines Trauergottesdienstes am 1. Juli 1811 der hochgelehrte katholische Stadtpfarrer und (seit 1805) Grossherzoglich Badische Geistliche Rat Dr. Thaddäus Anton Dereser (1757-1827) nicht in den übertriebenen Lobgesang für den Verstorbenen einstimmen wollte, sondern am Rande einer Predigt die teilweise rohe und schamlose Ausplünderung der katholischen Einrichtungen unter seiner Herrschaft beiläufig ansprach, musste er Karlsruhe unverzüglich verlassen.

Siehe zur Person von Dereser kurz die Broschüre von Joseph Gass: Der Exeget Dereser. Eine geschichtliche Studie. Strassburg (Le Roux) 1915 (mit einem Portrait von Dereser) sowie Franz Xaver Münch: Der äußere Lebensgang des Aufklärungstheologen Thaddäus Anton Dereser. Bonn (Dissertation der Katholisch-Theologischen Fakultät) 1929 (auszugsweise im Druck), Bartolomé Xiberta: Artikel “Dereser, Thaddaeus a Sancto Adamo”, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 3. Berlin (Duncker & Humblot) 1967, S. 605 sowie Karl-Friedrich Kemper: Artikel “Dereser, Thaddaeus a Sancto Adama”, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bd. 32 (2003), Spalte 222-229.

Siehe zu den unterdrückenden obrigkeitlichen Massnahmen gegen die katholische Kirche unter der Regierungsgewalt der badischen Grossherzöge näherhin (Franz Joseph Mone [1796-1871]): Die katholischen Zustände in Baden, 2 Bde. Mit urkundlichen Beilagen. Regensburg (Manz) 1841/1843 sowie Carl Bader: Die katholische Kirche im Großherzogthum Baden. Freiburg (Herder) 1860. – Sehr einseitig und unsachlich zur Predigt von Dereser auch Johann Heinrich Jung-Stilling: Briefe. Ausgewählt und hrsg. von Gerhard Schwinge. Giessen, Basel (Brunnen) 2002, S. 485.

Als Beispiel der bei Hofe zu Karlsruhe genehmen Trauerreden katholischer Geistlicher seien erwähnt –  Bernhard Boll: Trauerrede bey der kirchlichen Todten-Feyer seiner königlichen Hoheit Karl Friedrichs, Großherzogs zu Baden, Herzogs zu Zähringen, gehalten in der Haupt- und Münsterpfarrkirche zu Freyburg den 1. July 1811. Freiburg (Wagner) 1811 (der Zisterzienser und Münsterpfarrer zu Freiburg Bernhard Boll (1756-1836) wurde 1827 erster Erzbischof von Freiburg); –  [Gerhard Anton Holdermann]: Beschreibung der am 30ten Juny und 1ten July 1811 zu Ratsatt Statt gehabten Trauer-Feyerlichkeit nach dem Hintritte unsers (so!) höchstseligen Großherzogs Carl Friedrich von Baden. Rastatt (Sprinzing) 1811. Holdermann (1772–1843) war katholischer Pfarrer zunächst in Heidelberg und bis 1829 in Rastatt.

Als elektronische Ressource im Rahmen der “Freiburger historischen Bestände–digitalisiert” ist einsehbar –  die in lateinischer Sprache vorgetragene, an Lobpreisungen überladen-theatralische Rede von Johann Kaspar Adam Ruef (1748-1825): JUSTA FUNEBRIA SERENISSIMO DUM VIVERET AC CELSISSIMO PRINCIPI DIVO CAROLO FRIDERICO MAGNO DUCI BADARUM … DIE 22 JULII 1811 IN TEMPLO ACADEMICO PIISSIMA ET GRATISSIMA MENTE PERSOLVENDA INDICIT JOANNES CASPARUS RUEF. Freiburg (Herder) 1811. – Ruef war Professor des katholischen Kirchenrechts an der Universität Freiburg, Oberbibliothekar und (wie Jung-Stilling seit 1806) Grossherzoglich Badischer Geheimer Hofrat. Gleichsam als Heiligen sehen den Verstorbenen –  Aloys Wilhelm Schreiber: Lebensbeschreibung Karl Friedrichs Großherzog von Baden, 1728–1811. Heidelberg (Engelmann) 1811 (Schreiber [1761–1841]) war seit 1805 Professor für Ästhetik in Heidelberg und ab 1813 bis zu seiner Pensionierung Hofgeschichtsschreiber in Karlsruhe)

Vgl. auch –  Gedächtnißreden bey dem Tode Sr. K. Hoheit des Großherzogs Carl Friedrich von Baden. Gehalten von den Pfarrern der drey christlichen Confessionen zu Mannheim. Mannheim (Schwan) 1811 (Brochure), in der sich der reformierte, lutherische und katholische Geistliche an Lob auf den verstorbenen Karl Friedrich offenkundig überbieten.

Geradezu bescheiden wirken demgegenüber andere Predigten, wie etwa –  [Christian Emanuel Hauber]: Kurze Abschilderung Sr. Königlichen Hoheit Carl Friedrichs Grosherzogs (so!) von Baden. Karlsruhe (Macklot) 1811 (Brochure); –  Theodor Friedrich Volz: Gedächtnißpredigt auf den Höchstseeligen Großherzog von Baden Karl Friedrich, gehalten den 30. Junius 1811 in der Stadtkirche zu Karlsruhe. Karlsruhe (Müller) 1811 (Brochure). Volz [1759-1813]), in Jena 1778 bereits promoviert, bemüht sich erkennbar um die im Rahmen des Anlasses mögliche Sachlichkeit.

Aufgebläht, schwulstig und völlig kritiklos sind auch viele der zahlreichen Zentariums-Reden auf Karl Friedrich von Baden, wie –  Karl Joseph Beck: Rede bei der akademischen Feier des hundertsten Geburtsfestes des Hochseligen Großherzogs Karl Friedrich zu Baden … Gehalten von dem derzeitigen Prorector der Albert-Ludwigs-Hochschule. Freiburg im Breisgau (Wagner) 1828. Karl Joseph Beck (1794-1838) war Mediziner und Stifter des “Corps Rhenania” in Freiburg.

Überspannt auch –  Friedrich Junker: Lobrede auf Carl Friedrich, ersten Großherzog von Baden. bei der Säcularfeier der Geburt des unvergleichlichen Fürsten den 22. November 1828 gesprochen in Mannheim / Mannheim (Schwan & Götz) 1829 (Brochure); Junker hatte sich als Interpret des Philosophen Epiktet sowie als Schriftausleger einen Namen gemacht.

Fast schon als Heiligen stellt den badischen Herrscher dar –  Karl Wilhelm Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn: Gemälde über Karl Friedrich den Markgrafen, Kurfürsten und Großherzog von Baden. Ein Beitrag zur Säkular-Feier der Geburt des unvergeßlichen Fürsten Mannheim (Schwan und Götz) 1828 (Drais [1761–1851] ist der Erfinder des Fahrrads (Laufrads, “Draisine”); sein Vater war badischer Oberhofrichter und Karl Friedrich sein Taufpate).

Weithin unkritisch gegenüber den augenfälligen Schattenseiten der Regierung von Karl Friedrich neuerdings auch Annette Borchardt-Wenzel: Karl Friedrich von Baden. Mensch und Legende. Gernsbach (Katz) 2006. Dasselbe gilt für die Dissertation von Gerald Maria Landgraf: “Moderate et prudenter”. Studien zur aufgeklärten Reformpolitik Karl Friedrichs von Baden (1728-1811), als Download-File bei dem URL <http://epub.uni-regensburg.de/10710/>. Für die Schikanen gegen die katholische Bevölkerung und das dadurch hervorgerufene Leid vieler Menschen hat Landgraf kein Wort übrig.

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Bei nachtodlichen Erscheinungen von Jung-Stilling wird dieser gewöhnlich mit “Herr Hofrat” (seltener mit “Herr Geheimrat”) angesprochen, auch von seinem Engel Siona.

Der Titel “Hofrat” ist gleichsam fester Bestandteil des Namens (ADJUNCTIO NOMINIS), wie etwa “Apostel Paulus”, “Kaiser Karl” oder “Prinz Eugen” zu verstehen, und nicht als ehrenvolle Benennung (TITULUS HONORIS). – “Stilling” ist ein individueller Beiname (APPELLATIO PROPRIA) und klingt zu vertraulich. – “Professor Jung” und “Doktor Jung” greift eine Stufe niedriger als “Hofrat Jung”; das heisst: der Titel “Hofrat” steht über der Amtsbezeichnung “Professor” oder dem akademischen Grad bzw. volkstümlich der Berufsbezeichnung (= Arzt) “Doktor”.

2 Prädikant = hier: Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche. — Heute versteht man unter Prädikant innert der Evangelischen Kirche in der Regel einen zur Wortverkündigung ausgebildeten und bestellten Laien.

3 Prädestination = im strengen Sinne: GOtt hat gewisse Menschen zum Heil erwählt, andere aber nicht. Es liegt daher die Aneignung des Heils nicht beim einzelnen Menschen, sondern allein bei GOtt.

Diese Lehre von der Vorherbestimmung eines jeden Menschen wurde von Johannes Calvin (1509–1564) vertreten und bestimmt bis heute (oft unterschwellig!) die reformierte Theologie; zumal auf der Dordrechter Synode 1618/19 eine strenge Auffassung der Prädestination (der sog. Gomarismus, benannt nach dem Leidener Theologieprofessor Franz Gomarus (1563-1641) als wesentlicher Glaubenssatz der reformierten Lehre mehrheitlich bestätigt wurde. Eine mildere Auffassung, vertreten zeitgenössisch durch den Leidener Theologen Jacobus Arminius (1560-1609) wurde verworfen.

Siehe Paul Jacobs: Prädestination und Verantwortlichkeit bei Calvin, 3. Aufl. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1973 und Heinz Otten: Prädestination in Calvins theologischer Lehre. Neunkirchen-Vluyn (Neunkirchener Verlag) 1968 (photomechanischer Nachdruck der Erstauflage 1938) und weit ausgreifend auch Georg Kraus: Vorherbestimmung. Traditionelle Prädestinationslehre im Licht gegenwärtiger Theologie. Freiburg im Breisgau (Herder) 1977 (Reihe Ökumenische Forschungen, Soteriologische Abteilung, Bd. 5).

4 Cornelius = Name des “werkgerechten” Römers in Apostelgeschichte 10. Die Behandlung dieses Kapitels in der Exegese der reformierten Theologie gilt (bis  heute!) als Musterbeispiel vor=eingenommener, be=fangener Darlegung und Erklärung.

5 Gemeint ist hier ohne Zweifel Johann Heinrich Jung-Stilling: Theorie der Geister=Kunde, in einer Natur= Vernunft= und Bibelmäsigen (so) Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße (so). Nürnberg (Raw’sche Buchhandlung) 1808, Reprint Leipzig [Zentralantiquariat der DDR] 1987.

Das Werk erschien seit seinem Erstdruck in vielen anderen Ausgaben und Übersetzungen, unter anderem wurde es ins Schwedische, Englische, Niederländische und Französische. – Siehe näherhin Klaus Pfeifer: Jung-Stilling-Bibliographie. Siegen (J. G. Herder-Bibliothek) 1993 (Schriften der J. G. Herder-Bibliothek Siegerland, Bd. 28).

Jung-Stilling stach mit der “Geister=Kunde” in ein Wespennest, und er wurde entsprechend gestochen. – Siehe mehr dazu bei Johann Heinrich Jung-Stilling: Geister, Gespenster und Hades. Wahre und falsche Ansichten, hrsg. von Gerhard Merk. Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1993 (Jung-Stilling-Studien, Bd. 1). Dort auch Titelblatt-Kopien mehrerer Gegenschriften.


O happy band of pilgrims,
If onward ye will tread,
With JEsus as your fellow,
To JEsus as your head!

O Happy if ye labour
As JEsus did for men;
O happy if ye hunger
As JEsus hungered then!

The cross that JEsus carried
He carried as your due:
The crown that JEsus weareth,
He wereth it for you.

John Mason Neale (1818–1866)

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