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Prof. Dr. Gerhard Merk, Dipl.rer.pol., Dipl.rer.oec.

Abhandlungen über Johann Heinrich Jung-Stilling

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Nachtodliche Belehrungen zur Theologie

Nachtodliche Belehrungen zu verschiedenen Themen

 

Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften

Technische Universität Kaiserslautern. [Hrsg.: Familie-Dr.-Jürgen-Ziegler-Stiftung]. Kaiserslautern : Technische Universität, 2003

Nachdruck (Faksimile) des Buches:

Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften

zum Gebrauch der Vorlesungen auf der Kurpfälzischen Kameral Hohenschule zu Lautern

von

Dr. Johann Heinrich Jung,

öffentlichen ordentlichen Lehrer der Landwirthschaft, Kunstwirthschaft, Handlungswirthschaft und Vieharzneikunde; auch Mitglied der Kurfürstlichen physikalischen ökonomischen Gesellschaft daselbst.

Lautern, im Verlag der Gesellschaft

1779

280 Seiten, 16 x 9,5 cm, gebunden, ISBN 3-936890-10-2


Einführung von Universitätsprofessor Dr. Gerhard Merk, Präsident der Jung-Stilling-Gesellschaft e. V., Siegen

Kameralwissenschaften in Kaiserslautern

“Kameralwissenschaften” ist um 1780 noch ein Sammelbegriff für alle Disziplinen, welche die Landesverwaltung und die Wirtschaft zum Gegenstand haben. Das Eigenschaftswort sämtliche in diesem Buchtitel hebt dies deutlich hervor.

Ein Jahrzehnt später jedoch nennt man die ökonomische Fragen betreffenden Lehren bereits durchwegs “Staatswirtschaftslehre”. Aus dieser ging dann die heutige Volkswirtschaftslehre, die Nationalökonomik, hervor. Der mehr auf das Wirtschaften in den Unternehmen gerichtete Teil der alten Kameralwissenschaften heisst zunächst noch “praktische Kameralwissenschaft” oder manchmal auch “Gewerbewissenschaft”. Sie bildete sich in der Folge zur “Privatwirtschaftslehre” und von da zur jetzigen Betriebswirtschaftslehre heraus. Was die technische Seite anbelangt, so entspross der “Gewerbewissenschaft” die “Kunstwissenschaft” und mündete dann über die “Polytechnik” in die modernen Ingenieurwissenschaften ein. Auch die Agrarwissenschaft verselbständigte sich aus der alten “praktischen Kameralwissenschaft”,

Der verwaltungswissenschaftliche Teil der Kameralwissenschaften entwickelte sich zur “Polizeiwissenschaft”, wobei “Polizei” seinerzeit “Staatsverwaltung” bedeutet. Aus ihr gingen dann das heutige öffentliche Recht, das Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht sowie zuletzt die Politikwissenschaft hervor.

Gelehrt wurden die so definierten Kameralwissenschaften im weiten Sinne an der 1774 gegründeten Kameral Hohen Schule in (Kaisers)Lautern. Sie stellte damals ohne Zweifel eine der fortschrittlichsten Wirtschafts- und Verwaltungshochschulen in Deutschland dar. Das zunächst auf zwei Jahre festgelegte Studium war für alle Juristen verpflichtend, die im Herrschaftsgebiet des Kurfürsten Karl Theodor (1724/1742–1799) Beamte werden wollten. Ausser der Kurpfalz gehörte dazu (neben kleineren Besitzungen) vor allem das Herzogtum Berg mit der Statthalterschaft in Düsseldorf.

Im Jahre 1779 bezog man in das Studium nunmehr auch die praktischen Kameralwissenschaften ein und erweiterte gleichzeitig die Studiendauer auf drei Jahre. Zum Professor für diese jetzt zusätzlich zu lehrenden Fächer, nämlich Landwirtschaft, Kunstwirtschaft (= Technologie), Handlungswissenschaft und Vieharzneikunde, berief man den bei Hofe zu Mannheim wohl angesehenen Johann Heinrich Jung, später (schon zur Unterscheidung von den unzähligen anderen Namensträgern Jung) allgemein Jung-Stilling genannt.

Dass zu den praktischen Kameralwissenschaften auch die Veterinärmedizin zählte, mag zunächst überraschen. Aber um 1780 kamen noch mehr als drei Viertel des Sozialproduktes aus der Landwirtschaft. Etwa die Hälfte davon betraf die Viehwirtschaft. Neben der für den Warentransport äusserst wichtige Zugleistung der Tiere lieferten diese auch Milch, Fleisch, Wolle, Fette und Öle. Dazu wurden die Häute, Zähne, Knochen und Sehnen sowie das Horn verarbeitet. Tiere waren deshalb neben den Gebäuden das wichtigste betriebliche Anlagevermögen in der Landwirtschaft.

Wie Jung-Stilling die gesamten Kameralwissenschaften einteilt und in ihrem jeweiligen Gegenstand bestimmt (es gibt zeitgenössisch auch andere Gliederungen und Abgrenzungen), zeigen seine Ausführungen in diesem Buch. So kann sich der Blick auf den Verfasser richten; und hier im besonderen auf die Frage, ob Jung-Stilling als der geeignete akademische Lehrer für die von ihm vertretenen Fächer in Kaiserslautern und später in Heidelberg (dorthin wurde die Kameral Hohe Schule als “Staatswirtschafts Hohe Schule” 1784 verlegt und der Universität angegliedert) anzusehen ist.

Zuvor aber erst noch ein Wort zum Widmungsträger. Kurfürst Karl Theodor trat 1778 die Erbfolge auch im Herzogtum Bayern an. Der Hof zog von der Residenzstadt Mannheim (seit 1720) nach München. In der Kurpfalz amtete als Statthalter mit regentenähnlichen Vollmachten Franz Albert Leopold Fortunatus Freiherr (ab 1790: Reichsgraf) von Oberndorff (1720–1799). Oberndorff war von früher Jugend auf der engste Vertraute von Karl Theodor und genoss dessen unbedingtes Vertrauen.

Oberndorff, von tiefreligiöser, gütiger Gesinnung, war Jung-Stilling sehr gewogen. Er erreichte, dass Jung-Stilling im März 1786 zum “Kurpfälzischen Hofrat” ernannt wurde. Bei der Vierhundertjahrfeier der Universität Heidelberg 1787 lobte Oberndorff vor der glanzvollen Festversammlung aus allen Gauen Deutschlands Jung-Stilling. Die Anwesenden umarmten ihn daraufhin. Ein wenig peinlich wirkt es freilich heute, dass Jung-Stilling den Namen des Statthalters nicht ganz richtig (mit nur einem Eff am Ende) schreibt.

Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817)

Über das Leben und Denken von Jung-Stilling sind wir recht gut informiert. Zum einen schrieb er selbst eine bis jetzt immer wieder neu gedruckte Lebensgeschichte nieder. Deren Lektüre ist auch heute nicht nur spannend, sondern auch überaus lehrreich; denn sie vermittelt sehr anschaulich ein Bild der Lebensumstände jener Zeit. Zum anderen verfasste Jung-Stilling zeitlebens an die 100 Schriften, aus denen sich sein Denken aufdeckt. Schliesslich dürften bisher an die 3 000 Arbeiten über Jung-Stilling erschienen sein, die ihn von vielen Seiten – als Arzt, Ophthalmologe, Literat, Theologe, Geodät, Wirtschaftswissenschaftler, Sozialethiker, Geograph, Pädagoge, Liederkomponist, Politologe, Steganograph und Forstwirt – beleuchten.

Jung-Stilling wächst in einer von tiefer Religiosität calvinistischer Prägung erfüllten Grossfamilie des unteren Mittelstandes heran. Von kleinauf bereits muss er zu Hause, in einem Dorf des damaligen Fürstentums Nassau-Siegen, überall mithelfen. Solche Kinderarbeit gilt in diesem Lebenskreis seinerzeit als selbstverständlich. Der Grossvater ist Köhler, der Vater Schneider und Knopfmacher, der Onkel Markscheider und Landmesser. Dazu hat die Familie eine teilselbstversorgende Landwirtschaft. Dadurch wird Jung-Stilling beizeiten mit den Gegebenheiten der bäuerlichen und handwerklichen Produktion vertraut.

Der breit talentierte, dabei geistig frühreife, findige, lebhafte und wissensdurstige Knabe lernt auch bald, über die Verrichtungen daheim hinauszudenken. Das Siegerland ist eine uralte Montanregion. Bergwerke und Metallverhüttung sowie ein breit gefächertes Zulieferungsgewerbe prägen das Land. So gewinnt Jung-Stilling nebenbei auch genauen Einblick in das Geflecht der industriellen Tauschwirtschaft; dies zeigen viele seiner späteren Veröffentlichungen.

Nach Abschluss der Lateinschule, Schneiderlehre beim Vater und Unterweisung in der Geodäsie beim Patenonkel ist Jung-Stilling zunächst als Lehrer, Schneider und Vermessungsgehilfe im Siegerland tätig. Seine erste Stelle als Lehrer in einer Dorfschule tritt er schon mit 14 Jahren an. Das Amt des Schullehrers gibt ihm genügend Zeit und Musse, seinen starken Wissensdrang zu befriedigen und sich in allen Wissenschaften autodidaktisch weiterzubilden. Auch die musische Bildung kommt nicht zu kurz. Jung-Stilling lernt das Klavier- und Orgelspiel; er liest daheim oft sogar während des Essens in Büchern.

Mit 22 Jahren wandert Jung-Stilling als Schneidergeselle in das benachbarte Herzogtum Berg. Dort wird er bald Hauslehrer der Kinder und rechte Hand bei den vielgestaltigen Geschäften von Peter Johannes Flender (1727–1808) in Kräwinklerbrücke (heute Teil der Stadt Remscheid).

Sieben Jahre lebt Jung-Stilling in der Familie Flender. Sein Dienstherr ist vermögender Hammerwerksbesitzer, Landwirt und Viehzüchter. Dazu betätigt er sich als Grosshändler. Flender liefert Eisenwaren aus seinen Hämmern vor allen für den Schiffsbau an den Küstenwerften der Nordsee. Diese Fabrikate lässt er sich teilweise mit dort ankommenden Kolonialwaren (Reis, Zucker, Tee, Kaffee, Gewürze, Baumwolle, Farbhölzer) verrechnen. Solche “Barattogeschäfte”, die Jung-Stilling bald genau kennenlernt, nützen auf vielfältige Weise die gründliche Kenntnis der Waren sowie die Vertrautheit mit den Marktbedingungen, welche die holländischen und flandrischen Geschäftspartner vor Ort besitzen.

Die eingetauschten Kolonialwaren gelangen mit dem Schiff nach Mülheim bei Köln (es liegt rechtsrheinisch und gehörte zum Herzogtum Berg), wo Flender eine Niederlassung unterhält. Zum Teil mit betriebseigenen Fuhrwerken setzt Flender die Waren als Grossist in das seinerzeit sehr kaufkräftige Bergische Land sowie in die Stadt Köln ab. Jung-Stilling kann auch in diesem besonderen Zweig des Handels unmittelbare Erfahrungen sammeln.

Im Hause Flender wächst Jung-Stilling auch in die feine, kultivierte Lebensart des bergischen Grossbürgertums hinein. Der tägliche Umgang Flenders mit dem dreizehn Jahre jüngeren Jung-Stilling gestaltet sich von Anfang an sehr freundschaftlich. Flender ist ein kluger Menschenkenner und gewandter Kaufmann; dabei auch von ausgeglichenem, durch den christlichen Glauben reformierter Konfession geprägtem Wesen. Jung-Stilling und Flender waren (wie Jung-Stilling schreibt) “recht vertraulich zusammen”, und zwar “ohne eine einzige trübe Stunde dazwischen”. Jung-Stilling nimmt nach und nach das reichhaltige Fachwissen seines Prinzipals auf. Er hebt hervor, dass das Haus Flender seine Hochschule war, “wo ich Oeconomie, Landwirthschaft und das Commercienwesen aus dem Grund zu studiren Gelegenheit hatte.” In vielen späteren Arbeiten kann Jung-Stilling auf diesen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Nach sieben Jahren Dienst bei Flender entschliesst sich Jung-Stilling – ungeachtet seines vergleichsweise hohen Alters von 30 Jahren – zum Studium der Medizin an der Universität Strassburg. Er hatte von einem Freund seins Patenonkels eine handgeschriebene Anleitung zur Heilung von Augenkrankheiten erhalten und betätigte sich in seiner Freizeit im Hause Flender als Augenarzt. Auch arbeitete sich Jung-Stilling mit dem ihm eigenen beharrlichen Fleisse in die medizinischen Grundwissenschaften ein.

In nur drei Semestern besteht Jung-Stilling mit Lob die Prüfung. Seine in lateinischer Sprache verfasste Doktorarbeit behandelte ein Thema aus dem Gebiet der physikalischen Technologie, nämlich über das Eisengewerbe seiner Siegerländer Heimat; die theoretischen und angewandten Naturwissenschaften waren zu dieser Zeit auch in Strassburg noch in der medizinischen Fakultät beheimatet. Jung-Stilling widmete die Arbeit seinem bergischen Landesherrn Karl Theodor und überreichte ihm diese im März 1772 persönlich in Mannheim. Zuvor schon, während seiner Zeit im Hause Flender, war Jung-Stilling mit führenden Hofbeamten in Kontakt gekommen, unter anderem auch mit Friedrich Casimir Medicus (1736–1808). Medicus vereinte in seiner Person mehrere wichtige Ämter, unter anderem war er Direktor der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Kaiserslautern und Gründer der Kameral Hohen Schule.

Im Verlauf seines Studiums in Strassburg veranstaltete Jung-Stilling ein Repetitorium in Philosophie, hielt einen Kurs in Chemie ab und beschäftigte sich mit einem neuartigen Vermessungsgerät, das die Akademie der Wissenschaften in Mannheim bei ihm in Auftrag gab. Auch schloss er zahlreiche Freundschaften, unter anderem zu Johann Wolfgang Goethe, der zu dieser Zeit in Strassburg Rechtswissenschaft studierte. Mit der zeitgenössischen Literatur kam Jung-Stilling in einem literarischen Kreis in Berührung, der ihn als Mitglied aufnahm. Johann Gottfried Herder lernte Jung-Stilling bei dessen Aufenthalt in Strassburg im Winter 1770 durch Goethe kennen.

Für sieben Jahre lässt sich Jung-Stilling, inzwischen verheiratet, in (Wuppertal-)Elberfeld als praktischer Arzt und Geburtshelfer nieder. Hier beginnt er auch mit Augenoperationen. Bis zu seinem Lebensende befreit er etwa 3 000 Menschen durch Operation aus der Blindheit; ein Honorar fordert er nicht. Goethe besucht ihn 1774 und nimmt das Manuskript des ersten Teils der Lebensgeschichte mit, betitelt: “Henrich Stillings Jugend. Eine wahrhafte Geschichte.” Durch Vermittlung von Goethe bringt der seinerzeit angesehene Verleger Decker in Berlin das Buch heraus. Es findet breite Beachtung und allgemeinen Beifall. Auch verfasst Jung-Stilling mehrere produktionstechnische und ökonomische Aufsätze; zudem erscheinen zu dieser Zeit drei theologische Bücher aus seiner Feder. In Elberfeld lehrt Jung-Stilling schliesslich auch den Laienärzten die Grundlagen der Anatomie und Physiologie; eine medizinische Fachschule gab es im Herzogtum Berg (noch) nicht.

Angesichts des weit verzweigten Wissens von Jung-Stilling, unter Berücksichtigung seiner von kleinauf erworbenen praktischen ökonomischen Kenntnisse, in Anbetracht der seit seiner frühen Jugend gesammelten Erfahrungen als Lehrer, aber auch aufgrund seines Wirkens als leitender Angestellter im Hause Flender und wegen seiner Einblicke in die Haushaltungen zunächst als Handwerker sowie später als Arzt, Augenarzt und Geburtshelfer, schien Jung-Stilling für den neu zu errichtenden Lehrstuhl der praktischen Ökonomik der richtige Mann. Hinzu trat, dass Jung-Stilling wegen seines inzwischen bekannten Namens in der literarischen Welt in das etwas abseits gelegene Kaiserslautern einigen Glanz bringen konnte. Endlich galt Jung-Stilling, sechzehn Jahre im Bergischen ansässig, als Landeskind und war auch bei Hofe zu Mannheim persönlich bekannt. So wurde der 38jährige Arzt, für ihn unerwartet, 1778 als Professor an die Kameral Hohe Schule nach Kaiserslautern berufen.

Die mit der Berufung von Jung-Stilling gehegten Erwartungen erfüllten sich voll und ganz. Mit grossem Engagement widmete sich der neu berufene Professor seinem Amt. Er war nicht nur ein hervorragender Lehrer, der bei den etwa 25 Studenten (über diese Zahl kam die Kameral Hohe Schule nie hinaus) Verehrung genoss. Auch entfaltete Jung-Stilling eine rege literarische Tätigkeit. Ein zweibändiges Lehrbuch der Forstwirtschaft und ein Lehrbuch der Landwirtschaft erschienen zu seiner Amtszeit in Kaiserslautern zwischen 1778 und 1784; sie machten damit die Kameral Hohe Schule in der Fachwelt zusätzlich näher bekannt.

Mehrere andere Fachbücher folgten später, die jedoch teilweise schon in Kaiserslautern abgefasst wurden. Gesamthaft veröffentlichte Jung-Stilling elf Lehrbücher. Einige davon erfuhren mehrere Auflagen und Übersetzungen in Fremdsprachen, sogar über seinen Tod hinaus. Sie alle stechen durch eine besondere Eigenschaft hervor, die leider bis heute noch immer vielen ökonomischen Lehrbüchern abgeht: nämlich eine enge Verzahnung von Theorie und Empirie, von Wissen und Erfahrung, von Erkenntnis und Kenntnis. “Beispiele belehren am besten” war sein Leitsatz. Jung-Stilling will aber keineswegs bloss Grundsätze an Beispielen erklären. Vielmehr entlarvt er umgekehrt manche als allgemeingültig behauptete wissenschaftliche Aussage anhand von Beispielen als falsch oder zumindest als nur begrenzt richtig.

Aber auch ausserhalb seines Fachgebiets wirkt Jung-Stilling in Kaiserslautern literarisch. Zunächst gibt er ab 1781 eine Monatsschrift mit dem Titel “Der Volkslehrer” heraus. In dieser ausschliesslich von ihm selbst verfassten Zeitschrift wendet sich Jung-Stilling an Bauern und Bürger im ganzen deutschen Sprachraum. Ihnen will er religiöse und ökonomische Bildung vermitteln; die Bestärkung im christlichen Glauben bleibt bei Jung-Stilling in allem Wirken und Schreiben stets ein wichtiges Anliegen. In einer Zeit, als die noch unterentwickelten, agrarisch geprägten deutschen Staaten sich anschickten, in funktionsfähige Volkswirtschaften überzugehen, war die Vermittlung haushälterischen Wissens (der “Volkslehrer” enthält auch Verhaltensratschläge in allen Lebenslagen, ärztliche Belehrungen und selbst Küchenrezepte) ein beachtlicher Beitrag zu diesem Ziel.

Während seiner Zeit in Kaiserslautern verfasste Jung-Stilling auch vier viel beachtete Romane und zahlreiche kleinere Abhandlungen. Sein mit autobiographischen Zügen durchsetzter Roman “Theobald oder die Schwärmer” erfährt viele Nachdrucke und Übersetzungen ins Englische und Niederländische; sein Roman “Die Geschichte Florentins von Fahlendorn” wird auch ins Französische übertragen. “Die Geschichte des Herrn von Morgenthau” erscheint schon 1787 auch in Niederländisch. Ins Niederländische wird zudem der mehrfach nachgedruckte Roman “Leben der Theodore von der Linden” übersetzt. Als Redner war Jung-Stilling bei verschiedenen Anlässen gefragt. Es eignete ihm eine angenehme, klangvolle Stimme; sein Vortrag wird von Zeitgenossen als lebendig und packend beurteilt.

In Kaiserslautern verstarb 1781 nach langem Siechtum Jung-Stillings erste Ehefrau. Der Vater zweier Kinder heiratete nach einem Jahr abermals, und zwei Kinder aus dieser Ehe werden noch in Kaiserslautern geboren. Verschiedene Ehrungen werden Jung-Stilling in Kaiserslautern zuteil; so erwählt man ihn 1782 zum Mitglied der “Teutschen gelehrten Gesellschaft” in Mannheim.

Aber Jung-Stilling bleibt auch manchen Anfeindungen ausgesetzt. Eine so herausragende Persönlichkeit wie er bringt viele Mittelmässige zwangsläufig gegen sich auf. Die Tatsache, dass Jung-Stilling durch seine Schriften sogar über den deutschen Sprachraum hinaus bekannt ist, dass “Stillings-Freunde” aus aller Welt ihn als Vorbild sehen und ihm schreiben, dass Blinde nach Kaiserslautern reisen und Jung-Stilling überschwenglich als den Mann rühmen, der ihnen das Augenlicht wiedergegeben hat, kurzum: der Umstand, dass Jung-Stilling zweifellos die weithin bekannteste Persönlichkeit in Kaiserslautern ist, erregt bei manchen Ärgernis und Missgunst.

Im Zuge der Verlegung der Kameral Hohen Schule verlässt Jung-Stilling im Oktober 1784 Kaiserslautern. Er zieht mit seiner zweiten Frau und vier Kindern nach Heidelberg um. Schon 1787 wird er unter äusserst günstigen Bedingungen an die Universität Marburg berufen. Dort stirbt 1790 auch seine zweite Frau, und der Witwer mit inzwischen fünf Kindern heiratet ein drittes Mal. Jung-Stilling scheidet 1803 aus dem akademischen Dienst aus. Er verbringt seinen Lebensabend als Berater des ihm befreundeten Karl Friedrich von Baden. In Karlsruhe ereilt ihn 1817 der Tod, wenige Wochen vor dem Hinschied seiner dritten Gemahlin. Bis in sein Todesjahr hinein war Jung-Stilling unermüdlich als Augenchirurg, Briefseelsorger (er dürfte in seinem Leben an die 30 00 Briefe geschrieben haben: eine von ihm oft beseufzte Last) und religiöser Schriftsteller tätig.

Mit ökonomischen Fragen hatte er sich seit seinem Abschied von Marburg nicht mehr befasst. Auch die Stadt Kaiserslautern sah Jung-Stilling seit seinem Weggang nicht wieder. Dazu muss man freilich bedenken, dass im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 Deutschland 25 Jahre hindurch mit Gärung, Unruhe, Wirrnis, Flüchtlings-Elend, Krieg, ständiger Ungewissheit und als Folge davon mit beklemmender Furcht überzogen wurde – was heute meistens vergessen wird. Jung-Stilling hatte darunter in vielfältiger Weise zu leiden.

Viele der von Jung-Stilling verfassten Bücher und Schriften werden bis heute nachgedruckt. Zitatensammlungen aus seinen Werken erschienen in den letzten Jahren zu den Sachgebieten Medizin, Forstwirtschaft, Ökonomie und Religion. Das deutet darauf hin, dass Jung-Stilling offenbar Geistesgut hervorbrachte, das überzeitlich gültig ist.

In mehreren Veröffentlichungen der letzten Jahre äussert sich Jung-Stilling sogar aus dem Jenseits zu Problemen der heutigen Zeit. Das dürfte damit zusammenhängen, dass Jung-Stilling vor allem in seinem letzten Lebensabschnitt mehrfach mit solchen Fragen befasst war. Denn gerade seine “Szenen aus dem Geisterreich” und die “Theorie der Geister=Kunde” (diese wurde auch ins Englische, Niederländische und Schwedische übersetzt) in blieben bis jetzt als Nachdrucke und in Neuausgaben auf dem Büchermarkt.

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